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27.05.2017 | (rsn) - Nairo Quintana (Movistar) geht morgen zwar im Rosa Trikot in das alles entscheidende zweite Einzelzeitfahren des 100. Giro d`Italia. Doch da es ihm auf der 20. Etappe nicht gelang, seinen Vorsprung gegenüber den schärfsten Konkurrenten mit Ausnahme von Tom Dumoulin (Sunweb) zu vergrößern, gilt der Kolumbianer am Sonntag nicht als Favorit auf den Gesamtsieg.
Beste Chancen hat wohl Dumoulin, der auf der letzten Bergetappe über 190 Kilometer von Pordenone nach Asiago zwar 15 Sekunden hinter Quintana und dessen vier Begleiter ins Ziel kam und vom zweiten auf den vierten Rang des Gesamtklassements zurückfiel. Seine nunmehr 53 Sekunden Rückstand gegenüber dem Kletterspezialisten wird der Niederländische Meister im Kampf gegen die Uhr durchaus wettmachen können.
"Der Vorsprung ist nicht groß, aber er könnte reichen. Das wird sich morgen rausstellen", sagte Quintana, der im letzten Berg des Tages mehrmals in die Offensive ging. "Ich habe heute in der Favoritengruppe alles gegeben. Ich wollte mehr Zeit gutmachen und die Fahrer, die bei mir in der Gruppe dabei waren, hatten die gleiche Absicht. Wir haben alle ums Podium gekämpft und alles gegeben."
Dagegen zeigte sich sein Teamchef wesentlich skeptischer. "Wir haben absolut alles probiert. Wir haben unseren Vorsprung vergrößern können, aber er ist wahrscheinlich zu gering, um die Gesamtwertung zu gewinnen. Ich denke, heute wurde bestätigt, dass Dumoulin nach wie vor der Favorit ist", erklärte Eusebio Unzue im Ziel.
Allerdings werden die abschließende 21. Etappe und der Kampf um den Gesamtsieg zu einem Sekundenkrimi, bei dem auch Titelverteidiger Vincenzo Nibali (Bahrain-Merida), der als Gesamtzweiter nur 39 Sekunden hinter Quintana liegt, und Thibaut Pinot (FDJ), weitere vier Sekunden dahinter neuer Dritter, mehr als nur ein Wörtchen mitreden werden.
Den größten moralischen Schub holte sich am Samstag Pinot, der sich im Sprint der fünfköpfigen Spitzengruppe, die sich in der letzten Abfahrt des Tages gebildet hatte, souverän vor dem Russen Ilnur Zakarin (Katusha-Alpecin) und Nibali den Sieg holte. Dank der damit verbundenen Zeitbonifikation von zehn Sekunden machte der Franzose gegenüber allen anderen Favoriten die meiste Zeit gut und dürfte angesichts seiner in den vergangenen Jahren verbesserten Zeitfahrfähigkeiten Dumoulins schärfster Gegner sein. Aber selbst der fünftplatzierte Zakarin ist angesichts von nur 1:15 Minuten Rückstand auf Quintana noch ein Kandidat auf das Podium.
"Bis drei Kilometer vor dem Ziel habe ich nur versucht, Zeit gutzumachen und habe keinen Gedanken an den Etappensieg verschwendet“, kommentierte Giro-Debütant Pinot seinen ersten Tagessieg und den nach Pierre Rolland (Cannondale-Drapac) zweiten eines französischen Fahrers. Wie Quintana nannte er allerdings auch den Sunweb-Kapitän als Favoriten auf das Maglia Rosa. "Die Abstände sind nicht groß, das morgige Zeitfahren ist flach und es kommt Dumoulin sehr entgegen. Am wichtigsten wird sein, den Schaden zu begrenzen.“
Das gelang am Samstag bei sommerlichen Temperaturen Dumoulin, auch wenn der Sunweb-Kapitän in der entscheidenden Phase wieder auf sich allein gestellt war - dann aber Unterstützung von anderen abgehängten Klassementfahrern wie Bob Junges (Quick-Step Floors) oder Adam Yates (Orica-Scott) erhielt. „Ich war sehr froh, dass ich bessere Beine und einen guten Tag hatte. Ich bin Mollema, Jungels und Yates für ihre Hilfe im Finale für immer dankbar“, sagte Dumoulin, der gestern einen schlechten Tag erwischte und auch heute im 14 Kilometer langen letzten Anstieg dieses Giro dem Tempo der Besten nicht folgen, aber auf den letzten Kilometern den Rückstand zumindest limitieren konnte.
Dabei sah es rund fünf Kilometer vor dem Ziel sogar danach aus, als ob die Verfolger zur Spitze würde aufschließen können, da beide Gruppen nur sieben Sekunden trennten. Doch dann öffnete sich die Schere wieder, als vorne Quintana, Nibali & Co. besser zusammenarbeiteten. Letztlich betrug der Abstand 15 Sekunden, was Dumoulin zuversichtlich dem 29 Kilometer langen Abschlusszeitfahren nach Mailand entgegenblicken lassen kann.
„Die Abstände morgen werden nicht so groß sein wie im vergangenen Zeitfahren (das fast 40 Kilometer lang war). Ich werde deshalb um jede Sekunde kämpfen und schauen müssen, wie es läuft“, sagte der Sieger von Montefalco, der auf der damaligen 10. Etappe einen überlegenen Sieg feierte und beispielsweise Quintana fast drei Minuten und damit das Rosa Trikot abnahm. Letzteres könnte auch am Sonntag in Mailand geschehen.
