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20.03.2020 | (rsn) - Alle Rennen sind wegen der Corona-Pandemie bis auf weiteres ausgesetzt. Zu den ursprünglich geplanten Renntagen schaut radsport-news.com zurück: So war es damals
Mailand-Sanremo 2000
Als Erik Zabel vor 20 Jahren am Start von Mailand-Sanremo stand, lastete durchaus ungewohnter Druck auf seinen Schultern. Seinem schnellen Aufstieg zum zumindest vielseitigsten Sprinter im internationalen Fahrerfeld war bei den großen Rennen eine lange Serie von zweiten Plätzen gefolgt. Zweieinhalb Jahre waren seit “Etes“ letztem Etappensieg bei einer Grand Tour vergangen, und auch bei Milan-Sanremo hatte es 1999 “nur“ zu Rang zwei gereicht.
Das Jahr 2000 sollte die Wende einläuten. Und dazu war seinem Team Telekom einen echter Coup auf dem Transfermarkt gelungen: Kein Geringerer als Gian Matteo Fagnini war von der Saeco-Squadra geholt worden, um nicht mehr dem damals wohl schnellsten Mann im Peloton, Mario Cipollini, sondern Zabel die Spurts zu lancieren. Mit neuer Lok zurück in die Erfolgsspur, lautete die Devise.
Der Italiener hatte seine Klasse nicht nur als “Cipos“ Anfahrer bewiesen, sondern auch gezeigt, dass er – wenn nötig – selbst gewinnen kann. Davon zeugten zwei Etappensiege beim Giro 1998, als sein Kapitän bereits ausgestiegen war. Darüber hinaus galt Fagnini als hundertprozentig zuverlässig, abgebrüht und taktisch clever. Bei Telekom musste er sich dennoch neu beweisen, verdrängte er doch Giovanni Lombardi von der Position des Zabel-Anfahrers. Der war beileibe kein Leichtmatrose.
Bei Mailand-Sanremo, Zabels erklärtem Lieblingsrennen, war es nun Fagninis Aufgabe, seinen neuen Kapitän nach der Abfahrt des Poggio ans Hinterrad zu nehmen, im Finale in Position zu bringen und ihm den Spurt anzuziehen. In jener Phase der “Classicissima“ war der deutsche Musterprofi ein Jahr zuvor allein gewesen.
So war es dem Belgier Andrej Tschmil gelungen, auf dem letzten Kilometer auszureißen und Zabel, der den Sprint des Feldes gewann, den Sieg zu entreißen. Damit war “Ete“ der Chance auf einen historischen Hattrick beraubt. Denn dreimal in Folge hatte noch niemand am Ende des Frühjahrsklassikers ganz oben auf dem Podest gestanden.
2000 verpasste Zabel den Sanremo-Hattrick
Zabel wollte auch deshalb unbedingt im Jahr 2000 mit einem großen Erfolgserlebnis zurückkehren. 1998 und 1999 hatte er wohl jeweils das Grüne Trikot bei der Tour gewonnen, aber ohne Tagessieg. Und auch Platz eins beim Henninger Turm 1999 konnte ihn nicht über den knapp verpassten Hattrick-Sieg bei der “Classicissima“ hinwegtrösten.
Die 2000er-Ausgabe des Klassikers verlief, wie man es damals kannte und auch heutzutage kennt: Unbekanntere Fahrer rissen früh aus, hatten aber nie wirklich Aussicht auf Erfolg. An der Cipressa folgten dann die ersten ernstzunehmenden Angriffe. Michele Bartoli von Mapei, der Weltcupsieger der Jahre 1997 und 1998, setzte sich mit Juan Carlos Dominguez von Vitalicio Seguros ab. Das Duo verteidigte bis zum Fuß des Poggio einen Vorsprung von 35 Sekunden.
Lange sah es gut aus für Bartoli und Dominguez, doch Mapei hatte im Feld noch die Option Paolo Bettini für eine späte Attacke und den aktuellen Weltmeister, Oscar Freire, für den Sprint. Freire hatte in jener Saison unter anderem zwei Massenspurts bei Tirreno-Adriatico gewonnen, Zabel dort nur einen. Vor dem Hintergrund verweigerte Bartoli am Poggio bald die Führungsarbeit.
