Eine unglaubliche Karriere

Geoghegan Hart: Schulschwänzer, Kanalschwimmer, Giro-Sieger

Von Peter Maurer

Foto zu dem Text "Geoghegan Hart: Schulschwänzer, Kanalschwimmer, Giro-Sieger"
Tao Geoghegan Hart (Ineos - Grenadiers): Ein Brite jubelt in Mailand | Foto: Cor Vos

26.10.2020  |  (rsn) - Vor eineinhalb Jahren sorgte Tao Geoghegan Hart (Ineos – Grenadiers) mit seinem Teamkollegen Pavel Sivakov bei der Tour of the Alps für Furore, als die beiden ihre jeweils ersten Siege im Profiradsport holten und die Rundfahrt auf den Plätzen eins und zwei beendeten. Das Nachsehen hatten dabei Top-Stars wie Vincenzo Nibali, Rafal Majka oder Chris Froome.

Am Sonntag nun gelang Geoghegan Hart noch ein viel größerer Coup, als er den 103. Giro d'Italia gewann und damit der fünfte Grand-Tour-Sieger im aktuellen Kader der britischen Mannschaft ist, die in den letzten Jahren in zermürbender Defensivarbeit das Tempo im Peloton diktierte und so von Erfolg zu Erfolg fuhr.

Beim Giro nun jagte Ineos zunächst Etappensiege - insgesamt gelangen dem Team sieben - und kam erst in der dritten Woche auf den Klassementgeschmack, als sich Geoghegan Hart mit zwei Tageserfolgen plötzlich auf dem Podium wiederfand, ehe er sich am letzten Tag erstmals auch das Maglia Rosa eroberte, was es in der Italien-Rundfahrt zuvor noch nie gegeben hatte.

"Wir sind ja jetzt Grenadiere", spielte Teammanager Sir Dave Brailsford im Eurosport-Interview in Mailand auf den neuen Zweitnamen an - ein vom Hauptsponsor Ineos entworfener Geländewagen mit dem martialischen Namen Grenadier, mit dem beim Militär motorisierte Infanterie bezeichnet wird. Zudem deutete der von der Queen geadelte Waliser damit an, dass sein Team künftig einen Strategiewechsel hin zu offensiverer Fahrweise vollziehen wird.

"Wir werden natürlich nie erfahren, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn der designierte Spitzenreiter Geraint Thomas, der Favorit vor dem Rennen, nicht auf der 3. Etappe gestürzt wäre", sagte Brailsford. Mit dem größten Budget aller WorldTeams ausgestattet, kannn sich Ineos die besten Fahrer leisten und verfügt darüber hinaus über eine ganze Reihe von Talenten, die, wie Geoghegan Hart zeigte, zuschlagen können, wenn sie freie Fahrt erhalten.

Kein Ende der Ära in Sicht

Der in London geborene und mittlerweile mit Partnerin Hannah Barnes in Andorra lebende 25-Jährige war eine der Sensationen dieses Giro - und mit seinem Gesamtsieg schließlich die größte Überraschung. "Nicht in meinen wildesten Träumen hätte ich mir das vorstellen können, als wir vor fast einem Monat auf Sizilien gestartet sind", erklärte Geoghegan Hart in Mailand. Bislang reichten seine Träume nur für eine Platzierung unter den besten Zehn der Gesamtwertung. Eine neue Ära für sein Team sah er, ganz im Gegensatz zu Brailsford, aber noch nicht angebrochen, wenn auch sein Vorname Tao der chinesischen Etymologie entsprechen Weg oder Pfad heißt.

"Ich denke nicht, dass das ein Ende einer Ära ist. Meine Position hier ist die Folge vieler Faktoren. Ich denke eher, dass es die Fortsetzung einer sehr erfolgreichen Entwicklung der letzten Dekade im britischen Radsport ist", so Geoghegan Hart, der sich auf den finalen 15,7 Kilometern des Giro noch das begehrte Maglia Rosa sicherte.

