Schweizer gewinnt sensationell Lombardei-Rundfahrt

Zaugg lässt die Favoriten stehen

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Oliver Zaugg (Leopard-Trek) hat die 105. Auflage der Lombardei-Rundfahrt gewonnen. | Foto: ROTH

15.10.2011  |  (rsn) – Oliver Zaugg (Leopard-Trek) heißt der Sensationssieger der 105. Lombardei-Rundfahrt. Der 30 Jahre alte Schweizer gewann nach einer Attacke im letzten Anstieg als Solist den italienischen Herbstklassiker und feierte den größten Erfolg seiner Karriere. Zudem bescherte der kleine Kletterspezialist seinem Rennstall, der am Ende der Saison mit RadioShack fusioniert, doch noch den ersehnten Sieg in einem großen Rennen.

"Ich kann nicht sprinten. Eine Attacke war für mich die einzige Möglichkeit, hier erfolgreich zu sein. Ich bin schon meine ganze Karriere Helfer. Heute hat mir das Team die Chance gegeben, auf eigene Rechnung zu fahren. Dafür bin ich dem Team unglaublich dankbar", sagte der Mann des Tages im Ziel.

Zaugg setzte sich über 241 Kilometer von Mailand nach Lecco am Comer See mit acht Sekunden Vorsprung auf den Iren Daniel Martin (Garmin-Cervélo) und den Spanier Joaquim Rodriguez (Katjuscha) durch. Auf Platz vier folgte als bester Italiener Ivan Basso (Liquigas-Cannondale) vor dem Polen Przemyslav Niemiec (Lampre–ISD) und seinen Landsleuten Domenico Pozzovivo (Colnago-CSF) und Giovanni Visconti (Farnese Vini). Der Italienische Meister führte 15 Sekunden hinter Zaugg eine zweite Verfolgergruppe um Titelverteidiger Philippe Gilbert (Omega Pharma-Lotto) ins Ziel.

Der 29 Jahre alte Belgier, der das "Rennen der fallenden Blätter" in den beiden vergangenen Jahren in überlegener Manier gewonnen hatte, musste einer langen und kräfteraubenden Saison Tribut zollen und sich diesmal mit Platz acht begnügen. Neunter wurde der erst 22 Jahre alte Kolumbianer Carlos Alberto Betancourt (Acqua & Sapone), der vor einer Woche den Giro dell'Emilia gewonnen hatte. Platz zehn ging an den Italiener Riccardo Chiarini (Androni Giocattoli).

"Es gab heute stärkere Fahrer, mehr gibt's dazu nicht zusagen", trug Gilbert das Ergebnis mit Fassung. "An einem solchen Tag ist es eine Kombination von vielen kleinen Dingen. Am Ende ist es die Frage von etwas weniger Kraft und Form. Und auf so einem Niveau kann das den Sieg kosten."

An einem strahlend schönen Herbsttag dauerte es bis zu Kilometer 42, bis sich eine sechsköpfige Gruppe lösen konnte. Paris-Roubaix-Gewinner Johan Vansummeren (Garmin-Cervélo), der Japaner Yukiya Arashiro (Europcar), der Spanier Mikel Astarloza (Euskaltel) sowie die Italiener Omar Bertazzo (Androni Giocattoli), Claudio Corioni (Acqua & Sapone) und Andrea Pasqualon (Colnago-CSF Inox) fuhren etwa drei Minuten an Vorsprung auf das Peloton heraus, in dem vor allem Liquigas-Cannondale für das Tempo sorgte. Schon hier war die Strategie des Basso-Teams erkennbar: Topfavorit Gilbert unter Druck zu setzen und einer vorzeitige Attacke für den zweifachen Girosieger oder Vincenzo Nibali den Boden zu bereiten.

Im Anstieg zum Colma di Sormino, als das Feld nur noch 1:30 Minuten hinter den Ausreißern lag, ließen Vansummeren, Astarloza und Arashiro ihre Begleiter stehen. Am Gipfel hatte das Trio einen knapp einminütigen Vorsprung, der schnell von einer prominent besetzten Gruppe um Gilbert, dessen Landsmann Greg Van Avermaet (BMC) und Nibali wettgemacht wurde.

Im berühmten, 8,5 Kilometer langen Anstieg zur Madonna di Ghisallo wollte es dann Nibali wissen, der in dieser Saison noch auf einen Sieg wartete: Der Sizilianer attackierte aus dem Ort Bellagio heraus – stolze 51 Kilometer vor dem Ziel - und schüttelte mit einem kräftigen Antritt Gilbert & Co. ab. Um den Belgischen Meister herum bildete sich eine neue Verfolgergruppe mit dem Franzosen Christophe LeMevel (Garmin-Cervélo), dem Dänen Jakob Fuglsang aus der starken Leopard-Mannschaft, Visconti, Gilbert und Pozzovivo. Doch noch vor dem Gipfel hatte das deutlich geschrumpfte Feld, in dem das britische Sky-Team die Kontrolle übernommen hatte, die kleine Gruppe wieder gestellt. Der Rückstand auf Nibali betrug an der Kapelle 1:25 Minuten.

In der Abfahrt konnte der Vuelta-Gewinner von 2010 seinen Vorsprung sogar noch leicht auf über 1:40 Minuten ausbauen, während im Feld weiterhin Sky für die Nachführarbeit sorgte. Als Nibali am Ende der Abfahrt wieder den Comer See erreichte, betrug sein Vorsprung trotzdem fast unverändert 1:30 Minuten. In der langen Anfahrt zum letzten Anstieg des Rennens nahm dann der Vorsprung des 27-Jährigenaber rapide ab. Dank der Tempoarbeit des Australiers Michael Rogers schloss die rund 50 Fahrer starke Gruppe bereits 17 Kilometer vor dem Ziel zu Nibali auf.

Am Fuß des letzten Berges des Tages spannte sich Katjuscha kurzzeitig mit den Italienern Giampoalo Caruso und Luca Paolini vor das Feld, bevor wieder Sky mit Lövkvist und Martin das Kommando übernahm. Im gut drei Kilometer langen Anstieg nach Villa Vergano hielten alle Favoriten ruhig und schienen es auf einen Sprint ankommen lassen zu wollen. Das nutzte Zaugg, der einen Kilometer vor dem Gipfel davonzog und einen Vorsprung von rund 20 Sekunden herausfuhr.

Auf den letzten neun Kilometern – sieben Kilometer Abfahrt, gefolgt von einem zwei Kilometer langen Flachstück – bildeten sich hinter dem kleinen Schweizer zwei kleinere Verfolgergruppen, die den entschlossenen Zaugg aber nicht mehr stellen konnten. Damit schaffte der kletterstarke Helfer im letzten Rennen der europäischen Straßensaison, was den Topstars wie Fränk und Andy Schleck sowie Fabian Cancellara nicht gelungen war: einen der ganz großen Klassiker dieses Jahres zu gewinnen.

Mit Zaugg triumphierte zudem ein weiterer Außenseiter in einem der fünf Radsport-Monumente. Der Belgier Nick Nuyens (Saxo Bank-SunGard) hatte Anfang April überraschend die Flandern-Rundfahrt gewonnen, eine Woche später triumphierte Vansummeren bei Paris-Roubaix – und auch der Sieg des Australiers Matthew Goss (HTC-Highroad) bei Mailand-San Remo im März war nur von wenigen Experten prognostiziert worden. Lediglich Lüttich-Bastogne-Lüttich endete mit einem Favoritensieg: „La Doyenne“ gewann Philippe Gilbert, der überragende Fahrer dieses Jahres.

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