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26.12.2013 | (rsn) - In einem Alter, in dem die meisten Sportler ihre Karriere beenden oder bereits beendet haben, startet Jutta Stienen erst richtig durch. Die Schweizerin ist im August 41 Jahre alt geworden, hat aber 2013 trotzdem erst ihre zweite volle Rennsaison absolviert - und die erste mit dem Fokus auf dem Sport anstatt der Arbeit. Denn 2012 arbeitete Stienen noch als festangestellte Marketing-Managerin bei einer Software-Firma.
Renneinsätze gab es deshalb nur sporadisch, bis sie mit dem Schweizer Unternehmen Tempo Sport für das Jahr 2013 einen Sponsor fand, der ihr auch ermöglichte, ein kleines Frauen-Team für die nationalen Rennen aufzubauen. Beruflich legte Stienen ein Jahr Pause ein und arbeitete nur noch projektbezogen als Freelancerin, um mehr Zeit für den Radsport zu haben und schauen zu können, wie weit es dort geht.
Doch die Doppelbelastung aus Initiatorin des Teams und Fahrerin machte Stienen zunächst stark zu schaffen. „Rückblickend muss ich feststellen, dass ich im ersten halben Jahr zu viel Energie ins Team gesteckt habe. Das hat mich vielleicht auch in meiner Leistung etwas limitiert“, gab sie gegenüber radsport-news.com jetzt zu.
Die Unterstützung durch ihren Sponsor sei zwar gut gewesen, doch die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen nicht. „Eigentlich waren wir alle als Einzelstarterinnen unterwegs“, so die 41-Jährige ernüchtert. „Für mich war das etwas enttäuschend, denn ich hatte doch viel Energie in das Projekt gesteckt.“
Für die internationalen Rennen, die durch das Team ohnehin nicht abgedeckt werden sollten, improvisierte Stienen und suchte sich jeweils neue Teamkolleginnen. „Ich habe mich mit Steffi Meizer von den Racing Students zusammengetan, und wir haben versucht, mit Mixed Teams an internationalen Rundfahrten teilzunehmen.“ Das gelang zwei Mal, hinzu kamen drei Rundfahrten mit der Schweizer Nationalmannschaft.
In der zweiten Jahreshälfte wurde es besser. Stienen holte sich mehr und mehr Rennhärte und begann von der größeren Freizeit durch das berufliche Kürzertreten zu profitieren. „Ich konnte dieses Jahr vermehrt Sechsstünder einbauen, was mich auch weitergebracht hat“, sagte sie über ihr Training. „Aber der große Unterschied ist die Erholung. 2012 war der Tagesablauf so: Aufstehen, Arbeiten bis mittags, dann zwei Stunden aufs Rad, Mittagessen vor dem Computer und arbeiten bis 19 Uhr - manchmal danach noch Meetings. Dieses Jahr konnte ich mich auch der Regeneration widmen.“
Bei der Tour de Limousin lernte die Schweizerin schließlich Stephanie Borchers und deren Partner Eric Schneidenbach kennen, der für die Saison 2014 ein neues deutsches Frauen-Team aufbaut. Dieser Mannschaft wird sich Stienen nun anschließen, um mehr auf internationalem Level und, sollte das erlaubt werden, auch bei Bundesliga-Rennen fahren zu können. „Für mich heißt das vor allem, dass ich nicht mehr alles selbst organisieren muss. Und dann hoffe ich natürlich, dass man auch mal als Team das Rennen gemeinsam gestaltet“ - die niedrigen Ansprüche einer Profi-Radfahrerin.
Sportlich sei sie trotz aller Schwierigkeiten „generell zufrieden“ mit dem Jahr 2013. „Ich habe mich weiterentwickelt und fahre konstanter“, meinte sie. „Das zweite halbe Jahr war toll. Ich habe viele Möglichkeiten bekommen, die mich motivieren, weiterzumachen.“ Eine dieser Möglichkeiten war der Start bei den Weltmeisterschaften von Florenz in ihrer Parade-Disziplin, dem Einzelzeitfahren - nicht nur sportlich der Höhepunkt des Jahres für die 41-Jährige: „Als ‚Alte‘ und als Quereinsteigerin mit Cancellara am Tisch zu sitzen, das war schon beeindruckend“, blickte sie zurück auf eine Woche, in der sie sich im RadioShack-Teambus umziehen konnte, anstatt hinter irgendeinem Gebüsch. „Luxus pur!“
Dass sie in der Toskana starten durfte, hatte Stienen ihrer starken Leistung beim Chrono Champenois neun Tage vor Florenz zu verdanken. Dieses vom Schweizer Verband als Qualifikationsrennen deklarierte 33 Kilometer lange Einzelzeitfahren in Frankreich nämlich bewältigte sie 51 beziehungsweise 49 Sekunden schneller als die aktuell besten Schweizer Profi-Fahrerinnen Doris Schweizer und Patricia Schwager und machte somit auch einen Patzer bei den Schweizer Meisterschaften im Juni vergessen.
Dort nämlich war Stienen kurz vor dem Ziel ein dummer Fehler unterlaufen, der sie viel Zeit kostete. „Ich bin in der letzten Kurve, welche die letzten 300 Meter ins Ziel mit bis zu neun Steigungsprozenten einläutete, geradeaus gefahren - dem Motorrad nach“, erinnerte sie sich. „Mein Hirn hat wohl nicht mehr funktioniert.“ Heraus sprang nach Rang zwei im Vorjahr bei ihren ersten Landesmeisterschaften trotzdem noch der dritte Platz.
Bei der WM schließlich lief es besser und Stienen durfte nach ihrem recht frühen Start sogar für zehn Minuten auf dem ‚Hot Seat‘ der Zeitschnellsten Platz nehmen, bevor sie von den Favoritinnen später auf Rang 21 durchgereicht wurde. Diese zehn Minuten beschrieb sie später in ihrem Blog als „extremen Motivationsschub: Ich will noch mehr! Ich will noch härter arbeiten! Ich will besser werden!“ Mit 41 Jahren ist also noch lange nicht Schluss. Vor allem im Zeitfahren muss man auch 2014 auf die „alte Quereinsteigerin“ aufpassen.
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