Nach seinem bislang größten Erfolg gab er sich allerdings bescheiden hinsichtlich seiner näheren Zukunft. "Ich will jetzt einfach zurück zum normalen Leben und am Tisch mit meiner Familie sitzen", erklärte er. In seiner Jugend war er ein vielseitiger Sportler, nahm im zarten Alter von 13 Jahren an einer Staffel teil, die den Ärmelkanal durchschwamm.

Als nun insgesamt fünfter Brite darf er sich GrandTour-Gewinner nennen. Fast drei Wochen lang sah es aber nicht danach aus und auch Geoghegan selbst beschäftigte sich lange nicht mit diesem Gedanken. "Erst in Mailand habe ich daran geglaubt, dass ich den Giro gewinnen kann", erklärte er auf der Pressekonferenz in italienischer Sprache.

Auch der erfolgsverwöhnte Team-Chef konnte die Entwicklung seines neuen Stars kaum fassen. "Vor Jahren schwänzte Tao die Schule, um Bradley Wiggins zu sehen. Damals schaute er sich alles bei uns an. Heute gehört er zu uns und hat den Giro gewonnen", sagte Brailsford im Siegerinterview bei Eurosport.

Portals Vermächtnis und Dennis' Karriereziel

Zwei weitere Namen sind im Zusammenhang mit dem Giro-Triumph noch zu nennen. Zum einen der im Frühjahr im Alter von 40 Jahren verstorbene Nicolas Portal, der als Sportlicher Leiter und Sympathieträger Herz und Seele bei Ineos fungierte. "Er war sehr wichtig für mich und hat mich im letzten Jahr bei Giro und Vuelta begleitet. Er schenkte mir Vertrauen und Unterstützung, wenn es nicht lief", dachte Geoghegan Hart an den Franzosen, der völlig unerwartet einem Herzinfarkt erlegen war.

Zudem war es auch die Arbeit vom zweimaligen Zeitfahrweltmeister Rohan Dennis, der sich auf den beiden letzten Bergetappen bis zur Erschöpfung für seinen neuen Kapitän aufrieb und so Geoghegan Hart erst in die Patt-Situation vor dem finalen Zeitfahren brachte. "Ich finde es immer komisch, wenn die Leute sagen, ich wäre kein Teamplayer", erklärte Dennis in einem Interview nach einer Bergetappe.

Erst in diesem Jahr stieß der Australier zu Ineos – Grenadiers, nachdem er das Team Bahrain – Merida nach einem Krach bei der Tour de France 2019 vorzeitig verlassen hatte. In neuer Umgebung fand der als schwierig geltende Dennis wieder Rückhalt und gehörte bei diesem Giro zu den wichtigsten Faktoren bei Geoghegan Harts Gesamtsieg. "Um ehrlich zu sein, ich dachte wir seien völlig aufgeschmissen, als Geraint mit dem Sturz ausstieg und dachte, dann müssen wir es bei einer anderen Tour mit einem Gesamtsieg versuchen", erinnerte sich der 30-Jährige.

Doch mit seinem Etappenerfolg in Piancavallo schob sich Geogeghan Hart gemeinsam mit Jai Hindley (Sunweb) wieder in die Top fünf des Klassements zurück. "Er war unglaublich und hat mir geholfen, ein großes Ziel in meiner Karriere zu erreichen. Ich wollte unbedingt mit einem Team mal eine Grand Tour gewinnen", so Dennis, dessen starke Bergleistungen die Teamleitung daran denken lassen könnten, im Klassement einer Grand Tour auch auf ihn zu setzen.

Mehr Informationen zu diesem Thema

04.01.2021Die Highlights des Giro d´Italia 2020

(rsn) - Der Giro d’Italia 2020 stand ganz im Zeichen der Youngster: Tao Geoghegan Hart (Ineos) sicherte sich den Gesamtsieg vor Jai Hindley (Sunweb), der Portugiese Joao Almeida (Deceuninck - Quick-

02.01.2021Spekenbrink verteidigt Giro-Taktik mit Kelderman und Hindley

(rsn) - Im Oktober 2020 musste Sunweb beim Giro d’Italia eine Entscheidung treffen, vor der sich jede Teamleitung fürchtet: Als der nominelle Kapitän Wilco Kelderman auf der 16. Etappe am berücht

18.12.2020Kelderman: “Bei Bora – hansgrohe spüre ich Vertrauen“

(rsn) - Wilco Kelderman (Sunweb) hat eine bewegte Saison hinter sich. Der Niederländer stand kurz vor dem Gesamtsieg beim Giro d’ Italia, ehe er am vorletzten Tag in Sestriere das Rosa Trikot an se

26.11.2020Sagan würde gerne zum Giro zurückkehren

(rsn) - Nach seinem erfolgreichen Giro-Debüt, bei dem er einen Etappensieg feiern und vier weiteren zweiten Plätzen würde Peter Sagan (Bora - hansgrohe) im kommenden Jahr gerne zur Italien-Rundfahr

30.10.2020Sagan: “Ich bin immer noch da und definitiv noch nicht fertig“

(rsn) - Peter Sagan (Bora - hansgrohe) hat an seinen 64 Renntagen dieser Saison nur einmal als Erster die Ziellinie überquert. Den Spaß am Radsport hat der dreimalige Weltmeister, der im Januar sein

28.10.2020Vegni fordert Bestrafung von EF und Jumbo - Visma

(rsn) - Giro-Renndirektor Mauro Vegni fordert Sanktionen gegen die Teams EF und Jumbo - Visma wegen deren Verhalten im Zusammenhang mit der Corona-Politik der Italien-Rundfahrt. Jumbo - Visma hatte da

27.10.2020Giro-Sieger Geoghegan Hart erhält 314.781 Euro Preisgeld

(rsn) - Tao Geoghegan Hart und sein Team Ineos Grenadiers haben beim 103. Giro d’Italia mit sieben Etappenerfolgen und dem Gesamtsieg nicht nur in sportlicher Hinsicht groß abgeräumt, sondern füh

27.10.2020Brailsford begeistert die neue Ineos-Fahrweise

(rsn) - Die bisherigen Grand-Tour-Siege von Ineos Grenadiers kamen alle nach dem gleichen Schema zustande. Zunächst hiel die Mannschaft das Feld zusammen, erhöhte dann im Schlussanstieg das Tempo, e

27.10.2020Trek-Segafredo-Chef Guercilena zweifelt nicht an Nibali

(rsn) - Vincenzo Nibali (Trek - Segafredo) war beim 103. Giro d’Italia erwartungsgemäß bester Italiener. Das kann den zweimaligen Gesamtsieger aber kaum darüber hinwegtrösten, dass er im Kampf u

26.10.2020Campenaerts: “Vielleicht war Giro-Zeitfahren mein letztes Rennen“

(rsn) - Mit seinem zweiten Platz im Zeitfahren von Mailand beendete Victor Campenaerts (NTT) den Giro d’Italia zwar mit einem Erfolgserlebnis. Doch der Stundenweltrekordler weiß immer noch nicht, w

26.10.2020Sunweb-Duo Hindley und Kelderman beim Giro 2021 Gegner?

(rsn) - Am Ende kam es für Team Sunweb so, wie es sich bereits nach der letzten Giro-Bergetappe angedeutet hatte: Jai Hindley konnte sein in Sestriere erobertes Rosa Trikot nicht verteidigen und wurd

26.10.2020Im Radsport 4.0 ist Wandlungsfähigkeit gefragt

(rsn) - Große Rennställe können alles. Das ist eine der markantesten Erkenntnisse dieses 103. Giro d´Italia. Galt es viele Jahre als unumstößliche Radsportweisheit, dass ein Team sich vor allem

