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19.07.2023 | (rsn) – Als 17-Jähriger gewann Felix Gall (AG2R - Citroën) 2015 den Weltmeistertitel der Junioren im Straßenrennen von Richmond. Für sein Heimatland Österreich holte er das erste Regenbogentrikot. Doch die Umsetzung in die höheren Klassen stockte ein wenig. Erst in dieser Saison gelang der erste Profisieg, ein Etappenerfolg bei der Tour de Suisse. Einen Monat später darf sich der Osttiroler nun als Tour-de-France-Etappensieger bezeichnen.
Ein Kunststück, das nur ganz wenigen seiner Landsleute zuvor gelungen war. 1931 war es der Wiener Max Bulla, damals noch als Einzelstarter, der drei Etappenerfolge feiern konnte. 74 Jahre später gewann Georg Totschnig eine Pyrenäenetappe und 2021 schrieb Patrick Konrad ebenfalls rot-weiß-rote Tourgeschichte, als er in Saint-Gaudens siegte. Nun darf sich auch Gall zu diesem erlauchten Kreis zählen.
"Ich habe ihm in der ersten Woche schon geraten, dass er sich auf einen Etappensieg konzentrieren soll, weil er das draufhat. Er hat dem österreichischen Radsport eine Freude bereitet. Eine Königsetappe zu gewinnen prägt. Jeder träumt davon, aber schaffen tun es nur die wenigsten", erzählte Konrad.
___STEADY_PAYWALL___Felix Gall (AG2R - Citroën) bei seinem Solo auf dem Col de la Loze. | Foto: EXPA/ Pressesports/ Etienne Garnier
"Es ist das größte Rennen der Welt und es ist das Wichtigste. Und in einem französischen Team wirkt es noch größer", erklärte Gall, dessen Leistungssprung auch mit dem Wechsel zur AG2R-Mannschaft verbunden ist. Denn nach seinem Juniorentitel folgte ein zweites Jahr in der Nachwuchskategorie, dann der Wechsel in die zweite Mannschaft von DSM, dem damaligen Sunweb Development Team.
2019 konnte er eine Etappe und die Gesamtwertung der Istrian Spring Trophy (2.2) gewinnen, doch immer wieder waren es Verletzungen und Erkrankungen, die den Osttiroler in seiner Karriere zurückwarfen. Im Jahr darauf stieg er in die WorldTour-Mannschaft auf, bestritt aber gerade einmal zehn Renntage in seiner ersten Saison auf der höchsten Ebene des Männerradsports, welche vor allem von der langen Corona-bedingten Pause geprägt waren. So bestritt er erst 2021 seine ersten WorldTour-Rennen, allerdings ohne zu einer größeren Rundfahrt nominiert zu werden, was ihn zu einem Wechsel motivierte.
Gleich im Januar des vergangenen Jahres folgte ein fünfter Platz auf Mallorca bei der Trofeo Pollenca – Port d’Antratx (1.1). Spanien sollte ein guter Boden für den Osttiroler bleiben, so mischte er als Zwölfter bei der Baskenland-Rundfahrt (2.UWT) erstmals vorne mit. Seine guten Leistungen wurden von seiner Mannschaft belohnt, Gall bekam für die Tour of the Alps (2.Pro), welche 2022 in seiner Heimat in Lienz endete, eine Kapitänsrolle. Als starker Sechster schloss der Österreicher die Rundfahrt ab und ging hoch motiviert in den Giro, seine erste dreiwöchige Landesrundfahrt.
Gall fährt jubelnd ins Ziel. | Foto: EXPA/ Pressesports/ Etienne
Auf dieser kam er auf der Ätna-Etappe zu Sturz und fand danach nicht die Form der vorherigen Wochen. Auf zwei Bergetappen mischte er sich unter die Ausreißer, blieb aber erfolglos. Doch Gall nahm die Erfahrungen mit und schaffte in der Winterpause den nächsten Leistungssprung. Ein sechster Platz sowohl zum Saisonauftakt bei der Tour des Alpes Maritims et du Var (2.1) als auch beim Eintagesklassiker Faun-Ardèche Classic (1.Pro) zeigten seine aufstrebende Form schon früh. Tirreno-Adriatico (2.UWT) schloss er auf Platz 16 ab, erneut folgt eine starke Baskenland-Rundfahrt, wo er Zehnter wurde.
