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02.10.2024 | (rsn) - Katarzyna, kurz Kasia, Niewiadoma wird ihren Titel als Gravel-Weltmeisterin am kommenden Samstag in Belgien nicht verteidigen und hat ihre Saison mit der Straßen-WM am Sonntag abgeschlossen. Das hat die Polin am Mittwoch offiziell bekanntgegeben. radsport-news.com traf die Tour-de-France-Siegerin schon am Montag in Koblenz bei einem PR-Termin beim Hauptsponsor ihres Teams Canyon – SRAM zum ausführlichen Interview.
Dort erklärte sie ihren Verzicht auf die Titelverteidigung bereits, sprach über ihre Probleme bei den Straßen-Weltmeisterschaften in Zürich, steckte ihre größten Ziele für 2025 schon mal ab und wünschte sich außerdem den Ausbau der Frauen-Tour von einer auf zwei Wochen.
Kasia, am Sonntag hatten Sie Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Gab es eine große Party?
Kasia Niewiadoma: "Ich würde es nicht große Party nennen. Nach vier Stunden in Kälte und Regen am Samstag war ich einfach fertig. Mir war mehr nach chillen zumute. Rings um die Rennen ist es einfach sehr schwierig, einen Moment für sich selbst zu finden."
Genau, am Tag vor Ihrem Geburtstag fand das WM-Straßenrennen statt. Was lief da sportlich für Sie schief? Denn angereist waren Sie ja mit großen Ambitionen. Also, was passte nicht?
Niewiadoma: "Es waren gleich ein paar Dinge. Ich glaube, ich habe die Wetterbedingungen etwas unterschätzt. Dazu kam, dass man die WM-Rennen ja in den Farben des Verbands fährt. Und nicht jeder nationale Verband ist gut vorbereitet für bestimmte Bedingungen. Man kann auch nicht alles tragen, was man will. Das verbieten die UCI-Regeln. Ich bedaure etwas, die nicht gebrochen und nicht das getan zu haben, was am besten für mich ist."
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Im Ernst, Sie bedauern, UCI-Regeln eingehalten zu haben? Welche denn genau?
Niewiadoma: "Na die, dass man keine Teamkleidung anziehen darf. Im Team haben wir Kleidung, die gut ist für solche Bedingungen. Da hätte ich mich warmhalten können und wäre auch im Finale noch schlagkräftig gewesen. Aber vielleicht war ich auch etwas zu selbstbewusst. Denn ich weiß ja, dass ich bei schlechter Witterung ganz gut performen kann. Jetzt machte mein Körper aber einfach zu. Ich gräme mich allerdings auch nicht groß darüber. Ich habe einfach gemerkt, dass mein Körper nicht das höchste Niveau abrufen konnte."
Niewiadoma erreichte das Ziel in Zürich bei der verregneten Straßen-WM als 17., drei Minuten nach Weltmeisterin Lotte Kopecky – und völlig durchgefroren. | Foto: Cor Vos
Sie fahren jetzt auch nicht zur Gravel-WM, verteidigen nicht Ihren Titel. Das kommt etwas überraschend. Was sind die Gründe?
Niewiadoma: "Die Saison war superintensiv, auch mit der Zusammenballung von Tour und Olympia. Ich habe dafür wirklich eine Menge geopfert. Und deshalb bin ich dankbar, dass ich die Saison jetzt nicht noch weiter verlängern muss. Leider findet die Gravel-WM ja auch in Belgien statt. Der Parcours ist flach. Und ich glaube, das ist nicht superunterhaltsam, daran teilzunehmen."
Sie hatten nach der Tour auch Covid. Spielt das ebenfalls eine Rolle für das Saisonende jetzt?
Niewiadoma: "Ja, es war nicht perfekt. Ich glaube, mein Körper braucht etwas Ruhe, damit ich wieder frisch werden, Energie tanken und dann die Saison 2025 angehen kann."
Was sind da Ihre größten Ziele? Sicher die Verteidigung des Gelben Trikots bei der Tour, oder?
Niewiadoma: "Natürlich! Das will ich unbedingt verteidigen. Ich will aber auch den WM-Titel auf der Straße holen. Ich weiß, dass ich ein gutes Niveau dafür habe und noch nicht alles herausgeholt habe. Eines Tages will ich hier nach Koblenz mit dem Regenbogentrikot kommen. Das nehme ich mir für mich, aber auch für das Team und die Sponsoren vor."
