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09.04.2020 | (rsn) - Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf den Radsport? Wo muss man sich vorsehen, wie viel darf man trainieren? Diese Fragen beantwortete Dr. med. Helge Riepenhof im Interview mit radsport-news.com. Der Chefarzt des Zentrums für Rehabilitationsmedizin sowie der sportmedizinischen Abteilung im BG Klinikum Hamburg gehört zu den sportärztlichen Koryphäen Europas. Er betreute unter anderem das Team T-Mobile und den AS Rom.
Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf Top-Sportler?
Dr. Helge Riepenhof: Wie viele andere Berufe auch ist der Profisport aktuell schwer betroffen, da eine Ausübung des Sportes häufig im Rahmen von Großveranstaltungen stattfindet. Zudem sind in einigen Ländern, unter anderem Frankreich, Spanien und Italien, strenge Ausgangssperren aktiv. Eine Ausübung des Sports und Berufs ist damit nicht möglich. Hier ist also Kreativität gefragt, um dennoch eine gewisse Fitness aufrecht zu erhalten, um nach der Krise wieder schnell ein gutes Niveau der sportlichen Leistungsfähigkeit zu erreichen. Viel dramatischer schätze ich die langfristige Perspektive für den Profisport allgemein ein. Da deutliche wirtschaftliche Einschnitte in einigen Branchen bevorstehen, kann resultierend auch das Sponsoring-Engagement in Folge drastisch zurückgefahren werden. Hier sehe ich viele Sportarten bedroht. Insbesondere aber der Profiradsport, der zu großen Teilen nur über Sponsoren finanziert wird, kann dann maßgeblich gefährdet sein.
Sind Profisportler weniger durch Ansteckungen gefährdet?
Riepenhof: Hier muss man ganz klar differenzieren. Profisportler sind häufig jung und gesund. Damit gehören sie nicht zur Risikogruppe für einen schweren Verlauf. Das bedeutet jedoch nicht, dass es in dieser Gruppe keine schweren Verläufe geben kann. Ein weiterer häufiger Irrglaube ist, dass ich mich aufgrund meiner Gesundheit oder eines vermeintlich “robusten Immunsystems“ nicht anstecken kann. Grade junge, gesunde Menschen, die häufig einen milden Verlauf der Erkrankung haben, können dadurch das Virus an viele Menschen weitergeben.
Kann ich mich beim Radfahren anstecken?
Riepenhof: Rein theoretisch ja. Allerdings ist bei Einhaltung von gewissen Maßnahmen das Risiko sehr gering, da an der frischen Luft mit ausreichend Abstand die Wahrscheinlichkeit einer Infektion drastisch abnimmt. Wichtig ist auch beim Radfahren: Abstand halten, alleine fahren oder wenn erlaubt mit einer weiteren Person. Auch auf die Kleinigkeiten achten, wie nicht die gleiche Trinkflasche benutzen, Körperkontakt vermeiden.
Wie ist es beim Windschattenfahren?
Riepenhof: Beim Windschattenfahren ist das Risiko sich anzustecken sehr gering. Dennoch sollte man Abstand so gut wie möglich halten und das Fahren in Gruppen vermeiden. Auch beim Radfahren gelten die Empfehlungen eines Abstands von mindestens 1,5 bis 2m.
In einigen Ländern ist Radfahren verboten. Finden Sie dafür eine Erklärung?
Riepenhof: Das ist eine Entscheidung, die politisch getroffen wurde. Ich denke, hier muss man verschiedene Aspekte betrachten und auch schauen, wo es verboten wurde. Sollte dort, von den die Entscheidung verantwortenden Personen, ein Engpass an Krankenhauskapazitäten vorhergesehen werden, kann eine solche Entscheidung Sinn machen. Grundsätzlich bin ich aber überzeugt davon, dass eine sportliche Aktivität an der frischen Luft gut ist. Alle anderen Erkrankungen existieren weiter und Sport hat für viele dieser Leiden einen positiven Einfluss. Solange es erlaubt ist.
Wie stehen Sie generell zu einem Verbot von Sport im Freien
Riepenhof: Ich denke eine solche Entscheidung hat, wenn sie getroffen wird, ihre Gründe. Sollte es im Sinne der Gesundheit der Bevölkerung notwendig sein, Sport im Freien zu verbieten, dann ist es gerechtfertigt. Eine solche Entscheidung wird niemals leichtfertig getroffen. Allgemein bin ich von der positiven Wirkung von Sport auf die Gesundheit überzeugt.
Ist Rollentraining eine Alternative?
Riepenhof: Sport und vor allem Bewegung ist gut für Körper und Psyche. Frische Luft ebenfalls. Wenn ich nicht draußen fahren kann oder darf, ist Rollentraining eine Alternative - klar. Das sehen wir bei den Profis aktuell auch sehr eindrucksvoll. Wenn Bewegung an der frischen Luft jedoch möglich ist, präferiere ich die Aktivitäten draußen durchzuführen. Das obliegt aber jedem selbst.
Wann sollte ich nicht draußen fahren?
Riepenhof: Grundsätzlich sollte ich die aktuellen Regeln befolgen. Das bedeutet, wenn es ein Verbot gibt, sollte ich mich daran halten - schließlich geht es um den Schutz von sich selbst und den anderen Menschen im Umfeld. Ansonsten gilt natürlich auch wie immer: Wer sich akut krank fühlt oder Vorerkrankungen hat, die eine sportliche Aktivität verbieten, gilt: Vorsicht walten lassen und im Zweifelsfall pausieren.
Wie hoch kann die Trainingsintensität in Zeiten der Corona-Pandemie sein?
Riepenhof: Grundsätzlich wissen wir, dass extrem lange oder extrem intensive Einheiten das Immunsystem mehr belasten. Etwas, das wir über den Open Window-Effekt schon lange kennen. Man geht dabei davon aus, dass es im Anschluss leichter zu Infekten kommen kann. Dies hat im Allgemeinen jedoch nichts mit einer Corona-Infektion zu tun, dafür wissen wir noch viel zu wenig über das Virus. Ich sollte jedoch keine bewusst überfordernden oder gefährlichen Einheiten durchführen. Ein normales Training kann jedoch weiter durchgeführt werden - in Maßen!
Wie schätzen Sie Corona-Lage in Deutschland ein?
Riepenhof: Ich bin kein Virologe oder Epidemiologe. Entsprechend verlasse ich mich hier auch auf die Experten, von denen wir eine Reihe in Deutschland haben, und die in Zusammenarbeit mit unserer Politik auch die Entscheidungen treffen. Ich denke jedoch, dass wir nach wie vor immer noch am Anfang einer herausfordernden Zeit sind. Gemeinsam, und damit meine ich alle von uns, werden wir jedoch sicher auch diese Herausforderung meistern. Und jede Krise bietet ja auch immer Chancen für Wachstum.
Sie haben auch in Italien gearbeitet. Wie sehen Sie den Vergleich zu Deutschland?
Riepenhof: Die Lage in Italien ist wirklich dramatisch - zumindest in einigen Regionen. Ich denke im Vergleich zu Deutschland gibt es zwei wesentliche Unterschiede. Der erste Faktor ist die Zeit. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass in Deutschland im Verhältnis zu anderen Ländern früh Maßnahmen zur Reduktion der Verbreitungsgeschwindigkeit des Virus getroffen wurden. Das ist nicht als Fehler von Italien zu werten. Viel mehr hatten wir Glück, dass eine breite Verteilung der Infektion in Italien bereits einige Wochen vor Deutschland auftrat. Wir hatten also mehr Zeit zu reagieren als unsere Kollegen und konnten lernen. Der zweite Punkt ist, dass wir in Deutschland, auch aufgrund unseres Gesundheitssystems, im Verhältnis zu anderen Ländern in puncto Krankenhausbetten und Intensivkapazitäten gut aufgestellt sind. Die Gefahr, dass unser Gesundheitssystem kollabiert, ist natürlich trotzdem möglich, sollten in zu kurzer Zeit zu viele Krankheitsverläufe auftreten.
Dr. Helge Riepenhof betreute als Mannschaftsarzt den AS Rom aus der italienischen Serie A und den BHAFC Brighton & Hove Albion aus der Premier League. Er ist seit 2007 Arzt der deutschen Radsport-Nationalmannschaft bei den Weltmeisterschaften auf der Straße und war Mitglied des deutschen Ärzteteams bei den Olympischen Sommerspielen in Peking (2008), London (2012) und Rio de Janeiro (2016). Außerdem berät er Profis der US-Basketballliga NBA.
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