RSN-Frauen-Rangliste, Platz 1: Lisa Brennauer

Den Turbo gezündet und steil nach oben durchgestartet

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Den Turbo gezündet und steil nach oben durchgestartet"
Gold schmeckt: Lisa Brennauer (Specialized-lululemon) mit ihrer Zeitfahr-Medaille von Ponferrada. | Foto: Cor Vos

06.01.2015  |  (rsn) – Die Fäuste auf den Armlehnen des „Hot Seat“ abgelegt, die Augen geschlossen und den Kopf leicht im Nacken: Lisa Brennauer beißt sich auf die Unterlippe und scheint für eine Sekunde nichts anderes zu tun als zu genießen. Als Titelverteidigerin Ellen Van Dijk im Regen auf die Zielgerade von Ponferrada einbiegt, ist bereits klar, dass sie nicht an die Bestzeit der Deutschen herankommen wird. Brennauer ist Zeitfahr-Weltmeisterin.

Sie durchlebt in diesen Sekunden die schönsten Momente ihrer Radsport-Karriere, und was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen kann: Nur vier Tage später wird sie auch noch Vize-Weltmeisterin im Straßenrennen und ist somit in Addition mit dem Sieg im Teamzeitfahren zu WM-Beginn so erfolgreich wie kein anderer Athlet dieser Titelkämpfe.

„Die WM war das Highlight – schon angefangen mit dem Titel im Teamzeitfahren“, erklärt Brennauer nun mit etwas Abstand radsport-news.com . „Aber im Einzelzeitfahren ist wirklich ein Traum in Erfüllung gegangen, weil ich nach dem Titel bei den Juniorinnen noch einmal das Regenbogentrikot überstreifen durfte. Und von einer Medaille im Straßenrennen hatte ich bis dato nicht zu träumen gewagt, was sie für mich so besonders macht.“

Die Allgäuerin hat, keine acht Monate nachdem sie die Saison bei der Tour of Qatar als Weltranglisten-22. begann, den Sprung in die Top 5 der Welt geschafft und ist in diesem Herbst zu einer der gefragtesten Interview-Partnerinnen im internationalen Frauen-Peloton geworden. Hinzu kamen Einladungen wie die zur Cross-Europameisterschaft nach Lorsch, wo sie den Startschuss geben sollte, oder der siebte Platz bei der Wahl zu Deutschlands Sportlerin des Jahres – direkt hinter Olympiasiegerin Kristina Vogel und deutlich besser platziert als etwa Marcel Kittel bei den Männern.

„Natürlich genieße ich es, durch die Erfolge zu besonderen Veranstaltungen eingeladen zu werden oder das eine oder andere Interview geben zu dürfen“, gibt Brennauer zu. „Aber mein Leben an sich hat sich nicht verändert. Mal sehen, wie es sich im neuen Jahr alles entwickelt.“ Mit Sicherheit wird sie im Peloton mehr beachtet werden, denn die Erfolge bei der WM waren keine Glückstreffer, sondern lediglich die Krönung eines Jahres, in dem sich Brennauers Höhepunkte geradezu jagten und ihr Stern von Monat zu Monat steiler gen Himmel schoss.

Sie gewann bei der Ronde van Overijssel am 2. Mai zum ersten Mal ohne Zeitfahrrad ein UCI-Rennen, ließ einen Monat später bei den Auensteiner Radsporttagen durch zwei Tageserfolge ihren ersten Rundfahrtsieg folgen und wurde schließlich Ende Juni Deutsche Meisterin in allen drei Straßen-Disziplinen: erst am Berg, dann im Zeitfahren und schließlich im direkten Duell mit Teamkollegin und Titelverteidigerin Trixi Worrack auf der Straße.

Doch damit nicht genug. Es folgten zwei Etappensiege und vier Tage im Gelben Trikot bei der wichtigen Thüringen-Rundfahrt, die sie auf Rang drei beendete, sowie der für ihr Team Specialized-lululemon fast schon obligatorische Erfolg beim Weltcup-Teamzeitfahren im schwedischen Vargarda und ein Etappensieg samt zweitem Gesamtrang bei der Boels Rental Ladies Tour Anfang September in Holland. Im gesamten Sommer endeten lediglich zwei von 25 Renntagen für Brennauer mit einem Resultat nicht in den Top Ten.

Da abgesehen von der WM noch einen anderen Erfolg explizit hervorzuheben, ist müßig. „Jeder einzelne ist etwas Besonderes und ein Baustein für die Leiter nach oben“, findet auch Brennauer, für die kein einziger Sieg erwartet kam. „Mit einem Erfolg zu rechnen, wäre aus meiner Sicht wohl der erste Schritt in die falsche Richtung.“

Hervorheben hingegen sollte man jedoch die Entwicklung der ehemaligen Bahnfahrerin, denn Brennauer hat in dieser Saison viel und vor allem schnell dazugelernt. Als sie in Baunatal beim DM-Straßenrennen gemeinsam mit Worrack auf die Zielgerade kam, hätte man nicht unbedingt davon ausgehen können, dass sie die endschnelle Titelverteidigerin im direkten Sprint-Duell würde bezwingen können. „Damit rechnen konnte ich nicht. Nach meinem langen Solo hat jedoch der Wille nochmal einen Turbo gezündet“, erinnert sich die Deutsche Meisterin.

