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23.07.2015 | (rsn) - Wenn man als Erster oben am Berg ankommt, ist man danach bei allem der Letzte. Diese Erfahrung durfte Simon Geschke am Mittwoch auch endlich machen - selbst mit dem Gang ins Bett. Gegen 23 Uhr hatten er und seine Teamkollegen sich noch auf einen kurzen Umtrunk in der Eingangshalle des Teamhotels von Giant-Alpecin etwas südlich von Chorges am Hang oberhalb des Lac du Serre-Poncon zusammengesetzt. Doch während die Anderen bald aufs Zimmer verschwanden, blieb „Simoni", wie sie Geschke nennen, noch lange mit seinem Handy sitzen und beantwortete Glückwunsch-Nachrichten.
Zuvor war er dazu nicht gekommen. „Mein Vater war der Einzige, mit dem ich im Auto telefoniert habe, weil ich mein Telefon nicht dabei hatte und die Nummer von meinen Eltern die einzige ist, die ich im Kopf habe", verriet Geschke der ARD während der Erfüllung seiner ersten Pflichten nach der Rückkehr ans Hotel, in dem derzeit viele Familien wohnen, die ihn mit großem Beifall empfingen.
Klar: Geschke hatte den internationalen TV-Anstalten bereits im Etappenziel diverse Interviews gegeben, doch am Hotel warteten die von der Tour berichtenden deutschen Sender mit ihren Kameras für kurze Einzelgespräche: Sky Sport News HD, ARD, ZDF. Geschke absolvierte sie nach der mehr als einstündigen Fahrt von Pra Loup zurück noch immer in kurzer Radkleidung. Dann ging es zur Massage und unter die Dusche, bevor um 21:55 Uhr „Vive le Velo" wartete, die allabendliche Live-Sendung des belgischen Fernsehens mit dem Etappensieger.
Und um etwa 22:15 Uhr durfte Geschke endlich zum Abendessen mit dem Team, wo der Freiburger - natürlich einmal mehr begleitet von TV-Kameras - die Korken knallen ließ. „Jeder war sicher und hat erwartet, dass wir an einem Abend Champagner trinken können. Ich habe nur nicht gedacht, dass ich derjenige sein würde, der dafür sorgt", eröffnete Geschke seine kurze Ansprache ans Team. „Aber ich könnte mir keine bessere Gesellschaft wünschen, um diesen Abend zu verbringen. Ich möchte mich beim ganzen Team bedanken - seit sechs Jahren bin ich schon hier und es ist erst mein dritter Sieg. Schön, dass es hier bei der Tour passiert ist. Prost!"
Geschke hatte es gleich zu Beginn gesagt: Jeder - sowohl intern als auch extern - erwartete, dass man bei Giant-Alpecin Champagner trinken würde. Die niederländisch-deutsche Equipe war in den vergangenen beiden Jahren verwöhnt durch die jeweils vier Sprintsiege von Marcel Kittel. Doch bei dieser Tour dauerte es bis zur 17. Etappe, bis man jubeln durfte. „Wir haben viel Pech gehabt", sagte Teamchef Iwan Spekenbrink zu radsport-news.com. Das Fehlen von Marcel Kittel, das frühe Aus von Tom Dumoulin - „auf dem Weg ins Gelbe Trikot" - und zwei Stürze von Warren Barguil, die auch den jungen Franzosen beinahe aus der Tour befördert hätten, sprach er an.
Hinzu kamen mehrere knapp verpasste Siegchancen von John Degenkolb. Nun ist es ausgerechnet Geschke, der nach einem harten Giro erst ins Tour-Team rutschte, als die Entscheidung contra Kittel gefallen war, der am Ende seines dritten Fluchtversuches in Folge den Sieg nach Hause gefahren hat. „Wir sind unglaublich stolz auf ihn. Wir haben ihn als sehr jungen Profi gescoutet und er ist in unserer Mannschaft gewachsen. Er arbeitet viel fürs Team, viel für John", sagte Spekenbrink. „Das ist die Krönung für eine, objektiv betrachtet, gute Tour."
Der Niederländer bestreitet, dass durch das lange Warten auf den Erfolg Druck entstanden sei und sah die Tour 2015 durch die neue taktische Ausrichtung auch vor dem Sieg in Pra Loup bereits als Erfolg. „Während wir uns letztes Jahr nur auf die flachen Sprints konzentriert haben, weil wir einen der besten Sprinter der Welt hatten, sind wir jetzt auf fast jeder Etappe ins Finale gefahren und haben viele zweite, dritte und vierte Plätze geholt", so Spekenbrink. „Eigentlich haben wir die beste Mannschaft hier, die wir jemals bei der Tour hatten."
"Mit Kittel war es ein Selbstläufer", hatte Geschke noch am Sonntag in Valence gesagt - und das ist eben der große Unterschied zwischen den Frankreich-Rundfahrten 2013, 2014 und 2015. Bei den Massenankünften der vergangenen beiden Jahre wusste man vorher, dass die Chance auf den Sieg sehr gut sein würde. „Hier aber mussten wir taktisch ganz anders fahren und uns die Chancen selbst kreieren", erklärte Spekenbrink. Es ist immer wieder gelungen, und das macht den Teamchef stolz. „Dass es jetzt auch mit dem Sieg geklappt hat, ist super."
Das Gespräch mit Spekenbrink im Video: