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28.03.2020 | (rsn) - Nach 222.000 Rennkilometern war für Bernhard Eisel Schluss. Der 39-Jährige beendete vor mehr als zwei Monaten offiziell seine Karriere. 18 Jahre lang fuhr der Steirer auf dem höchsten Niveau des Straßenradsports, startete für die größten Mannschaften und nahm an 19 GrandTours sowie 47 Monumentrennen teil. Damit ist er nicht nur Österreichs dienstältester Profi geworden, sondern zählte zu den erfahrensten Fahrern des gesamten Pelotons.
Auf den Tag genau vor zehn Jahren feierte er seinen wohl größten Karriereerfolg. Im Sprint einer kleinen Gruppe bezwang er Sep Vanmarcke, Philippe Gilbert und George Hincapie im Finale von Gent-Wevelgem. "Zumindest kann ich behaupten, eines der wichtigen Rennen in Belgien gewonnen zu haben, auch wenn es leider kein Monument ist", erklärte der Österreicher in einem längeren Gespräch mit radsport-news.com.
In dieser Zeit dominierten nur wenige Fahrer die großen Klassiker. Es war die Hochzeit des Duelles zwischen Fabian Cancellara und Tom Boonen auf den Kopfsteinpflasterpassagen. 2010 wurde Gent-Wevelgem auch erstmals nicht zwischen der Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix ausgetragen, sondern davor, als wirklich eigenständiges Klassikerrennen. Eines, dass Eisel eigentlich nicht besonders liebte bis 2010. "Der Wind und alles darum war eigentlich nie so meine Sache gewesen. Aber seit der Ausgabe damals ist Gent-Wevelgem meine große Liebe geworden", sagte der Österreicher lachend.
Nach einer Vorselektion, zuerst konnten sich gut 15 Fahrer vom Feld lösen, fand knapp 13 Kilometer vor dem Ziel die Rennvorentscheidung statt. Eine weitere große Gruppe war drauf und dran, zu den Führenden rund um Eisel anzuschließen. Der Steirer blickte sich um und entdeckte den Spanier Oscar Freire, dreifacher Straßenweltmeister und Sieger des Rennens 2008 bei den Verfolgern. In Zeitfahrposition setzte er sich an die Spitze und erhöhte bei Seitenwind das Tempo. Sein ehemaliger Teamkollege Hincapie, nun im Dress von BMC Racing, half dem Österreicher und kurze Zeit später brachen die Gruppen auseinander.
"Es war witzig zu sehen, wie eine kleine Beschleunigung nach 200 Kilometern alles verändern kann", erinnerte sich Eisel. Vor dem finalen Sprint schnappte er sich das Hinterrad von Hincapie: "Als er beschleunigte, zog ich nach. Als ich aufblickte, sah ich das 200-Meter-Schild und dachte mir, das war zu früh." Doch es war nicht zu früh und der Profi im Trikot von HTC Highroad gewann als erster Österreicher einen der größten Klassiker Belgiens.
Mit 16 Jahren ins Ausland gewechselt
Zu den Rennen im Norden sollte er eine besondere Beziehung bilden. Insgesamt kam Eisel auf jeweils 16 Teilnahmen bei den beiden Pflasterklassikern. Er liegt damit nur knapp hinter den Rekordteilnehmern Stijn Devolder (18) sowie Frederic Guesdon, George Hincapie oder Matthew Hayman (je 17). "Die zweieinhalb Wochen in Flandern gehören zu der stressigsten Zeit im Rennkalender. Du bist zwischen den Rennen nie zu Hause und danach richtig urlaubsreif", erinnerte sich
"Die letzten eineinhalb Monate habe ich aber nicht mehr trainiert. Ich weiß gar nicht, wo mein Rad im Moment steht", erklärte der Österreicher im Gespräch nach seinem verkündeten Karriereende. Zu frisch war der Rücktritt noch, um wirklich alle Erinnerungen zu sammeln und wirkliche Highlights hervorzustreichen, so meinte Eisel im Interview. Mit 16 Jahren begann seine Karriere, als er noch als Schüler damals zu einem italienischen Nachwuchsteam wechselte.
"Als ich meiner Mutter erklärte, dass ich in den Semesterferien für ein paar Wochen jetzt nach Italien gehe, um dort bei einem Team zu fahren, dachte sie wohl, 'jetzt spinnt er komplett'. Aber ich bekam eine Möglichkeit und konnte diese gut nutzen", erinnerte sich der 38-Jährige heute. Nur drei Jahre später bekam er seinen ersten Vertrag bei Mapei – Quickstep, dem damals besten Team der Welt. Gemeinsam mit Filippo Pozzatto und Fabian Cancellara gehörte er zu den damals jüngsten Profis auf der Straße. Sein Debüt gab er beim belgischen Eintagesklassiker Noekere Korse, wo er im Sprint des Feldes Rang 26 belegte. Seine Sprintstärke zeigte er dann wenig später bei der Sarthe-Rundfahrt, wo er die 1. Etappe als Fünfter beendete. Seinen ersten Sieg verpasste er nur knapp bei der Österreich Rundfahrt, wo er bei seinem Debüt auf dem 1. Tagesabschnitt rund um Dornbirn Zweiter wurde.
Im Jahr darauf ging es für die jungen Fahrer in das Farmteam von Mapei. Eine befürchtete Reduzierung der Fahrer pro Mannschaft führte dazu, dass Eisel nur wenige Einsätze hatte. Er überraschte aber mit einem fünften Platz im Einzelzeitfahren der Bayern-Rundfahrt sowie dem fünften Rang bei den Nationalen Straßenmeisterschaften in Österreich. Gegen Saisonende startete er dann erstmals bei den Weltmeisterschaften im Straßenrennen. Obwohl er in der U23 zu den absoluten Titelkandidaten zählte, entschied er sich für die Elite. "Ich habe mir ein Top Ten Ergebnis zugetraut und obwohl wir viele starke Sprinter im Team hatten, entschieden wir uns im Finale, für mich zu fahren. Leider klappte es nicht und ein großer Sturz in der letzten Kurve riss mich zu Boden", erinnerte sich der Steirer, der zum Jahresende nach Frankreich wechselte.
Wechsel unter die Fittiche von Marc Madiot und erste Kapitänsrollen
Die folgenden vier Jahre seiner Karriere bestritt er für das Team Francaise de Jeux, eine sehr spezielle Zeit: "Die Jahre waren natürlich von Marc Madiot geprägt, ein Teamchef, der im positiven Sinne immer zwischen höchsten Emotionen und Wahnsinn schwebte." Eisel lernte viel, vor allem das Management des Franzosen, der sein Budget Jahr für Jahr im eher kleineren Bereich der Topteams managte, aber immer wieder groß auftrumpfte mit seinen Fahrern. "In ihrem ersten Teamjahr 1997 haben sie Paris-Roubaix mit Guesdon gewonnen und am Ende des Jahres die Teamweltrangliste angeführt", zollte Eisel seinem ehemaligen Arbeitgeber Respekt.
Laut dem Österreicher waren die Fahrer im Team immer das größte Investment für den Manager, der selbst zweimal die Königin der Klassiker für sich entscheiden konnte. Und auch sein erster österreichischer Schützling übernahm früh Verantwortung im Team. "Ich habe auf einmal bei den Rennen die Kapitänsrolle bekommen. Viel gesagt haben sie einem taktisch damals nicht, außer, dass deine Kollegen für dich fahren", schmunzelte der 38-Jährige.
2003 bestritt Eisel auch seine erste GrandTour, 18 weitere sollten noch folgen. Auf der vierten Etappe wurde der Steirer Dritter hinter den damaligen Sprintgrößen Alessandro Petacchi und Robbie McEwen. Und gleich am Tag darauf bestätigte er seine Qualitäten im Finale und holte nochmals Rang drei, hinter Petacchi und Mario Cippolini. Aber schon im Frühjahr zeigte Eisel erstmals international auf. Bei seinem ersten Monument, Mailand-Sanremo, landete er auf dem 12. Platz, wenig später beendete er seine erste Flandern-Rundfahrt auf Platz 14 und sein erstes Paris-Roubaix auf Rang 22.
Ein weiteres Highlight war der vierte Platz in der Punktewertung der Tour de France 2006 oder seine beiden Etappensiege bei der Tour de Suisse. "2005 ist eine tolle Erinnerung, da ich dort die Auftaktetappe vor Boonen, Wrolich und Bettini gewonnen habe. Leider hat mir Ullrich am nächsten Tag im Zeitfahren dann das Gelbe Trikot ausgezogen", blickte Eisel zurück, der damals eine tolle Vorarbeit seiner Teamkollegen Bradley McGee und Baden Cooke in einen fantastischen Sieg ummünzte. Auch vier Jahre später gewann er nochmals eine Etappe, damals in Davos vor Gerald Ciolek und Freire.