Weitere Radsportnachrichten

21.01.2025Welsford bleibt ´Down Under´ der Sprinter Nummer 1

(rsn) – Sam Welsford macht bei der Tour Down Under da weiter, wo er bei seiner Heimat-Rundfahrt im vergangenen Jahr aufgehört hat: beim Gewinnen. Der australische Sprinter von Red Bull – Bora –

20.01.2025Van Empel will “auch in Zukunft den Schwerpunkt auf Cross legen“

(rsn) - Anders als Teamkollege Wout van Aert (Visma – Lease a Bike), der in diesem Winter seine Cross-Kampagne auf vier Einsätze reduziert hat und sich damit nochmals fokussierter auf die Straßens

20.01.2025Tendenziell stärker als im Vorjahr

(rsn) – Echte Abstiegssorgen werden sich Teambesitzer Gerry Ryan und Manager Brent Copeland vermutlich nicht machen. Nach zwei Dritteln des aktuellen Dreijahreszyklus‘ zur Vergabe der WorldTour-Li

20.01.2025Einbrecher raubten Molanos Haus aus

(rsn) – Juan Sebastián Molano bereitet sich derzeit mit seinem Team UAE Emirates – XRG in Dubai auf die neue Saison vor. Die Abwesenheit des Kolumbianers nutzten laut einer Meldung der Zeitung â€

20.01.2025Tour of Norway fügt Frauen- zur Männer-Rundfahrt hinzu

(rsn) - Nicht nur die Leistungsdichte im internationalen Frauen-Radsport nimmt zusehends zu, auch der Rennkalender füllt sich immer mehr. Nun gaben auch die Veranstalter der Tour of Norway (2. Pro) d

20.01.2025In neuen Farben zu noch mehr Erfolgen

(rsn) - Die auffälligste Veränderung beim mittlerweile schon 17 Jahre alten, aber erst seit 2021 zur World Tour zählenden Rennstall aus Belgien stellt in dieser Saison das neue Outfit dar. Zu Weiß

20.01.2025Etappen, Profile, Favoriten: Alle Infos zur 25. Tour Down Under

(rsn) – Zwei Tage nach dem Ende der Tour Down Under der Frauen, bei der sich die Schweizerin Noemi Rüegg (EF Education – Oatly) souverän den Gesamtsieg sicherte, sind in Australien die Männer d

20.01.2025Ewan zu Ineos? Thomas: “Wäre großartig - uns fehlt ein Sprinter“

(rsn) – Nach den Gerüchten um den Zwist zwischen Top-Sprinter Caleb Ewan und seiner bisherigen Equipe Jayco – AlUla ist der 30-jährige Australier zum Auftakt der WorldTour-Saison nicht am Start

20.01.2025Tour Down Under: Die letzten zehn Jahre im Rückblick

(rsn) - Die Tour Down Under bildet im Januar traditionell den Auftakt der WorldTour-Saison. Die 25. Austragung der Rundfahrt durch den Bundesstaat South Australia startet am 21. Januar und führt übe

19.01.2025Der einstige Primus muss kleinere Brötchen backen

(rsn) - Der Streit zwischen Tom Pidcock und den Ineos Grenadiers war einer der Aufreger des vergangenen Herbstes. Vor der Lombardei-Rundfahrt wurde der Brite trotz guter Form aus dem Aufgebot für den

19.01.2025Nys gewinnt Geduldsprobe von Benidorm, van Aert Vierter

(rsn) – Bis zur letzten Runde hatten sich die Topstars beim Weltcup in Benidorm gegenseitig angeschaut, dann setzte der Belgier Thibau Nys (Baloise – Glowy Lions) am bekannten Asphalt-Anstieg die

19.01.2025Van Empel bleibt beim Weltcup in Benidorm ungeschlagen

(rsn) – Die Niederländerin Fem van Empel (Visma – Lease a Bike) hat beim Weltcup in Benidorm nach einem spannenden Rennen aus einer größeren Gruppe heraus ihren zehnten Saisonsieg gefeiert. Ihr

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Santos Tour Down Under (2.UWT, AUS)