RSNplusPolin schrieb in Alpe d‘Huez Geschichte

Für Niewiadoma reihten sich zum Tour-Finale alle Sterne auf

Von Matthias Seng

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Kasia Niewiadoma (Canyon - SRAM) hat die 3. Tour de France Femmes gewonnen. | Foto: Cor Vos

19.08.2024  |  (rsn) – Seit sie vor zehn Jahren Profi wurde, hat Kasia Niewiadoma 20 Siege feiern können, die meisten davon im Trikot des deutschen Teams Canyon – SRAM, dem die Polin seit 2018 angehört. Der bisher letzte, nämlich der bei der 3. Tour de France Femmes (2.WWT), ist nicht nur der mit Abstand wichtigste, sondern auch wohl derjenige, für den Niewiadoma am härtesten zu kämpfen hatte.

Mit 1:15 Minuten Vorsprung auf Titelverteidigerin Demi Vollering (SD Worx-Protime) war sie im Gelben Trikot in die Schlussetappe über 149,9 Kilometer von Le Grand-Bornand nach Alpe d’Huez gestartet. Am Ende des über 21 Serpentinen führenden, 13,7 Kilometer langen Schlussanstiegs waren davon ganze vier übrig geblieben. Zudem war aus dem Duell um den Toursieg überraschend ein Dreikampf geworden, denn Pauliena Rooijakkers (Fenix – Deceuninck) konnte Vollerings Attacke am Col du Glandon gut 50 Kilometer vor dem Ziel folgen und kämpfte mit ihrer Landsfrau in Alpe d’Huez nicht nur um den Tages-, sondern auch den Gesamtsieg, da sie im Klassement eine Position und zwei Sekunden vor Vollering lag.

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Niewiadoma drohte also gleich doppelte Gefahr, was die Spannung nur weiter erhöhte. Das Spitzenduo fuhr sich zwischenzeitlich einen Vorsprung von deutlich mehr als einer Minute heraus, doch die Gesamtführende steckte nie auf und reduzierte den Abstand auf rund 40 Sekunden. Doch dann ging die Schere wieder auf, ehe das Polster fast aufgebraucht war.

Nach großem Kampf um jeden Meter verlor Kasia Niewiadoma (Canyon – SRAM) den Kampf um Platz drei und die damit verbundenen vier Bonussekunden gegen Evita Muzic (FDJ – Suez) – dennoch reichte es, um das Gelbe Trikot zu verteidigen. | Foto: Cor Vos

Dann verlor Niewiadoma auch noch den Sprint um den dritten Platz und die damit verbundenen vier Bonussekunden gegen Evita Muzic (FDJ – Suez). Und dennoch reichte es knapp zum großen Triumph, nachdem sie die Tour im letzten Jahr noch auf dem dritten Platz beendet hatte.

“Ich habe in meiner Karriere so viele Siege knapp verpasst“

"Es war eine emotionale Achterbahnfahrt während der Etappe. Ich hatte die unterschiedlichsten Gedanken. Es dann am Ende um ein paar Sekunden zu schaffen, das ist ein Traum“, erklärte die neue Toursiegerin auf der Pressekonferenz, nachdem sie im Ziel viele Freudentränen vergossen hatte. “Ich habe in meiner Karriere so viele Siege knapp verpasst. Diese Woche war einfach perfekt, alles ist für uns gelaufen – bis auf ein paar Stürze zu Beginn. Wir konnten uns auf unsere Ziele konzentrieren und wenn man große Rennen gewinnen will, muss alles passen“, erklärte die 29-Jährige, die zwar bereits große Rennen wie die britische Women's Tour oder das Amstel Gold Race gewinnen konnte, aber allzu oft einer stärkeren Fahrerin den Vortritt lassen .

Zwischen 2019 und diesen Frühjahr jagte Niewiadoma sogar vergeblich einem Sieg hinterher, ehe beim Fléche Wallonne 2024 endlich der Knoten platzte. Es folgten weitere Spitzenergebnisse wie ein fünfter Platz bei Lüttich-Bastogne-Lüttich oder Gesamtrang vier bei der Tour de Suisse – doch weitere Siege ließen auf sich warten, so auch bei der Tour de France Femmes, bei der sie als Zweite der 5. Etappe ins Gelbe Trikot schlüpfte. Dabei aber profitierte sie vom späten Sturz der bis dahin souveränen Gesamtführenden Vollering, die in Amnéville 1:47 Minuten einbüßte – ein Rückstand, den die 27-Jährige trotz einer furiosen Aufholjagd nicht mehr wettmachen konnte.

Niewiadoma verteidigte vier Sekunden ihres Vorsprungs und feierte den größten Erfolg ihrer bisherigen Karriere. | Foto: Cor Vos

"Als Demi weggefahren ist, das war natürlich schrecklich. Der Berg (Col du Glandon, d. Red.) war so hart und ich hatte das Gefühl, meine Beine zu verlieren. Ich musste geduldig bleiben und mein Tempo halten. In der Abfahrt konnte ich mich dann erholen, etwas trinken und da ist auch die Energie zurückgekommen. Vorher habe ich die Energieversorgung glaube ich etwas vergessen. Aber dann kam die Energie zurück und ich konnte den letzten Berg auf meinem besten Level hochfahren“, schilderte Niewiadoma die entscheidenden Szenen eines denkwürdigen Rennens, in dem sie wie auch Vollering und Rooijakkers Geschichte schrieb.