Eine Million Dollar Preisgeld und die Trainingssteuerung über die Armbanduhr
2007 wählte Eisel eine spezielle Vorbereitung für die Tour de France. Er bestritt in den Vereinigten Staaten die drei von der Commerce Bank gesponserten Eintagesrennen, die als neue Triple Crown bezeichnet wurden. In den 90ern gelang es einmal Lance Armstrong alle drei Rennen zu gewinnen, was für ein angebliches Preisgeld von einer Million Dollar belohnt wurde. Nachdem Eisel die Rennen in Lancaster und Reading beide für sich entschied, wurden die ersten Geschichten gestreut, dass bei einem Sieg des 250 Kilometer langen Abschlussrennens der Serie in Philadelphia eine ähnliche Summe dem Österreicher zustehen könnte: "Nachdem aber Juan-Jose Haedo und Matthew Goss mich bezwingen konnten, war dann auch Egal, ob die Million nur ein Gerücht war oder ich sie wirklich bekommen hätte."
In den nächsten Karriereabschnitten nach den Zeiten bei Mapei, Francaise de Jeux oder Highroad warteten noch das britische Team Sky und das südafrikanische Team Dimension Data sowie acht weitere Jahre am höchsten Niveau auf den Österreicher. "Das Training werde ich am wenigsten vermissen. Früher war die Armbanduhr meine Trainingssteuerung. Wenn ich gefragt wurde, wie das Training aussehen soll, sagte ich oft, um 13:00 Uhr muss ich zu Hause sein", schmunzelte Eisel, den vor allem die Zeit bei Sky am meisten prägte.
"Dort habe ich alles neu gelernt und es waren sehr intensive vier Jahre", blickte der Österreicher zurück. Jahre in denen er sich auch als Road Captain hervortat und vor allem als Rechenmaschine für Teamkollegen Mark Cavendish in den schweren Alpenetappen mit dem Ziel, den britischen Sprinter immer vor Ablauf der Karenzzeit sicher ins Tagesziel zu bringen: "Ich hatte nie ein Problem, die Karenzzeit zu berechnen, ein Blick ins Routebook reichte um zu wissen, wieviel wir in den Anstiegen verlieren dürfen."
Legendär sind auch heute noch die Geschichten von den Tempojagden in den Abfahrten und in den Tälern zwischen den Bergpreisen. "Für Marc war es immer so abgestimmt, dass die Bergetappen eigentlich eine Trainingsfahrt für ihn waren. Die meisten seiner Erfolge hat er nämlich erst am Ende der Tour gefeiert und das war dann auch mein Verdienst", erklärte Eisel, den eine besondere Freundschaft zu Cavendish als auch dessen Anfahrer Mark Renshaw verband. Immer wieder kreuzten sich bei den verschiedenen Stationen die Wege der drei Profis, die sich untereinander als die Drei Musketiere bezeichneten: "Würden wir alle unsere Geschichten erzählen, wir würden tagelang zusammensitzen und würden keinen langweilen dabei."
Sturz bei Tirreno leitet Karriereende ein
Der 39-Jährige bezeichnete sich selbst im Gespräch als einen, der nie der Typ für einen 40-Stunden-Job sein werde. Dem Radsport bleibt er als Experte für die Kanäle von Discovery erhalten, als Presenter bei GCN und Co-Kommentator bei Eurosport. Seine 19 Saisonen auf der WorldTour haben ihn zu einem gefragten Gesprächspartner gemacht, für die UCI, für die Kollegen als auch die Medien. Immerhin spricht der Österreicher vier Sprachen fließend, was ihn wohl selbst bis heute am meisten verwundert: "Wenn ich denke, dass wir das alles noch mit Büchern und CDs gelernt haben. Heute gibt es ja dafür schon Apps."
Eine schwere Sturzverletzung bei Tirreno-Adriatico 2018 leitete dann das Karriereende ein. Eisel musste sich aufgrund einer Gehirnblutung einer Operation unterziehen, kämpfte immer wieder mit Schwindelanfällen bei Höchstbelastung: "Nach der OP wollte ich gleich Rennen bestreiten, doch es war immer wieder ein Auf und Ab. Hätten die Ärzte damals gesagt 'lass es', dann hätte ich es auch gelassen. Selbst wollte ich aber so nicht aufhören." Der Österreicher kämpfte sich noch einmal zurück, aber eine 20. Saison gab es dann 2020 nicht mehr. "Das wäre natürlich ein wenig Storytelling gewesen und hätte mir gefallen, aber am Ende hat es nicht geklappt mit einem neuen Vertrag", berichtete Eisel abschließend.
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