Auch die Tour of the Alps beendete er wieder in den Top Ten, doch die eigentliche Überraschung folgte Tage danach. Denn der Österreicher wurde aus dem Giro-Aufgebot genommen. "Wir haben dann sein Programm geändert. Er sollte zur Tour fahren, ohne Druck, da wir eigentlich Ben O’Connor für die Gesamtwertung vorgesehen hatten", erklärte AG2R-Manager Vincent Lavenu, der sich sichtlich gerührt zeigte, dass ausgerechnet der Österreicher ihm den erhofften Tageserfolg schenkte.
"Das sind die ersten Tränen in diesem Jahr. Wir haben so lange darauf gewartet und nun ist der erste große Sieg da. Es ist emotionell, aber das Team hat einen unglaublichen Job gemacht und Felix war so stark", freute sich der Franzose.
Und die Emotionalität der französischen Teams bei ihrer Heimrundfahrt spürte auch Gall. "In einem französischen Team, wirkt so ein Sieg noch wichtiger", erklärte er gegenüber der ARD, nachdem er zuerst noch ein wenig sprachlos wirkte nach dem größten Erfolg seiner Karriere: "Das ist unglaublich, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das ganze Jahr war schon fantastisch und nun so gut in der Tour de France zu fahren und die Königsetappe zu gewinnen, ist der Wahnsinn."
Der 25-Jährige zeigte einen wahren Parforceritt durch die Alpen. Früh entschied sich der Zehnte der Gesamtwertung, es am 19. Juli, am wohl härtesten Tourtag 2023, als Ausreißer zu probieren. Zweimal fand er sich in größeren Gruppen wieder. Nachdem ein Versuch vom Team des Maillot Jaune, Jumbo – Visma, zu Beginn abgewehrt wurde, änderte Gall seinen Plan nicht und probierte es erneut. Gleich mehrere Helfer aus seiner Mannschaft hatte er zur Seite.
Galls Teamkollege Ben O'Connor (Bildmitte) erwies sich als wichtigster Helfer des Österreichers. | Foto: EXPA/ Pressesports/ Etienne
"Es ist nicht einfach eine dreiwöchige Rundfahrt zu fahren, nach einigen Tagen wurde ich Leader und das hat mich echt gestresst. Die letzten Tage fühlte ich mich immer wohler", berichtete er über das Kapitänsdasein, eine Rolle, die ihm nach den Pyrenäen zugeteilt wurde. Schon dort war er knapp am Sieg dran, wurde dann aber noch von Jai Hindley (Bora – hansgrohe) eingeholt. Doch der Österreicher entwickelte sich Tag für Tag. Wo andere Einbrüche erlitten, fuhr er weiter mit den Besten der Welt durch die französischen Berge. Nur ein Defekt warf ihn ein paar Minuten zurück, aber selbst im von ihm gefürchteten Kampf gegen die Uhr wusste er mit Platz 13 zu überzeugen.
Die Krönung folgte auf der mit 5.400 Höhenmeter gespickten Königsetappe hinauf nach Courchevel. Am letzten Berg, dem Col de la Loze schüttelte er alle Kontrahenten ab. Seiner Attacke konnte niemand folgen. Erst auf den letzten Kilometern erwies sich der Brite Simon Yates (Jayco - AlUla) als noch einzig verbliebener Gegner für den Tagessieg, gut 20 Sekunden hinter dem Österreicher.
"Mental war das eine ziemliche Herausforderung. Yates saß mir im Nacken, fuhr ziemlich schnell und der Rückstand war immer stabil, ist nie weiter angewachsen", beschrieb Gall den psychischen Druck auf den letzten Kehren berghoch, aber auch in der Abfahrt hinunter zum Altiport in Courchevel. "Ich hatte solche Angst, dass ich an den letzten Kilometern oder in der Abfahrt eingeholt werde", erinnerte er sich, aber zumindest sein gutes Gefühl, welches er am Etappenstart hatte, verließ ihn nicht ein Mal auf den 165,7 Kilometern und obwohl ihn Yates am mit bis zu 18 Prozent steilen Rollfeld zum Ziel hinauf schon sah, kam er nicht mehr an Gall ran.
"Vor eineinhalb Jahren hätte ich mir das nicht vorstellen können", grinste der Österreicher im Ziel. Mit seinem Sieg verbesserte er sich sogar auf den achten Gesamtrang, den zweiten in der Bergwertung und ist weiterhin der drittbeste Jungprofi hinter Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) und Carlos Rodriguez (Ineos Grenadiers). Österreichs Rohdiamant hat seinen französischen Schliff gefunden und erstrahlte in Courchevel in neuen Glanz.
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