Bahn-WM Berlin: Schach bei Puls 200

Andreas Müller: Lokalmatador im rot-weiß-roten Trikot

Von Peter Maurer

Foto zu dem Text "Andreas Müller: Lokalmatador im rot-weiß-roten Trikot"
Andreas Müller | Foto: Drew Kaplan

20.02.2020  |  (rsn/örv) - Als das Velodrom in Berlin gebaut wurde, ging Andreas Müller noch zur Schule. Nur unweit vom Radstadion an der Landsberger Allee ist er aufgewachsen: im Stadtteil Prenzlauer Berg. Bei der Fertigstellung des Velodroms 1996 bekam der damalige Nachwuchssportler sogar schulfrei, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. 24 Jahre später warten auf den Berliner, der seit 2008 für das Österreichische Nationalteam startet, nun die ersten Heimweltmeisterschaften, die insgesamt 18. in Müllers langer Karriere.

"Meine Grundschule liegt gerade 500 Meter vom Velodrom entfernt, von mir zuhause ist es ein Kilometer. Ich freue mich schon auf die HM, die vor meiner Haustüre stattfindet", berichtete der 40-Jährige, der seit 2008 für den Österreichischen Radsportverband fährt und über einen deutschen und einen österreichischen Pass verfügt.

Bei der letzten WM in Berlin musste er als 19-Jähriger noch zusehen, die Bahn kennt er aber gut. 20 Mal in Folge nahm er an den Sixdays teil, zuletzt an der Seite von Andreas Graf, mit dem er auch den Madisonbewerb am 1. März, dem finalen Tag der Großveranstaltung, bestreiten wird.

"Natürlich bin ich oft dort schon gefahren, aber eine WM ist halt eine WM und immer etwas Besonderes", freute sich der Bahnspezialist, der seit knapp drei Jahren auch als Sportlicher Leiter der Österreichischen Nationalmannschaft fungiert. Mit Scratch gewann Müller 2008 Bronze, fünf Jahre später sogar Silber. Auch sein Partner kennt das Zelebrieren einer Medaille. Graf wurde 2016 Vizeweltmeister im Punktefahren. Gemeinsam wurde das Duo 2014 im Madison Europameister. Doch das Podium ist in Berlin nicht das große Ziel der beiden.

"Nach derzeitigem Stand wären wir für die Olympischen Spiele 2020 qualifiziert. Diese Position gilt es nun bei der WM zu verteidigen", erklärte Müller, in dessen Heimatstadt nun die letzten Punkte im Qualifikationsranking vergeben werden. "Die Spiele sind sicherlich das alles überragende Event in unserem Sport und es ist ein riesiges, sportliches Ziel", fügte er an. 2004 in Athen qualifizierten sich das letzte Mal rot-weiß-rote Athleten für die Spiele, nun ist das Duo Graf/Müller am besten Weg nach Tokio: "Das wäre schon ein Riesending, wenn wir das in Berlin fixieren könnten."

Routine soll Qualiplatz für Tokio absichern

Sowohl in London 2012 als auch in Rio de Janeiro 2016 war das Madison nicht im Olympischen Programm. 2020 feiert das spektakuläre Zweier-Mannschaftszeitfahren sein Comeback. "Es ist meine absolute Lieblingsdisziplin. Ein Rennen ist sehr komplex, es ist wie Schach bei Puls 200", erzählte Müller und fügte an: "Am Madison mag ich die taktische Komponente. Es geht nicht um die Watt, die man drücken kann sondern um das pure Rennverständnis. Du musst viele Züge vorausdenken und Antizipieren, was die Gegner machen könnten. Dauernd spielst du im Kopf die Szenarien durch und musst dazu die richtige Taktik und Strategie finden."

Für das österreichische Duo spricht vor allem die jahrelange Erfahrung, seit zwölf Jahren zählen sie zur Weltspitze im Zweier-Mannschaftszeitfahren. "Du kennst die Körperbewegungen des anderen, weißt was er vorhat. Wir sind wirklich aufeinander eingespielt", so Müller, der mit Graf einen ähnlichen Fahrertyp an seiner Seite hat. Vor allem die von der Taktik geprägten Rennen kommen dem Duo entgegen.

Beim Madison bilden zwei Fahrer einer Nation ein Team. Insgesamt gilt es 200 Runden, also 50 Kilometer zu absolvieren, wobei sich die Fahrer ständig ablösen, diese Wechsel aber nach beliebig gefahrener Distanz erfolgen können. Mittels Schleudergriff erfolgt die Ablöse und so ist immer ein Fahrer des Teams im Rennen aktiv: "Das heißt aber nicht, dass der andere wirklich pausieren kann. Du musst dann das Rennen und die Gegner beobachten und den wieder gewonnenen Sauerstoff nutzen zum Nachdenken. Denn bei Puls 200 kannst du kaum einen klaren Gedanken fassen."

