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07.08.2007 | (Ra) – In keiner beneidenswerten Situation befindet sich Astana-Chef Marc Biver. Nach dem Tour-Fiasko seiner Mannschaft sucht der Luxemburger nach einem Weg, um dem von kasachischen Konzernen finanzierten Rennstall aus den Tiefen der Dopingskandale um seinen Kapitän Alexander Winokurow und des Deutschen Matthias Kessler zu befreien. Nachdem Biver vor der Tour noch vehement die Notwendigkeit eines aktiven teaminternen Vorgehens gegen Doping bestritten hatte, kündigte er nun gegenüber der französischsprachigen Schweizer Tageszeitung Le Temps nun „drakonische Maßnahmen“ an. Radsport aktiv übersetzt das Interview in Auszügen.
Wenn Sie die Situation mit ein wenig Abstand betrachten, was empfinden Sie bei diesem „Wirbelsturm“, der Ihr Team bei der Tour de France heimgesucht hat?
Biver: Ich teile das allgemeine Empfinden im Team. Wir haben das Gefühl verraten worden zu sein.
Fühlen Sie sich mitschuldig an der Situation ihres Teams?
Biver: Nein, außer wenn ich einige Artikel über mich lese. Ich würde eher von einem Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber diesem „Tsunami“, der über das Team hereingebrochen ist, sprechen. Das soll heißen: Wenn all das passiert ist, dann deshalb, weil Fehler gemacht wurden, auch von mir.
Welche Fehler?
Biver: Wir waren bei manchen Gelegenheiten naiv. Und da denkt Mario Kummer wie ich: Wir haben im Verlauf der Tour ein bisschen die Kontrolle über die Mannschaft verloren. Beim Start in London war die Stimmung noch super, aber nach den Stürzen von Klöden und Wino war sie schon viel angespannter. Dazu gab es viele Leute im Umfeld von Wino – sein Vater, aber auch viele Kasachen -, die ich nicht kannte.
Hatte Winokurow nicht zu viel Macht und zu viele Freiheiten?
Biver: Er hatte die Macht für sich selbst und er hat sich selber den Druck gemacht. Er ist wie ein Star aufgetreten, ich habe ihn nur mit Leibwächter und Sonnebrille gesehen. Ein Mechaniker, der ihn gut kennt, hat gesagt, er hätte Wino noch nie so nervös gesehen.
Wie war Ihre persönliche Beziehung zu Winokurow?
Biver: Wir hatten nie eine gespannte Beziehung zueinander, aber Wino ist auch kein einfacher oder offener Mensch. Er sprach sehr wenig, was bedeutet: Der Fahrer denkt nur an sich. Ich wiederhole: Wir hätten strikter sein müssen im Hinblick auf sein Umfeld.
Noch zwei Tage vor dem Tourstart haben Sie Winokurows Zusammenarbeit mit dem umstrittenen italienischen Sportmediziner Michele Ferrari verteidigt. Bereuen Sie das?
Biver: Ich bereue nicht, was ich gesagt habe, weil ich es immer noch denke. Ferrari kenne ich seit der „EPO-Epoche“ (die neunziger Jahre, d. Red.). Ich habe ihn immer als sehr direkt, aufrichtig und sympathisch empfunden. Er machte schon damals sehr gute Trainingspläne. Ich kann kein anderes Urteil über Ferrari fällen, ich habe keine Beweise gegen ihn. Wenn Wino positiv war, glaube ich nicht, dass das die Schuld von Ferrari ist. Aber klar ist: Wir können es uns zukünftig nicht mehr erlauben, unsere Fahrer mit Leuten zusammenarbeiten zu lassen, die einen zweifelhaften Ruf haben. Wir werden nie wieder einen Fahrer, ganz gleich, welchen Status er hat, selbst entscheiden lassen, in welchem Umfeld er sich weiterentwickelt.
Welcher Schaden ist durch den Tour-Rückzug entstanden?
Biver: Finanziell: 200.000€, aber der Schaden an Image und Glaubwürdigkeit ist nicht in Zahlen zu fassen.
Sie können Winokurow laut Vertrag dazu verpflichten, sein gesamtes Gehalt zurückzuzahlen. Werden Sie das tun?
Biver: Ich würde gerne. Er hat uns das Leben versaut und ich habe keine Lust, ihm irgendetwas zu schenken. Aber wie wird sich der kasachische Verband dann verhalten?
Haben Sie Garantien für die Zukunft Ihres Teams?
Biver: Danial Akhmetov, (der kasachische Verbandspräsident und kasachische Verteidigungsminister, d. Red.) hat mir am Samstag gesagt, dass wir weiter machen. Er hat mir alle Garantien gegeben. Das politische Interesse von Astana geht weit über den Fall Winokurow hinaus. In Kasachstan gibt es 14 Trainingscamps, in denen 6.000 Jugendliche betreut werden.
Wie wollen Sie Glaubwürdigkeit zurück gewinnen?
Biver: Wir führen in diesen Tagen eine teaminterne Untersuchung durch, um heraus zu bekommen, was wir falsch gemacht haben. Wir werden nicht zögern sofort alle zu entlassen, bei denen Zweifel bestehen. Wir können zum Beispiel keine Masseure oder Mechaniker mehr halten, die Wino sehr nahe standen. Wir werden drakonische Maßnahmen ergreifen.
Welche Maßnahmen?
Biver: An dem Morgen des Tages als Wino positiv getestet wurde, haben wir seine Werte kontrolliert. Für uns waren die in Ordnung. Das zeigt, dass wir noch weiter gehen müssen. Wir brauchen ein neutrales Kontrollsystem, welches nichts mit dem Team zu tun hat. Ich würde gerne Swiss Olympic damit beauftragen und ihnen sagen: „Ich möchte, dass die 28 Fahrer unangekündigt zehn Mal im Jahr getestet werden. Wir schicken Ihnen die Pläne (wo sich die Fahrer aufhalten) und sie kommen, wann immer Sie wollen.“ Wer dann auffällige Werte hat, fliegt raus. Ich würde auch gerne Thomas Schediwie, den Trainer von Andreas Klöden, engagieren, damit er unsere jungen Fahrer betreut.
Sie attestieren sich selbst Naivität, arbeiten aber schon seit etwa 12 Jahren in diesem Metier, unter anderem als Manager von Tony Rominger und Laurent Dufaux…
Biver: Ja, aber ich habe mich nie in die Abläufe innerhalb eines Teams eingemischt. Manager gehörten nicht zu diesen Kreisen.
Was denken Sie über das Radsportmilieu?
Biver: Was ich mich für herausziehe ist, dass man keinem vertrauen kann und es keine Solidarität unter den Menschen gibt.
Warum machen Sie dann weiter?
Biver: Das ist eine gute Frage. Nachdem, was alles passiert ist, hätte ich eigentlich gehen müssen. Ich hätte aber das Gefühl gehabt, das Schiff zu verlassen, obwohl noch Leute meine Hilfe benötigen.
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