Tests mit 20-Zoll-Singlespeed-Klapprad fast abgeschlossen

Specialized: Revolutionärer Aero-Renner für Christoph Strasser

Von Berthold Balg

Foto zu dem Text "Specialized: Revolutionärer Aero-Renner für Christoph Strasser"
Christoph Strasser bei einem Test des noch getarnten Prototypen Early-Bird 4.2, mit einem Specialized-Testfahrer | Foto: York Werschke

01.04.2022  |  Die innovative Bike-Schmiede Specialized wird den mehrfachen RAAM-Sieger Christoph Strasser in der kommenden Saison mit einem revolutionären Aero-Renner ausrüsten. Während andere Hersteller sich in Details verlieren, wagen die Kalifornier den großen Technik-Sprung: Die Standard-Laufrad-Größe wird auf 20 Zoll reduziert - und man verzichtet auf eine Schaltung.

Christoph Strasser war die Freude anzusehen, als er den noch getarnten
Prototypen Early-Bird 4.2 gegen sein Specialized Shiv TT tauschte (siehe Bild, mit einem Specialized-Testfahrer): "Eine Schlucht überwindet man nicht in zwei Sprüngen, sagt ein chinesisches Sprichwort", so Christoph: "Mit diesem Aero-Klapprad ist Specialized wirklich ein Quantensprung gelungen."

Windkanal-Tests haben gezeigt, dass der Luftwiderstand von kleineren Laufrädern deutlich geringer ist. In den 90er Jahren wurden 26-Zoll-Pneus bei Zeitfahren und im Triathlon verwendet - "ein richtiger Ansatz", so der Sprecher des Specialized-Entwicklungs-Teams: "Die Idee wurde aber nie konsequent zu Ende gedacht. Das haben wir nun getan."

Mit 20 Zoll Laufradgröße können 30 Prozent

des Energiebedarfs - insbesondere bei Geschwindigkeiten jenseits der 40 km/h - eingespart werden. Das bedeutet im Wettkampf fast 50 Prozent Vorteil, da sich der Luftwiderstand im Quadrat der Geschwindigkeit vergrößert. Die Formel dazu: F Luft = rho/2 * cw * A * v2 („A“ ist die Querschnittsfläche).

Das Einspar-Potenzial ist also enorm. In der Formel wird deutlich, dass die Größen-Reduzierung nicht nur bei den Laufrädern, sondern in der Betrachtung des „Gesamt-Systems Fahrrad“ Sinn ergibt. Vergleicht man die Bodenfreiheit bzw. Gesamt-Höhe herkömmlicher Renn- oder Zeitfahr- mit Klapp-Rädern, so wird der Vorteil sehr deutlich: „Ein tiefer gelegter Sportwagen ist einem SUV aerodynamisch und in der Betrachtung der Geschwindigkeit immer im Vorteil,“ erläutert der Specialized-Sprecher weiter.

Neben dem geringeren Luftwiderstand durch kleinere
Laufräder wurde aber auch das Weglassen der Schaltung als Verbesserungspotenzial erkannt. Bei Kettenschaltungen bedeutet jeder Gang-Wechsel eine Unterbrechung des Vortriebs, denn zum Zeitpunkt des Wechsels gibt es zwangsläufig keinen Kraftschluss zwischen Kette und Ritzel. Somit fehlt die Kraftübertragung, die letztendlich für den Vortrieb sorgt - viel Tret-Energie verpufft ungenutzt.

Als sechsfacher Gewinner des Race Across America (RAAM) über mehr als 5500 Kilometer ist Christoph Strasser an dieser Erkenntnis besonders interessiert: "Specialized hat das mal ausgerechnet: Beim RAAM bewegen wir uns in der Größenordnung von einer Stunde an Schaltvorgängen, während derer physikalisch betrachtet kein Vortrieb erzeugt werden kann. Bei den gefahrenen Geschwindigkeiten fehlen also bis zu 40 km Strecke. Wir reden damit nicht von Vorteilen im Fotofinish-Bereich."

Die Schaltungsfreiheit verspricht neue Dimensionen
im sogenannten "Reach of Power" (RoP). Beim Zeitfahren "King of the Lake 2021" und auch für seinen 24-h-Weltrekord "1000/ 24" hatte Strasser vorne nur ein Kettenblatt montiert. Ergebnis: Ein neuer, beeindruckender Weltrekord von 1026,215 Kilometer in 24 Stunden. Und am Attersee verbesserte er sich so vom achten Platz im Vorjahr zur Vize-Meisterschaft 2021.

Auch in Sachen Schaltung gilt es, konsequent und mutig weiter zu denken: Bei einer 2/12-Kettenschaltung sind – welcher Gang auch immer verwendet wird – stets ein Kettenblatt plus 11 Zahnkränze ungenutzt. Anders formuliert: Die  Masse von 12 Zahnrädern bleibt passiv und muss sinnlos mitbewegt werden. Und bei rotierendem Material ist die Auswirkung des Gewichts bekanntlich um ein Vielfaches höher. Technisch interessierte Leser/innen kennen das: Die Reduktion der rotierenden Laufrad-Masse ist effizienter als die Gewichts-Einsparung am Rahmen oder gar beim Fahrer, die nur eine translatorische Bewegung vollziehen.

Mit der Gewichtseinsparung durch Weglassen
der Schaltung war im Zug einer Kompensation dann auch der Weg frei für Stahl als innovativem Rahmenwerkstoff. Karbon ist zwar bekanntermaßen leicht, aber spröde; der Begriff „stahl-hart“ gilt nicht umsonst als Auszeichnung für kompromisslose Stärke. Crash-Tests haben bei einem Zusammenstoß von Stahl auf Carbon eine Zersplitterung des Carbon-Werkstoffs gezeigt; Stahl hingegen blieb unversehrt.

"Die Kombination 20 Zoll, Schaltungsfreiheit und Stahl-Rahmen führte dann zwangsläufig zum Klapprad", so der Sprecher der Specialized-Entwicklungsabteilung weiter: "Damit mussten wir nicht bei Null anfangen und konnten auf Basis bewährter Technik der 70er Jahre schnell Erfolge erzielen. Die Quick-Wins überzeugten dann letztendlich unser Management zur Fortsetzung des Projekts.“

Ein weiteres Puzzle-Teile für den Erfolg
war das Ersetzen der hinteren Felgenbremse durch eine im Hinterrad integrierte Rücktrittbremse. Damit wurde weiter Gewicht reduziert - und die Aerodynamik weiter verbessert, denn  Verwirbelungen am Antriebs-Rad durch die Bremse gehören damit der Vergangenheit an.

Berthold Balg ist freier Mitarbeiter von radsport-news.com 

 
Weitere Informationen

Specialized Germany GmbH
Holzkirchen-Föching

Internet: www.specialized.com/de

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