"Wir haben gute Chance"

Nach ihrem gemeinsamen Einsatz bei den Sixdays vor einem Monat ging es für das österreichische Duo nach Mallorca, wo sie sich bei angenehmeren Temperaturen auf die WM vorbereiten. Das Ergebnis steht aber angesichts des Kampfes um ein Olympiaticket nicht im Vordergrund. "Wir müssen in Berlin unseren Platz im Ranking verteidigen, also auf jene Mannschaften aufpassen, die hinter uns liegen", erzählte Müller.

Damit wartet für die rot-weiß-rote Paarung ein fast schon eigenes Rennen im WM-Rennen. "Es wird komplex, da es viele Rechenvarianten gibt, aber am wichtigsten wird sein, vor unseren Verfolgern zu landen. Wir sind ein routiniertes Team, das weiß, wie man diese Taktik ausspielen kann. Das sollte uns in Berlin entgegenkommen", erläuterte Müller die Ausgangslage vor dem letzten Qualifikationsrennen vor Tokio.

"Wir haben gute Chancen und der Druck liegt bei unseren Gegnern. Der Rest entscheidet sich dann im Rennen, aber es wäre ein besonderes Highlight, das wir uns erfüllen könnten. Und einen viel besseren Platz als Berlin dafür, könnte ich mir nicht vorstellen", blickte Müller voraus und fügte schmunzelnd an: "Und der Faktor, dass ich Zuhause schlafen kann, schadet sicher auch nicht."

Mehr Informationen zu diesem Thema

20.03.2020Von der erfolgreichen Heim-WM in die Ungewissheit

(rsn) - Als am 1. März die Bahn-Weltmeisterschaften in Berlin endeten, war den meisten das Ausmaß, welches die Corona-Pandemie noch annehmen würde, nicht klar. Der deutsche Radsport freute sich üb

02.03.2020Von Königinnen, Weltrekorden und einem nicht ganz vollen Velodrom

(rsn) - 21 Jahre mussten die Berliner Bahnradfans auf eine Weltmeisterschaft warten, die insgesamt sechste in der Geschichte. Speziell Deutschlands Frauen machten sie zu einer besonderen Heim-WM, denn

01.03.2020“Die Mädels ernten jetzt den Lohn für Einsatz und Fleiß“

(rsn) - Der Gubener Detlef Uibel (60) brachte schon Dutzende Frauen und Männer im Bahnsprint auf Goldkurs. Doch bei der Heim-WM in Berlin rang er doch ein bisschen um Fassung, was ihm da "die Mädels

01.03.2020Graf/Müller lösen endlich das ersehnte Olympia-Ticket im Madison

(rsn) - Er hätte sich keinen schöneren Ort suchen können, um das Olympiaticket für Tokio zu lösen. Am Ende des 200 Runden langen Madison-Rennens konnten Lokalmatador und Nationaltrainer Andreas M

01.03.2020Hinze Königin von Berlin: Im Keirin zur dritten WM-Goldmedaille

(rsn) - Krönender Abschluss der Bahn-Weltmeisterschaften: Mit einem überlegen von der Spitze gefahrenen Sieg kürte sich Emma Hinze im Keirin mit ihrer dritten Goldmedaille zur unumstrittenen König

01.03.2020Doppelgold für die Hügelsprinterin von der Ostsee

(rsn) - Nur einen Tag nach ihrer Teamkollegin Emma Hinze krönte sich auch Lea Sophie Friedrich zur Doppelweltmeisterin von Berlin. Die aus Dassow an der Ostsee stammende 20-Jährige gewann nach dem T

01.03.2020Die Berliner Halle pushte die Verfolgerinnen zu zwei Medaillen

(rsn) - Lediglich die US-Amerikanerin Chloe Dygert vermieste den deutschen Verfolgerinnen den totalen Triumph in der Einzelverfolgung über 3.000 Meter, denn am Ende belegten Lisa Brennauer, Franziska

01.03.2020Bahn-WM: Zeitplan des Abschlusstages in Berlin

(rsn) - Am letzten Tag der Bahn-Weltmeisterschaften von Berlin (26. Feb. - 1. März) ist früher Schluss als an den ersten vier. Los geht es im Velodrom bereits um 11 Uhr, aber bereits gegen 17 Uhr we