Ehe die Favoriten sich ihren finalen Schlagabtausch lieferten, hatten sechs Ausreißer die letzte Bergetappe dieses Giro dominiert. Dylan Teuns (BMC), Tom-Jelte Slagter (Cannondale-Drapac), Mathieu Ladagnous (FDJ), Dries Devenyns (Quick-Step Floors), Maxim Belkov (Katusha-Alpecin), Filipo Pozzato (Wilier Triestina) setzten sich früh ab und fuhren sich auf den ersten 80 Kilometern einen Vorsprung von gut acht Minuten heraus.
Das Feld reagierte erst im 24 Kilometer langen, im unteren Teil bis zu elf Prozent steilen Monte Grappa, wo Quintana 2014 im Jahr seines Giro-Siegs das damalige Bergzeitfahren gewonnen hatte. Hier fielen zunächst Pozzato und dann auch Belkov aus der Spitzengruppe heraus. Dafür beschleunigte das Team des Russen im Feld mächtig und dünnte dieses auf zunächst 30 Fahrer aus. Nach weiteren Katusha-Tempoverschärfungen schmolz die Gruppe auf zeitweise weniger als zehn Mann zusammen, wobei mit Yates und Bauke Mollema (Trek-Segafredo) zweitweise auch zwei Fahrern aus den Top Ten der Gesamtwertung den Kontakt verloren, diesen auf einem Flachstück kurz vor der Bergwertung wieder herstellen konnten. Und auch Dumoulin hatte hier schon um den Anschluss zu kämpfen.
Vom ehemaligen Spitzensextett waren zu dem Zeitpunkt nur noch Devenyns und Theuns übrig, wobei der Quick-Step-Routinier die Bergwertung in 1620 Metern Höhe vor dem jungen BMC-Profi gewann und sich als erster vor seinem Landsmann in die 25 Kilometer lange Abfahrt stürzte. Mit knapp drei Minuten Rückstand folgte die auf Favoritengruppe, in der Katusha-Alpecin seine Bemühungen mittlerweile aufgegeben hatte, so dass mehr und mehr Fahrer wieder aufschließen konnten. Davon profitierten die beiden Belgier, die bestens harmonierten und bis zum Beginn des letzten Berges dieses Giro 30 Kilometer vor dem Ziel einen Vorsprung von fast drei Minuten behaupteten. Dahinter wurden alle zwischenzeitlichen Ausreißer wieder vom nun auf erneut rund 50 Fahrer angewachsenen Feld geschluckt.
Quintanas Helfer Andrej Amador und Victor de la Parte führten nach 14 flachen Kilometern durch das Brenta-Tal die Verfolger in den 14,5 Kilometer langen Anstieg nach Foza hinein, wo Teuns 26 Kilometer vor dem Ziel schnell seinen Konkurrenten Devenyns stehen ließ.
In dem im Schnitt knapp sieben Prozent steilen und mit rund 20 Haarnadelkurven gespickten Berg wurde im wieder schnell kleiner werdenden Feld das Tempo von Movistar zwar immer höher geschraubt, doch es war Nibali, der im mittleren Teil attackierte, wodurch Dumoulin zurückfiel, und sich eine Gruppe mit dem Italiener, Quintana, Pozzovivo und Zakarin formierte.
Da allerdings keiner der Fünf weitere Führungsarbeit übernehmen wollte, kam Dumoulin wieder näher heran, woraufhin Quintana wieder beschleunigte, ehe Zakarin und Pozzovivo wegzogen, zu Theuns aufschlossen und diesen stehenließen, um als erste die Bergwertung 15 Kilometer vor dem Ziel zu erreichen. Rund 20 Sekunden dahinter folgten Quintana, Nibali und Pinot, die auf den letzten Kilometern vor dem Gipfel mehrmals attackiert hatten, wobei der FDJ-Kapitän den besten Eindruck hinterließ. Allerdings ließ sich die Gruppe um Dumoulin und Jungels nicht abschütteln und hatte an der Bergwertung nur rund 15 Sekunden Rückstand auf das Rosa Trikot.
In der Abfahrt schloss das Verfolgertrio um Quintana zehn Kilometer vor dem Ziel zur Spitze auf, worauf sich ein packendes Duell mit der nachfolgenden Gruppe entwickelte. Da sich die fünf Mann an der Spitze immer wieder anschauten, Dumoulin in der ebenfalls fünf Fahrer umfassenden Verfolgergruppe - neben Jungels, Mollema und Yates war noch Pinots Helfer Sébastien Reichenbach dabei -, vor allem auf die wirkungsvolle Hilfe des Luxemburgischen Meister bauen konnte, schrumpfte der Abstand Sekunde um Sekunde, ehe auf den letzten fünf Kilometern der Zusammenschluss unmittelbar bevorzustehen schien. Doch dann wurde sich die Spitzengruppe doch noch einig und rettete einen kleinen Vorsprung ins Ziel.
Das erreichte Patrick Konrad als erneut bester Fahrer des deutschen Bora-hansgrohe-Teams 2:35 Minuten hinter Pinot als Zwölfter und machte damit im Gesamtklassement weitere zwei Positionen gut. Nunmehr wird der 25-jährige Österreicher auf Rang 16 geführt, wo er aber bereits rund neun Minuten Rückstand auf den vor ihm liegenden Reichenbach hat, der bester Schweizer bei diesem Giro ist.
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