Man hatte das Gefühl, dass der Gravel-Titel in der letzten Saison bei Ihnen auf alle Fälle mental etwas bewirkt hat. Was hat es ausgelöst, nach all den zweiten, dritten und vierten Plätzen nun endlich vorn zu sein?
Niewiadoma: "Nach der Gravel-WM letztes Jahr hatte ich definitiv das Gefühl, dass jetzt alles gepasst hat. Vorher war ich auch auf gutem Niveau, aber es ging trotzdem immer etwas schief, sei es ein Mangel an Selbstvertrauen, ein schlechtes Timing oder was auch immer. Deshalb war es toll, die Saison mit einem Sieg zu beenden. Den Winter über konnte ich dann an meinen Schwächen arbeiten, auch meinen mentalen Schwächen. Und zu Beginn der Saison 2024 wusste ich einfach, was ich erreichen will, und dass ich nicht in den alten Mustern stecken bleiben wollte."
Im vergangenen Jahr gewann Niewiadoma die Gravel-WM in Italien vor Silvia Persico (links) und Demi Vollering (rechts). | Foto: Cor Vos
Welche waren das?
Niewiadoma: "Zu lange zu warten oder die Rivalinnen zu sehr zu fürchten, solche Sachen."
Was ist das Geheimnis, den richtigen Moment für eine Attacke zu finden?
Niewiadoma: "Gute Frage. Ehrlich gesagt kommt es darauf an, einfach dem ersten Instinkt zu vertrauen und sich keine Zweifel oder zweite Gedanken zu erlauben. Höre einfach auf das, was dir dein Inneres sagt."
Ernsthaft? Bei all den Daten, die derzeit im Radsport abgerufen werden, dann einfach doch auf die alte Art: Auf den Instinkt hören?
Niewiadoma: "Ganz genau. Exakt so, wie wir das bei Pogacar im WM-Rennen gesehen haben. Er hatte den Impuls 100 km vor dem Ziel. Er sagte später, dass das eigentlich dumm gewesen sei. Aber er hat gewonnen."
Da wünscht man Ihnen und uns doch manche weitere Dummheit dieser Art. Aber wie haben Sie eigentlich diese doch lange Phase überstanden, als Sie ja schon auf sehr gutem Niveau waren, aber doch vor allem nur zweite, dritte und vierte Plätze herauskamen und viele meinten, ja, der Kasia fehlt doch der letzte Biss, das letzte Quäntchen für den Sieg?
Niewiadoma: "Ich habe mich einfach nicht daran orientiert, was andere Leute, die nichts mit meiner Arbeit zu tun haben, sagen, sondern mich nur auf die konzentriert, die mit mir oder für unsere Sache arbeiten. Denn sie haben verstanden, wo ich durch musste und kannten den Hintergrund. Ich habe in den letzten Jahren viel gelernt, einmal, was für den Erfolg, für Resultate wichtig ist, aber auch, dass man das, was andere sagen, zwar nicht ignoriert, aber aufpasst, dass es einen nicht zu sehr belastet."
Bringen Sie uns einfach noch mal zurück zu Ihrem großen Moment, zur Etappe von L'Alpe d'Huez, als Sie zunächst einer Attacke von Demi Vollering nicht folgen konnten und es ganz danach aussah, als würden Sie da die Tour verlieren. Was haben Sie da gedacht, gefühlt, gezweifelt, wie sich überwunden?
Niewiadoma: "Wir sind damals zunächst den Col du Glandon hochgefahren. Das ist mehr als eine Stunde pures Klettern. Ich war so konzentriert darauf, an Demis Rad zu bleiben, sie nicht gehen zu lassen, dass ich den Punkt Essen unterschätzt habe. Als sie antrat, hatte ich einfach nichts zum Gegensetzen. Mein Körper war leer. Und das hat mich natürlich mental beeinflusst. Ich war wirklich nicht sehr überzeugt von mir in diesem Moment. Aber dann konnte ich wieder etwas zu mir nehmen. Ich merkte, mein Körper reagiert gut und ich begann daran zu glauben, dass alles noch möglich ist. Ich sah auch einfach keine andere Wahl, als einfach mein Bestes zu geben. Aufzugeben war keine Option."
Niewiadoma auf dem Weg hinauf nach L'Alpe d'Huez und zum Tour-Sieg um vier Sekunden. | Foto: Cor Vos
Es wurde dann richtig eng, vier Sekunden am Ende. Und es war ja nicht nur Sie gegen Demi. Auch Pauliena Rooijakkers hatte an diesem verrückten Tag noch die Chance, die gesamte Tour zu gewinnen.
Niewiadoma: "Es ist gut, dass Sie das erwähnen, dass es nicht nur Demi gegen mich war, sondern auch Pauliena dabei war. Sie ist ein tolles Rennen gefahren. Und die letzten zwei Jahre war sie ja noch bei uns im Team. Ich weiß, was sie für eine harte Arbeiterin ist. Man sollte sie und ihre fantastische Leistung an diesem Berg viel mehr beachten."
Aber wo nahmen Sie selbst die Kraft her für diesen Kampf? Vor dem Fernseher dachte ich zumindest: Ok, das wird jetzt nichts mehr.
Niewiadoma: "Jeder dachte das. Wir haben zwei Monate vorher einen Recon gemacht. Ich wusste, wie schwer der letzte Anstieg wird. Während des Rennens habe ich aber ehrlich gesagt nicht viel darüber nachgedacht. Denn der Schmerz war so groß und es dauerte auch so lange. Wenn du so leidest, willst du einfach, dass das Leiden so schnell wie möglich aufhört."
Und deshalb fährt man dann schneller, damit der Schmerz schneller vorbei ist?
Niewiadoma: "Genau, es soll einfach aufhören, das denkst du da. Es ist schwer, das in Worte zu fassen, aber es ist eine Agonie, die nicht aufhört, erst dann, wenn man das Ziel erreicht hat. Und es dauerte mehr als ein Jahr, nein, Entschuldigung, mehr als eine Stunde. Ein Jahr, das wäre ja grausam! Und ich denke, jede von uns fühlte das, nicht nur ich, Demi oder Pauliena. Alle mussten wir sehr schlimmes Leiden überstehen."
Für die Tour in diesem Jahr trainierten Sie extra die langen, schweren Anstiege. Das zahlte sich dann auch famos aus. Welcher Fokus auf Verbesserungen liegt in der kommenden Vorbereitung? Woran wollen Sie da vermehrt arbeiten?
Niewiadoma: "Ich will auf alle Fälle schneller im Sprint werden. Ich fahre oft eine Attacke, aber werde auch oft wieder eingefangen, weil das Frauenpeloton inzwischen eine höhere Qualität hat und viele gut besetzte Teams dabei sind. Es ist selten, dass man allein im Ziel ankommt, weil die letzten Kilometer oft auch flach sind. Und dort will ich einfach besser werden."
Eine andere Subdisziplin, auf der Sie nicht ganz so gut sind, ist das Zeitfahren. Wie erbost ist eigentlich Ihr Partner Taylor Phinney, der ja ein Zeitfahr-Ass war, dass Sie auf diesem Gebiet bislang kaum erfolgreich waren?
Niewiadoma: "Ah, Taylor ist nicht sauer, er ist der letzte Mensch auf dem Planeten, der über so etwas sauer sein könnte. Aber klar, auch daran will ich im Winter arbeiten. Und es ist toll, ihn dabei und in meine Karriere involviert zu haben. Ja, das ist wirklich eine Baustelle für den Winter."
Sie haben jetzt die 30 erreicht. Spüren Sie da schon eine Veränderung, in Ihrem Sein als Mensch, vielleicht auch in den Zielen und Ambitionen?
Niewiadoma: "Nein, geändert hat sich eigentlich nichts. Natürlich ist man geneigt, auf bestimmte Dinge vorauszuschauen, auf einen bestimmten Geburtstag oder auch wie das Wetter wird. Für mich als Frau fühlt sich das jetzt großartig an, denn ich bin reifer geworden, weiß besser, was ich will, bin selbstbewusster und weniger naiv. Und ich denke, als Fahrerin kann ich davon profitieren, wenn ich weniger konfus bin. Und dass ich 30 geworden bin, bedeutet eben, dass ich mehr will vom Leben, höhere Ziele habe und ganz vorn sein will."
Im April gewann Niewiadoma bei Eiseskälte den Flèche Wallonne in Huy – ihr erster Straßensieg seit fast fünf Jahren war das damals. | Foto: Cor Vos
Nächstes Jahr kommt Pauline Ferrand-Prévot zurück. Im Gelände hat sie ja so gut wie alles gewonnen und auch auf der Straße war sie vor zehn Jahren schon Weltmeisterin. Jetzt will sie die Tour gewinnen, wie Sie ja auch. Fürchten Sie die neue Konkurrenz oder freuen Sie sich auf noch komplexere Wettkämpfe?
Niewiadoma: "Nein, ich fürchte sie nicht. Wie ich schon sagte, bestand zuletzt ja meine Arbeit auch darin, mich mental widerstandsfähiger zu machen und mich nicht dominieren zu lassen von anderen. Es ist toll, dass sie zurückkommt, das fügt eine neue Schicht hinzu, auf alle Fälle zwei neue Beine, die in den Rennen mitmischen wollen. Man darf aber nicht vergessen, dass sich der Frauenradsport auf der Straße in den letzten Jahren enorm entwickelt hat. Sie ist eine großartige Sportlerin, keine Frage, hat viel gewonnen, ist Olympiasiegerin, aber auch sie wird Zeit brauchen, um sich zu adaptieren. Und ich glaube, wenn es um meine direkten Rivalinnen geht, dann ist eine andere Rückkehrerin, nämlich Anna van der Breggen, eher zu nennen."
Sie sind jetzt hier in Koblenz bei Ihrem Ausrüster, die beste Gelegenheit also, zu sagen, wo Sie am Rad noch Verbesserungen sehen. Was sagen Sie den Ingenieuren hier, an welchen Stellschrauben sollten die noch drehen?
Niewiadoma: "Es ist zunächst einfach schön, hier zu sein. Die ganze Saison interagieren wir mit dem Material, jetzt können wir auch mit den Menschen interagieren, die dafür sorgen, dass wir schnell unterwegs sein können. Aber Dinge, die am Rad besser werden könnten, fallen mir partout nicht ein. Nein, es ist tiptop."
Tauschen Sie sich eigentlich mit Fahrern und Fahrrinnen aus anderen Rennställen, die ebenfalls auf Canyon-Material fahren, aus, zum Beispiel mit Mathieu van der Poel?
Niewiadoma: "Wenn man auf einem Rad sitzt, das einfach nur fließt und sich perfekt anfühlt, dann kommt einem das so natürlich vor, dass man damit regelrecht verschmilzt. Und dann denkt man auch nicht über das Equipment nach oder spricht darüber. Du sprichst vor allem dann, wenn etwas nicht so gut funktioniert. Dann möchtest du, dass sich das ändert. Aber wenn alles perfekt ist, dann bist du einfach nur dankbar. Und dass Mathieu für gleich zehn Jahre verlängert hat, zeigt ja, dass er keinen Zweifel daran hat, dass das der beste Hersteller ist."
Und Sie, wieviel Jahre wollen Sie noch draufpacken?
Niewiadoma: "Ich habe schon für zwei Jahre verlängert."
Sie fahren jetzt für ein deutsches Team, Canyon - SRAM, haben einen deutschen Hersteller. Wie wichtig ist das für Sie? Oder ist es einfach Zufall, und irgendwie auch egal?
Niewiadoma: "Ich mag die deutsche Kultur und den deutschen Ansatz bei der Arbeit. Es geht immer diszipliniert zu, Pünktlichkeit ist wichtig. Das ist eine Arbeitsumgebung, die zu mir passt. Und dann will ich auch selbst mehr geben und pushe mich, um Perfektion zu erreichen."
Unendliche Freude: Niewiadoma feiert ihren Tour-Sieg in L'Alpe d'Huez. | Foto: Cor Vos
Sie sprachen vorher vom unendlichen Leiden im Anstieg von L'Alpe d'Huez. Danach war die Tour in diesem Jahr zu Ende. Könnten Sie sich vorstellen, dann noch eine Woche dran zu hängen, also zwei Wochen Tour de France anstelle einer nur einwöchigen Rundfahrt?
Niewiadoma: "Ja, das kann ich mir sogar sehr gut vorstellen. Denn das Frauenpeloton hat sich entwickelt. Man sieht ja, wie intensiv die kürzeren Etappen gefahren werden. Jeder will die Gelegenheit nutzen, inszeniert Fluchtgruppen, lanciert Attacken. Manchmal fragen die Leute uns, ob wir nicht auch längere Etappen haben wollen. Aber ich denke, dann werden die Rennen nur langweiliger, weil jeder auf das Finale wartet. Wenn man nur 120 oder 140 Kilometer hat anstatt 170 oder mehr, dann ist die Action da. Und das kann gut über zwei Wochen gehen, ja."
Die magische Formel wäre also zwei Wochen Tour mit kürzeren Etappen?
Niewiadoma: "Ja, zwei Wochen und alles bis 160 Kilometer. Wenn es länger wird es langweilig, jedenfalls für mich."
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