Allerdings mühte sich in der Verfolgergruppe mit Zabel, Freire, Tschmil und Co. nur das Team Vini Caldirola ab, um das Duo einzufangen, weshalb die Flucht noch immer hätte glücken können. Dann aber versteuerte sich Dominguez in einer Kurve, kam fast zum Stillstand – und als ihm dasselbe wenig später erneut passierte, war die Flucht beendet.
Angriff auf Angriff folgte, und in der Abfahrt gelang es Bettini, ein echtes Loch zu reißen. Mit vereinten Kräften wurde der Italiener kurz vor der Flamme Rouge gestellt. Dann ein Déjà vu: José Luis Rebollo (Vitalicio) attackierte und setzte sich solo ab. Doch nur sein rotes Trikot erinnerte an Tschmils Manöver von 1999. Rebollo widerstand der anstürmenden, etwa 45 Fahrer umfassenden Gruppe nicht, weil dort Fagnini im richtigen Moment Vollgas gab.
Fagnini ebnet Zabel den Weg
Er zog seinem Kapitän mit enormer Explosivität den Sprint an, Zabel flog als Erster an Rebollo vorbei und gewann deutlich vor Fabio Baldato und Freire. Im Ziel - nach 294 Kilometern - fiel Zabel seinem neuen Anfahrer erleichtert und überglücklich um den Hals; er wusste, wem er den Sieg zu einem gewaltigen Teil zu verdanken hatte.
Und Fagnini bewies auch im Interview seine Coolness. Als er gefragt wurde, ob er im Finale je Zweifel am Sieg Zabels gehabt habe, sagte der Italiener trocken: “Nein, ich war sicher, dass wir den Vitalicio-Fahrer noch kriegen würden. Der war nicht schnell genug.“ Dass möglicherweise auch seinem Chef die Kraft hätte ausgehen können, zog er gar nicht erst in Erwägung.
Zabels dritter Sieg bei Mailand-Sanremo war der Auftakt eines für ihn ungemein erfolgreichen Jahres. Der Deutsche gewann wenige Wochen später das Amstel Gold Race (noch mit flacher Zielankunft) und war davor Vierter der Flandern-Rundfahrt und Dritter von Paris-Roubaix geworden. Im Sommer folgten unter anderem noch das Grüne Trikot der Tour, Rang vier bei den Hamburg Cyclassics, drei Etappensiege der Deutschland Tour und als Krönung der Weltcup-Gesamtsieg, vor Titelverteidiger Tschmil. Und endlich konnte Zabel, der insgesamt mehr als 200 Profirennen als Erster beendete, auch wieder eine Tour-Etappe gewinnen. Dank des neuen Anfahrers. Es war wohl sein größtes Jahr.
Am Ende seiner Karriere hatte Zabel die “Classicissima“ viermal gewonnen, zweimal als Zweiter beendet und war noch zwei weitere Male unter die Top 10 gefahren. Bei der Tour standen zwölf Etappensiege und sechs Grüne Trikots (Rekord, bis Sagan kam) zu Buche. Bei der Spanien-Rundfahrt holte Deutschlands damaliger Top-Sprinter acht Tagessiege und dreimal die Punktwertung. Hinzu kamen drei Siege bei Paris-Tours und ebenfalls drei beim Henninger Turm (Rekord, bis Alexander Kristoff kam). Bei Paris-Tours war zumindest kein anderer Fahrer erfolgreicher.
Bis heute hält Zabel den Rekord an Etappensiegen bei der Deutschland Tour: 13-Mal spurtete er als Erster über den Zielstrich. Allerdings lag der Schatten des Dopings auf seiner Karriere. 1994 wurde er positiv auf Cortison getestet. Unter Tränen gestand er 2007, dass er bei der Tour 1996 EPO ausprobiert hätte. 2013 erklärte er der Süddeutschen Zeitung, dass er über Jahre hin neben EPO- auch Cortison- und Blutdoping betrieben habe.
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