Spannung und Dramatik bis zum letzten Meter

Schließlich lagen die besten drei Fahrerinnen dieser Tour um gerade mal zehn Sekunden auseinander. Im Männerrennen betrug der Vorsprung von Überflieger Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) auf den Gesamtdritten Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step) nicht weniger als 9:18 Minuten.

"Ich hatte noch nicht genug Zeit darüber nachzudenken, was wir hier Historisches erreicht haben oder so. Aber es fühlt sich einfach großartig an, oben auf dem Podium zu stehen und für all die harte Arbeit des gesamten Teams belohnt zu werden. Man pusht immer so hart und es läuft einfach nicht in deine Richtung, wie auch bei Olympia vor zwei Wochen“, sagte Niewiadoma, die im Straßenrennen von Paris statt der angepeilten Medaille sich mit Rang acht begnügen musste. In Alpe d’Huez nun feierte sie nun ein umso größeres Happy End. “Dann klappt irgendwann alles, alle Sterne reihen sich auf und es funktioniert. Wir alle haben heute Geschichte geschrieben, denke ich“, fügte sie an.

"Das hier ist das allergrößte, was du in unserem Sport erzielen kannst“, stieß ihr Team-Manager Ronny Lauke gegenüber RSN ins gleiche Horn. “Das ist jetzt die dritte Edition. Als das Rennen auf den Kalender kam haben wir gesagt: Das ist ab sofort unser Saison-Highlight, da geben wir alles für. Jetzt sind wir ganz oben auf dem Treppchen, das ist wie ein Märchen und etwas sehr besonderes. Mehr kann man in unserem Sport nicht erreichen“, kommentierte der 47-Jährige den Coup seiner Fahrerin, die er in höchsten Tönen lobte: “Sie hat Charakter und Herz und ich glaube das hat heute den großen Unterschied gemacht. Es waren nicht die Beine, sondern ihre Persönlichkeit, ihr Charakter und ihr Herz – was sie als Person ausmacht. Das ist einfach geil, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll."

Strahlende Freude im Ziel: Niewiadoma bejubelt ihren großen Triumph. | Foto: Cor Vos

Lauke war noch mitgenommen von einem Rennverlauf, der alle Höhen und Tiefen bereithielt, die der Radsport bereithält und der alle Planungen schnell Makulatur werden lässt. "Das Rennen lief erstmal so, wie wir es erwartet hatten. Es war keine Überraschung, dass eine Gruppe geht und Demi es schon am Glandon versuchen würde. Das hatten wir auf dem Schirm. Aber was wir nicht auf dem Schirm hatten war, dass Kasia nicht am Rad bleiben konnte. Wir waren sehr davon überzeugt, dass sie das schaffen würde. Das tat sie aber nicht.“

Lauke: “Wir mussten sie zwischendurch in Ruhe lassen“

Doch Niewiadoma erwies sich auch am letzten und entscheidenden Tag der Tour de France als die große Kämpferin, als die man sie seit Jahren kennt. "Wir haben zwischendurch mal die Bücher zugeklappt und gesagt: Okay, wir lassen sie jetzt in Ruhe. Und dann haben wir gedacht: Okay, es ist doch noch alles in Reichweite, sie sehen vorne doch wieder schlechter aus. Dann haben wir weitergepusht. Sie war zwischendurch auch am Limit und wir mussten sie in Ruhe lassen. Sie hat das Zeichen dafür gegeben“, berichtete Lauke, der dann mit den anderen Sportlichen Leitern André Schulze und Adam Szabo alle nötige Unterstützung gab, als die gefordert war. “Aber man muss eben immer weiter dran glauben und das auch weitervermitteln, sonst gibt die Fahrerin auch auf“, fügte er an.

Das Podium der 3. Tour de France Femmes, v.l.: Demi Vollering (SD Worx – Protime), Kasia Niewiadoma (Canyon – SRAM), Pauliena Rooijakkers (Fenix – Deceuninck) | Foto: Cor Vos

Davon war bei Niewiadoma auf den letzten 50 Kilometern der Frankreich-Rundfahrt 2024 nichts zu spüren und schließlich belohnte sie sich für ihren Kampfgeist mit dem so ersehnten Gelben Trikot. "Es fühlt sich großartig an – auch wenn es mir noch richtig bewusst werden muss, glaube ich“, betonte Niewiadoma, und ihre Teamkollegin Neve Bradbury, die aufgrund von mehreren Stürzen ihrer Kapitänin nicht wie erhofft zur Seite stehen konnte, ließ ihren Gefühlen noch im Rennen freien Lauf. 

"Ich hatte noch ungefähr 4,5 Kilometer zu fahren, als sie im Ziel war. Da sind mir ein paar Tränen in die Augen geschossen. Ich konnte die Emotionen nicht mehr zurückhalten, aber das hat die letzten vier Kilometer auch deutlich leichter gemacht“, berichtete die 22-jährige Australierin gegenüber RSN im Ziel. “Ich bin wirklich enttäuscht, dass ich sie (Niewiadoma) nicht mehr unterstützen konnte. Aber am Ende hat sei es nicht gebraucht“, fügte die Dritte des diesjährigen Giro d’Italia lachend an.

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