RSN-Rangliste 2010 - Platz 1: Alberto Contador (Astana)

Pistolero im Kreuzfeuer

Von Christoph Adamietz

Foto zu dem Text "Pistolero im Kreuzfeuer"
Alberto Contador

30.12.2010  |  (rsn) – Der Konkurrenz fuhr Alberto Contador in der abgelaufenen Saison in gewohnter Manier davon, den Zweifeln konnte er jedoch nicht entkommen. Nach seinem positiven Test auf Clenbuterol während der Tour de France geriet der Pistolero im Herbst ins Kreuzfeuer. So wie sein Toursieg in Frankreich dank einer Attacke nach einem Defekt von Andy Schleck einen faden Beigeschmack hatte, so wird auch der positive Test – ganz gleich, ob Contador gesperrt wird oder nicht – dem Image das Spaniers weiteren Schaden zufügen.

Dabei hätte rein sportlich betrachtet Contadors Saison nicht besser laufen können. Der Astana-Kapitän gewann nach 2007 und 2009 zum dritten Mal die Tour de France, wenn auch nur knapp und dank seiner umstrittenen Attacke, als seinem großen Rivale Andy Schleck die Kette vom Rad gesprungen war. „Ja, ich attackierte Andy, als er ein technisches Problem hatte. Das Rennen war in vollem Gange. Vielleicht machte ich einen Fehler. Entschuldigung!“, versuchte sich Contador in Schadenbegrenzung, nachdem er sich auf der 15. Etappe vom Luxemburger das Gelbe Trikot geholt hatte.

Bittere Ironie: In Paris hatte Contador genau jenen Vorsprung auf Schleck, den er in Folge des Defekts hatte herausfahren können – nämlich ganze 39 Sekunden. „Der Spanier war ohne Zweifel schwächer als Andy Schleck, aber seine Gaunerei und seine Erfahrung haben ihm den dritten Sieg beschert“, hieß es in französischen Tageszeitungen. „In diesem Jahr gab es Momente, in denen ich schwächelte. Ich habe zum Teil nicht gut geschlafen, hatte Bauchschmerzen - aber am Ende ist doch alles gut gelaufen. Ich war nicht in der besten Verfassung und das, obwohl ich mich akribisch vorbereitet habe“, bilanzierte Contador selbstkritisch nach der Tour.

Mit der Algarve-Rundfahrt (Kat. 2.1), Paris-Nizza und der Vuelta a Castilla y Leon (Kat. 2.1) gewann der 28-Jährige drei weitere Rundfahrten, beim Critérium du Dauphiné musste er sich hinter dem Slowenen Janez Brajkovic (Radioshack) mit Platz zwei begnügen. Doch auch in den Eintagesrennen setzte Contador einige Ausrufezeichen. Den Flèche Wallonne beendete er auf Rang drei, Lüttich-Bastogne-Lüttich auf Platz neun.

Rein an den Ergebnissen gemessen also eine überragende Saison - wie eigentlich immer in den vergangenen vier Jahren. Doch diesmal sollte alles anders kommen. Wurden die Leistungen des Madrilenen immer wieder angezweifelt, sahen sich die Kritiker den positiven Test auf Clenbuterol bestätigt. Dabei machten sowohl Contador als auch der Radsportweltverband keine gute Figur, da die UCI in offensichtlicher Absprache mit dem derzeit besten Rundfahrer der Welt zunächst versucht hatte, den positiven Test unter den Tisch zu kehren.

„Die UCI bat mich, niemandem etwas zu sagen. Es schien alles in Ordnung, und ich bin davon ausgegangen, dass der Fall intern geregelt wird“, so Contador in entlarvender Direktheit. Und in der UCI-Pressemitteilung hieß es unter anderem fast entschuldigend: „Die Konzentration lag bei einem Wert von 50 Pikogramm, der damit 400-mal niedriger war als der, den WADA-Labore in Proben entdecken müssen." Der Astana-Kapitän selbst begründete den positiven Test mit verunreinigtem Fleisch aus Spanien, das er am zweiten Ruhetag gegessen habe. Für manche Experten eine plausible Erklärung, für die meisten allerdings das reinste Ammenmärchen.

Ob und wie lange Contador, der im neuen Jahr eigentlich bei Saxo Bank die Lücken füllen soll, die der Abgang der Schleck-Brüder hinterlassen hat, gesperrt wird, steht noch nicht fest. Derzeit läuft ein vom spanischen Radsportverband eingeleitetes Disziplinarverfahren. Möglicherweise wird der Fall vor dem internationalen Sportgerichtshof CAS landen. Sollte Contador aus dem Verkehr gezogen werden, würde ihm der Toursieg aberkannt werden*.

Aber auch ein Freispruch würde die beschmutzte Weste des dreifachen Toursiegers nicht mehr weiß waschen können. Nur in Spanien scheinen die Uhren nach wie vor anders zu gehen. In seiner Heimatstadt etwa wurde Contador zum Ehrenbürger ernannt. „Der Sieg Alberto Contadors bei der Tour ist der Sieg der Rechtschaffenheit, der Aufopferung, der Anstrengung sowie der harten und stillen alltäglichen Arbeit“, so der Bürgermeister in seiner pathetischen Begründung.


* In dem Fall würde Contador auch aus der Radsport News-Rangliste genommen.

 

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