01.03.2020Bahn-WM: Einerverfolgung der Frauen im Video

(rsn) - Bei der Bahn-WM in Berlin konnten die Deutschen in der Einerverfolgung der Frauen gleich zwei Medaillen bejubeln: Lisa Brennauer, die mit deutschem Rekord (3:18,320 Minuten) ins große Finale

29.02.2020Gold, Silber und Bronze für den BDR

(rsn) - Auf Deutschlands Frauen ist Verlass bei 110. UCI-Bahnweltmeisterschaften im Berliner Velodrom. In der ersten Medaillenentscheidung des vierten Wettkampftages eroberte Lea Sophie Friedrich in 3

29.02.2020Dygert erzielt siebten Weltrekord bei Bahn-WM in Berlin

(rsn) - Chloe Dygert hat bei der Bahn-WM (26. Feb. - 1. März) im Berliner Velodrom für den bereits siebten Weltrekord im Verlauf dieser Titelkämpfe gesorgt. In der Qualifikation der Einzelverfolg

29.02.2020Vor Olympia träumt Ganna noch vom Giro

(rsn) - Er ist 23 Jahre alt, mittlerweile vierfacher Weltmeister in der Einzelverfolgung und kommt aus Italien. Die Rede ist von Filippo Ganna, der seine Vormachtstellung auch bei der Bahn-WM in Berli

Weitere Radsportnachrichten

26.12.2024Van der Poel muss in Gavere bis zum Schluss alles geben

(rsn) – Auch bei seinem dritten Einsatz im Gelände hat Mathieu van der Poel (Fenix – Deceuninck) keinen Zweifel an seiner Hegemonie aufkommen lassen. Der Weltmeister aus den Niederlanden dominier

26.12.2024Auch in der Abschiedssaison mehr als eine erstklassige Helferin

(rsn) - Den Großteil ihrer Profikarriere verbrachte Christine Majerus im niederländischen Team SD Worx – Protime. Ihr langjähriger Team-Manager Danny Stam bezeichnet die Luxemburgerin als eine To

26.12.2024Laufstarke van Empel beim Weltcup in Gavere ganz vorn

(rsn) – Die Niederländerin Fem van Empel (Visma – Lease a Bike) hat erstmals in ihrer Karriere den Weltcup in Gavere gewonnen. In der zweiten Runde lief die Weltmeisterin im längsten Anstieg all

26.12.2024Wie wird man dreifacher Madison-Weltmeister?

(rsn) – Roger Kluge gewann im Herbst im stolzen Radsportalter von 38 Jahren zum dritten Mal WM-Gold im Madison. Auf dem Weg dorthin hat Sebastian Paddags den gebürtigen Eisenhüttenstädter begleit

26.12.2024Ehemaliger Festina-Profi Hervé an Heiligabend verstorben

(rsn) – Der ehemalige Festina-Profi Pascal Hervé ist am 24. Dezember im Alter von 60 Jahren gestorben. Das berichtete das Radsportportal directvelo.com. Der Franzose hatte sich im Sommer wegen eine

26.12.2024Im neuen Trikot den Durchbruch geschafft und Siege gefeiert

(rsn) – Mit seinem Wechsel von dsm – firmenich zu Tudor Pro Cycling hat Marco Brenner im vergangenen Winter nicht nur einen für ihn auf persönlicher Ebene wichtigen Schritt gemacht, sondern auch

26.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste der Frauen 2024

(rsn) - Wie bei den Männern so blicken wir traditionell am Jahresende auch auf die Saison der Frauen zurück und stellen die besten 15 Fahrerinnen unserer Jahresrangliste vor. Wir haben alle UCI-Ren

26.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste der Männer 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

25.12.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport

25.12.2024Zwei kräftezehrende Grand Tours haben etwas bewirkt

(rsn) – Nach seinem Etappensieg und Platz acht in der Gesamtwertung der Tour de France 2023 war Felix Gall (Decathlon – AG2R La Mondiale) mit großen Erwartungen in die Saison 2024 gestartet, in

25.12.2024Alles offen nach einer erfolgreichen Saison

(rsn) - Das Resümee ihrer ersten vollständigen Profi-Saison dürfte durchweg positiv für die Schweizerin Elena Hartmann vom Team Roland ausgefallen sein. Erst vor zwei Jahren gelang der inzwischen

25.12.2024Traum erfüllt und doch unzufrieden

(rsn) – Es gibt durchaus einfachere Aufgaben als die Saison 2024 von Pascal Ackermann zu bewerten. Auch er selbst ist da ein wenig zwiegespalten. Schließlich hat er es mit dreißigeinhalb Jahren en

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine