RSNplusWM-Zeitfahr-Favoritin erklärt ihren Ausstieg

Reusser: “Ich bin keine Maschine“

Von Peter Maurer

Foto zu dem Text "Reusser: “Ich bin keine Maschine“"
Top-Favoritin Marlen Reusser beendete das WM-Zeitfahren nach nur 16 Kilometern. | Foto: Cor Vos

11.08.2023  |  (rsn) – 86 Athletinnen aus der ganzen Welt gingen am Donnerstag in das WM-Zeitfahren der Frauen. Eine einzige Starterin erreichte nicht die Ziellinie in Stirling: die große Titelaspirantin Marlen Reusser. Am ersten Messpunkt mit der viertbesten Zeit gestoppt, stieg die Schweizerin bereits nach rund 16 Kilometern vom Rad, setzte sich an den Straßenrand und weinte vor Enttäuschung. Am Abend erklärte Reusser dann, weshalb sie völlig überraschend das Rennen beendet hatte.

“Es war kein mechanisches Problem, es lag an mir“, sagte die 31-Jährige in einem an die Medien gerichteten Audiofile, in dem sie offenbarte, dass sie mental blockiert gewesen sei. Zum siebten Mal stand Reusser in WM- Einzelzeitfahren am Start, anfangs noch als Amateurin, die sich über starke Ergebnisse wie nationale Zeitfahrtitel für den Schweizer Kader empfahl. 2017 landete sie bei der Straßen-WM in Norwegen im Zeitfahren in den Top 30, ein Jahr später in Innsbruck war es schon der 17. Rang.

___STEADY_PAYWALL___

Danach schloss Reusser sich dem World Cycling Center in Aigle an und bestritt 2020 ihre erste Profisaison bei Bigla – Katusha. Nach ihrem Wechsel zu SD Worx 2022 zählt sie mittlerweile zu den weltbesten Fahrerinnen. In den beiden vergangenen Jahren gewann sie jeweils eine Etappe der Tour de France. Die promovierte Medizinerin wurde eines der großen Aushängeschilder des Schweizer Radsports.

Marlen Reusser war im WM-Zeitfahrern an der ersten Zwischenzeit viertschnellste Fahrerin. | Foto: Cor Vos

Dieser schnelle Aufstieg in die Weltspitze forderte offensichtlich aber auch seinen Tribut. “Seit einer langen Zeit fahre ich nun Rennrad, von Beginn an treibt mich meine Leidenschaft an. Mein Leben hat sich auf den Radsport ausgerichtet und ich bin immer sehr enthusiastisch. Es ist kein klassischer Job, aber ich mag ihn“, erklärte Reusser und fügte an: “Es gibt so viel Positives, dass dir der Radsport bringt, aber er kostet auch viel Energie.“

“Ich war nicht mehr bereit für das Zeitfahren“

Und jene fehlte ihr im Einzelzeitfahren von Stirling. Denn nach dem Rückstand bei der ersten Zwischenzeit wollte Reusser pushen, um vielleicht doch noch der Führenden und späteren Weltmeisterin Chloe Dygert die Stirn zu bieten. Doch sie konnte nicht und wollte auch nicht. “Ich bin abgestiegen, war nicht mehr bereit für das Zeitfahren, hatte keine Lust darauf“, ließ sie wissen.

Als Grund für die Entscheidung gab Reusser eine innere Müdigkeit an, die mit einer Erkrankung in der Winterpause begann. Anstatt auszuspannen musste die Schweizerin zu Hause das Bett hüten, ehe das Grundlagentraining für die diesjährige Saison begann.

Kurz vor dem zweiten Messpunkt stieg die Schweizerin dann aber unvermittelt vom Rad. Schnell war der Schweizer Nationaltrainer Edi Telser bei ihr, um festzustellen, was ihr fehlte. | Foto: Veranstalter

Schon früh kamen die ersten Trainingslager, auch in der Höhe. Immer stetig auf der Suche nach Verbesserung und am Ausloten ihrer Grenzen, zog Reusser im Frühjahr ihren Höhenflug weiter durch, sicherte sich Gent-Wevelgem und wurde wenig später noch Dritte bei Lüttich-Bastogne-Lüttich. Es folgte die Vuelta Femenina im Dienst ihrer Teamkollegin Demi Vollering, ehe Reusser dann vor der Niederländerin die Baskenland-Rundfahrt gewann. Nach einer starken Burgos-Rundfahrt gewann Reusser auch noch die Tour de Suisse.

“Diese Saison war echt sehr erfolgreich, aber nach dem Sieg bei der Tour de Suisse fiel ich in ein Loch“, gab sie offen zu. Viel Zeit zum Genießen, aber auch zum Verarbeiten des Heimerfolges hatte sie nicht. Denn es folgte die finale Vorbereitung auf die Tour de France Femmes, wo sie erneut zu den besten Fahrerinnen zählte: “Es war mein größter Erfolg, aber ich hatte seitdem auch kaum Zeit zum Verschnaufen. Es ging sofort weiter und meine Gedanken waren bei der Tour de France Femmes und den Weltmeisterschaften. Mir fehlte die Zeit, um den Erfolg auch zu genießen und mich auf die neuen Ziele zu fokussieren.“

Nach einigen Minuten stieg Reusser ins Begleitfahrzeug und erklärte am Abend die Gründe für ihren überraschenden Ausstieg | Foto: Cor Vos

Die Sehnsucht nach einer Pause war groß, doch Reusser sah es auch als Verpflichtung an, bei den Weltmeisterschaften in Schottland an den Start zu gehen und die Schweizer Farben zu vertreten. “Die Unterstützung im Verband ist perfekt und die Form war auch noch gut, weshalb ich nach Schottland gereist bin“, betonte sie.

"Ein bisschen Abstand vom unaufhaltsamen Geschäft Radsport“

Doch nicht einmal durch die Titelverteidigung in der Mixed-Staffel besserte sich ihre Gefühlswelt. Auch danach fiel der Druck nicht von Reussers Schultern, sie fühlte sich, als wäre sie in einer Endlosschleife gefangen. Die Aufgabe im Einzelzeitfahren kam abrupt, das Verlangen nach einer Pause beherrschte Reusser aber schon die letzten vier Wochen. “Dass ich einfach so angehalten habe, war sicher nicht die beste Idee, aber ich habe es gemacht und bin auch mit mir im Reinen. Ich werde wieder zurückkommen und auch mein Appetit für den Radsport“, fügte sie optimistisch an.

Nach den vielen Erfolgen übten die Regenbogenstreifen nicht jene Anziehung aus, die es für eine erneute Ausnahmeleistung benötigt hätte. Dementsprechend zog Reusser mit ihrem Stopp eine unvermutet harte, fast schon kuriose Konsequenz. “Ich bin keine Maschine. Der Radsport hat so viel an Rennen anzubieten. Aber es ist ein unaufhaltsames Geschäft, von dem ich nun ein bisschen einen Abstand benötige“, resümierte sie.

Ob die WM in Glasgow für sie schon beendet ist, wollte sie aber nicht sagen, eine Nacht Schlaf soll Klarheit in dieser Frage bringen. Und nachzudenken hat Reusser sicher über vieles, hört man ihren Kommentaren zum Aus im Zeitfahren genau zu.

Mehr Informationen zu diesem Thema

11.11.2023Protest bei Straßen-WM: Keine Strafe für Klimaaktivisten

(rsn) – Drei der vier Klimaaktivisten, die sich im Verlauf des WM-Straßenrennens der Männer in Glasgow auf dem Asphalt festgeklebt und damit für eine Unterbrechung von rund einer Stunde gesorgt h

18.08.2023Schienbeinbruch: Narváez fällt länger aus

(rsn) - Jhonatan Narváez (Ineos Grenadiers) hat sich bei seinem Sturz im WM-Straßenrennen von Glasgow schwerer verletzt als angenommen. Wie der Ecuadorianische Radsportverband in den Sozialen Medien

14.08.2023Reusser fehlten in Glasgow fünf Sekunden zum Podium

(rsn) – Im WM-Zeitfahren noch war Marlen Reusser ein Häufchen Elend. Die Europameisterin in dieser Disziplin stieg nach bereits 16 Kilometern ohne ersichtlichen Grund vom Rad, kauerte sich an den S

14.08.2023UCI: Premiere der Super-WM von Glasgow “besser als erwartet“

(rsn) – Der Radsportweltverband UCI hat einen Tag nach dem Ende der ersten Super-WM (3. – 13. August) in Glasgow eine positive Bilanz gezogen. “ Für uns war es ein Erfolg, definitiv ein Glücks

14.08.2023Zweimal WM-Silber statt Gold: Oranje im Hintertreffen

(rsn) - Mit drei Fahrerinnen unter den besten Vier der Weltrangliste und fünf Titeln in den letzten sechs Jahren waren die Niederländerinnen im WM-Straßenrennen in Glasgow das zu schlagende Team. L

13.08.2023Highlight-Video des WM-Straßenrennens der Frauen

(rsn) – Lotte Kopecky hat sich als erste Belgierin seit 50 Jahren wieder den Titel in einem WM-Straßenrennen der Frauen gesichert. Die 27-Jährige setzte sich zum Abschluss der Rad-WM in Schottland

13.08.2023Lippert: “Irgendwann sind meine Beine explodiert“

(rsn) – Nach ihrer imponierenden Vorstellung bei der Tour de France Femmes, bei der sie einen Etappensieg feiern konnte, äußerte sich Liane Lippert vor der WM mit Blick auf das 154,1 Kilometer lan

13.08.2023Kopecky stürmt in Glasgow zu ihrem dritten WM-Gold

(rsn) – Nach 154 Kilometern Daueraction im WM-Straßenrennen der Frauen hat mit Lotte Kopecky erstmals seit 50 Jahren wieder eine Belgierin das Regenbogentrikot erobert. Die 27-Jährige erreichte na

13.08.2023Weltmeister Pidcock kritisiert ”Regeländerungs-Shit-Show“

(rsn) – Durch eine Regeländerung nur wenige Tage vor dem WM-Rennen im Mountainbike durften Mathieu van der Poel und Tom Pidcock am Samstag aus der fünften Reihe starten. Der Brite rückte durch de

13.08.2023Van der Poel nach MTB-Sturz sauer auf sich selbst

(rsn) – Während der neben ihm gestartete Tom Pidcock bei der der Mountainbike-WM in Schottland aus der fünften Reihe heraus zum Titel fuhr, war für Mathieu van der Poel das Rennen schon nach der

13.08.2023Dygert und Niewiadoma sagen für das WM-Straßenrennen ab

(rsn) – Ohne zwei prominente Namen wird am Mittag das WM-Straßenrennen der Frauen gestartet. Wie ihr Team Canyon – SRAM in den Sozialen Medien mitteilte, haben sowohl Zeitfahr-Weltmeisterin Chloe

13.08.2023Alles Oranje oder was?

(rsn) – Zum Abschluss der Straßenwettbewerbe der Rad-WM in Schottland steht das Straßenrennen der Frauen an. Der Kurs führt über insgesamt 154 Kilometer, gestartet wird in Loch Lomond, die Entsc

Weitere Radsportnachrichten

03.12.2024Großbritannien in Nöten: Insel ohne Konti-Teams

(rsn) – Langsam aber sicher ist der Schwung, den die Olympischen Spiele 2012 in London dem britischen Straßenradsport gaben, aufgebraucht. Zwar stehen, Stand jetzt, 34 britische Profis im kommenden

03.12.2024Wiggins bekam Hilfsangebot von Armstrong

(rsn) – Lance Armstrong, selbst gefallener Radsport-Held, hat sich offenbar einmal mehr generös gegenüber seinesgleichen gezeigt. Nachdem er in den vergangenen Jahren bereits Jan Ullrich, seinem g

03.12.2024Vollering-Schwester vor Profi-Debüt

(rsn) – Bodine Vollering, Schwester von Demi Vollering, steht vor dem Sprung in den Profi-Radsport. Die 21-Jährige hat für zwei Jahre beim Kontinental-Team VolkerWessels unterschrieben. Teammanage

03.12.2024WorldTour-Budgets steigen weiter rasant

(rsn) – Die finanzielle Situation in der WorldTour wird sich auch 2025 weiter verbessern. So kontinuierlich wie stark steigen das Gesamtbudget der Teams insgesamt auch in der neuen Saison. Das geht

03.12.2024Bei der Deutschland Tour so gut wie nie

(rsn) – Rückschritt, Neuanfang, Flucht. All das sind Worte, von denen Florian Stork nichts wissen will. “Ich war sieben Jahre lang in den Strukturen von dsm, da war es jetzt einfach mal an der Ze

03.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

02.12.2024Offiziell: 80. Vuelta a Espana beginnt in Turin

(rsn) – Nachdem die Tour de France in diesem Jahr in Florenz gestartet war, wird 2025 auch die Spanien-Rundfahrt in Italien beginnen. Wie die Organisatoren der letzten Grand Tour des Jahren nun auch

02.12.2024Boros beendet in Dublin mit Querfeldeinlauf Nys´ Ambitionen

(rsn) – Die ersten beiden Weltcups der Cross-Saison 2024/25 hat sich Thibau Nys (Baloise – Trek Lions) sicher anders vorgestellt. Zum Auftakt am vergangenen Wochenende kam der Europameister beim S

02.12.2024Indiz für Sanremo-Start? Pogacar trainiert am Poggio

(rsn) – Mailand-Sanremo gehört zu den wenigen großen Rennen, die Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) noch nicht gewonnen hat. Noch ist unklar, ob der Weltmeister an der kommenden Ausgabe des italien

02.12.2024Van Aert hat für den Winter einen Plan

(rsn) – Mittlerweile steht fest, dass Wout van Aert (Visma – Lease a Bike) erst nach dem Ende des Team-Trainingslagers von Visma – Lease a Bike Ende Dezember in die Cross-Saison 2024/25 einsteig

02.12.2024Cummings neuer Sportdirektor bei Jayco – AlUla

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

02.12.2024Trotz Bestwerten hinter den Erwartungen zurückgeblieben

(rsn) – Im Frühsommer zeigte Jonas Rapp (Hrinkow Advarics) wieder einmal, dass er nach wie vor zur Riege der besten deutschen Kletterer gehört. Der 30-Jährige wurde Mitte Mai dank eines dritten P

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine