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14.05.2020 | (rsn) - Erinnern Sie sich noch an Matthias Ruß? Zehn Jahre ist es her, dass der gebürtige Reutlinger im Alter von nicht einmal 27 Jahren seine Karriere beendete. Dabei galt der kleine Kletterer zu Beginn seiner Karriere als großes Talent. Als er nach zwei Spätsommern als Stagiaire in den Jahren 2003 und 2004 schon als 21-Jähriger einen Profi-Vertrag beim ProTour-Rennstall Gerolsteiner unterschrieb, durfte man sich viel von ihm versprechen.
Mit 23 gewann er im August 2006 eine Etappe der Rothaus Regio-Tour in Badenweiler vor Andreas Klöden, der drei Wochen zuvor in Paris am Ende der Tour de France auf dem Podium gestanden hatte. Doch das sollte sein einziger Profi-Sieg bleiben. Den entscheidenden Leistungssprung, um sich auf allerhöchstem Niveau festzubeißen, machte Ruß nie. Er war nah dran, blieb jedoch im Schatten.
Die 6. Etappe des Giro d'Italia 2008 passt dazu sehr gut: An jenem 15. Mai fuhr Ruß damals in Peschici nämlich hauchdünn am ganz großen Rampenlicht vorbei. Obwohl er im Gesamtklassement zeitgleich mit dem Italiener Giovanni Visconti war, musste er ihm das Rosa Trikot überlassen, weil Visconti das Tagesziel als Achter und Ruß sieben Sekunden danach nur als Zehnter erreicht hatte. Die bessere Platzierung war letztlich ausschlaggebend - oder die Nationalität, unkte man damals.
Ruß und Visconti hatten, wie auch Paul Martens (Rabobank), der zwölfköpfigen Ausreißergruppe des Tages angehört, die während des 232 Kilometer langen Teilstücks bis zu 15 Minuten Vorsprung gewährt bekam. Auf den letzten 15 Kilometern fuhren die Spitzenreiter ein hartes Rennen um den Tagessieg, der schließlich an den Italiener Matteo Priamo (CSF Group Navigar) ging, während in der gut einen Kilometer langen Schlussrampe die Gruppe in seine Einzelteile zerfiel.
Martens wurde 31 Sekunden hinter Priamo Vierter, doch der echte Krimi entbrannte noch einige Sekunden weiter hinten. Dort nämlich hatte Visconti offensichtlich erkannt, dass der Tagessieg weg war und es nun um Rosa ging, weil der Gesamtführende Franco Pellizotti mit dem Peloton mehr als elf Minuten zurücklag.
Eine Sekunde zu spät im Etappenziel
Visconti setzte sich ans Hinterrad von Ruß und wartete auf den richtigen Moment. Er musste dem Deutschen sieben Sekunden abnehmen, um das Maglia Rosa zu ergattern, und attackierte etwa 300 Meter vor dem Ziel. Ruß versuchte alles, um am explosiven Italiener dran zu bleiben, doch ihm fehlte schließlich die Spritzigkeit. Er sah Visconti vor sich über den Zielstrich fahren, drückte seinen dicken Gang weiter und schob schließlich mit letzter Kraft noch sein Vorderrad nach vorne, um handgestoppte 6,7 Sekunden nach Visconti die Linie zu erreichen - ein paar Zehntelsekunden zu spät.
Visconti übernahm Rosa und trug das Führungstrikot für acht Tage bis in die Alpen, während Ruß zunächst stellvertretend für den Italiener das Weiße Nachwuchstrikot bekam. Er büßte in den kommenden Tagen aber Sekunde um Sekunde ein. Im 39 Kilometer langen Einzelzeitfahren von Urbino auf der 10. Etappe verlor er vier Minuten, um tagsdrauf auf dem schweren Weg nach Cesena im Gruppetto zu landen. Danach hatte Ruß sich endgültig aus der Giro-Spitze verabschiedet. Auf der 15. Etappe gab er die Italien-Rundfahrt in den Alpen als Gesamt-66. mit 46 Minuten Rückstand auf Rosa auf.
Im Jahr darauf stürzte Ruß auf der 2. Etappe schwer und musste sich am Schlüsselbein operieren lassen. Als er 2010 zum Giro zurückkehrte, reifte in dem inzwischen in Lörrach wohnenden 26-Jährigen bereits der Entschluss, am Saisonende seine Karriere zu beenden und ein Maschinenbaustudium zu beginnen. Er fuhr die Italien-Rundfahrt zu Ende, wurde 84. und belegte eine Woche danach noch einen siebten Platz beim GP Gippingen. Sein letztes Rennen bestritt er am 3. Oktober 2010 beim Sparkassen Münsterland Giro.
Das Duell Visconti vs. Ruß im Video ab Minute 1:55:
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