Mit speziellem Training kann Brennauer ihre Fortschritte gerade im Bezug auf die Endschnelligkeit nicht erklären. „Bei mir ist in dieser Saison der Knoten geplatzt und ich habe mit jedem Sieg mehr Vertrauen geschöpft“, meint sie. „Und ich habe gelernt, meine Fähigkeiten optimal einzusetzen.“

Gerade auf der Zielgerade wird das deutlich, denn Brennauers Sprint auf den zweiten Platz in Ponferrada war nur deshalb möglich, weil sie erkannte, dass sie zu früh weit vorne war und sich dann nochmal etwas in den Windschatten zurückfallen ließ.

Zwei Monate zuvor musste ihr Sportlicher Leiter Ronny Lauke noch etwas die Stirn runzeln, weil sich seine Frauen beim bis dato größten Rennen der Saison, La Course by Le Tour auf den Champs-Élysées, im Finale nicht hundertprozentig an seinen Plan hielten. Brennauer kam anstatt als Zweite als Erste auf die Zielgerade und konnte dann nichts mehr entgegnen, als Marianne Vos, Kirsten Wild und Leah Kirchmann von ihrem Hinterrad vorbeispurteten.

Platz vier in Paris war trotzdem ein hervorragendes Ergebnis und nach dem DM-Sieg ein weiterer Fingerzeig, dass Brennauer auch auf den Zielgeraden dieser Welt bei den Besten mithalten kann. Es folgte Platz fünf beim Sprinter-Weltcup in Bochum und schließlich Anfang September der Sprintsieg in Tiel bei der Boels Rental Ladies Tour.

Während viele Brennauer zu Saisonbeginn lediglich in Zeitfahren als Favoritin sahen, wird man 2015 auch bei Gruppenankünften mit ihr rechnen. Doch die 26-Jährige sieht sich trotzdem nicht als Sprint-Kapitänin ihres Teams, da mit Worrack und auch der Neuverpflichtung Barbara Guarischi zwei weitere sehr schnelle Frauen bei Velocio-Sram fahren werden. „Wir haben alle drei unterschiedliche Qualitäten, die man je nach Strecke und Rennverlauf ausspielen kann“, meint sie. „Das werden wir zu nutzen versuchen.“

Über konkrete Rollenverteilungen habe man noch nicht gesprochen, als sich das Team im Dezember auf Lanzarote zum ersten Trainingscamp fürs neue Jahr traf. Sicher sei nur, dass jede ihre Chance bekäme und auch sie sich unterordnen werde. Brennauer ist Teamplayerin, was man auch daran erkennt, dass sie selbst drei Monate nach Ponferrada noch großen Wert darauf legt zu betonen, dass ihre Silber-Medaille ein Teamerfolg gewesen sei und sie nur vollendet habe, „wofür wir alle den ganzen Tag gearbeitet haben“.

Trotzdem liegt ihr Fokus weiter auf der einsamsten Disziplin des Straßenradsports: dem Zeitfahren. Und auch wenn sie an Schwächen wie ihrer Bergfestigkeit arbeiten will, ist Brennauers Hauptziel für die kommende Saison die WM-Titelverteidigung in Richmond.

„Ich werde die Saison genießen! Jedes einzelne Zeitfahren im Regenbogentrikot wird mich wieder an diesen besonderen Moment erinnern“, erklärt sie – und was könnte es für eine bessere Motivation geben, als die Sekunden auf dem Hot Seat in Ponferrada?

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

05.01.2015Schwarzer Schleier über einem sportlich erfolgreichen Jahr

(rsn) – Als Claudia Lichtenberg von der Dopingkontrolle zum Parkplatz im Zielbereich der Deutschen Zeitfahrmeisterschaften in Baunatal zurücklief, war sie ruhig und gefasst, beantwortete geduldig a

03.01.2015Ohne Sieg und trotz 17-Tage-Marathon zum dritten WM-Titel

(rsn) – Seit mehr als einem Jahrzehnt gehört Trixi Worrack zur Weltspitze, und seit mehr als einem Jahrzehnt gab es in jeder Saison mindestens einen Einzelsieg für die 33-Jährige. Doch in den ver

01.01.2015Ein schwieriges letztes Jahr in Italien mit tollem Schlusspunkt

(rsn) – Drei Jahre ist Doris Schweizer nun bei italienischen Teams gefahren. Sie machte dort viele gute Erfahrungen und lernte einiges – vor allem von Noemi Cantele, wie sie selbst betont. Doch na

30.12.2014Stück für Stück den Spaß am Radfahren wiedergefunden

(rsn) - So ganz die Alte ist Charlotte Becker noch nicht, doch die inzwischen 31-jährige Wahl-Berlinerin wähnt sich auf einem guten Weg und scheint damit auch gar nicht so falsch zu liegen. Nach ein

29.12.2014Dem verkorksten Frühjahr folgte ein toller Sommer

(rsn) – Im Winter ist Cross-Zeit, das gilt auch für Christine Majerus. Die Luxemburgerin beginnt dieser Tage mit ihrer Vorbereitung für die Weltmeisterschaften Ende Januar, hat aber auch schon vie

28.12.2014Trotz 30-Stunden-Woche zum ersten UCI-Sieg

(rsn) – Echte Vollprofis findet man im Frauen-Peloton wenige. Fast alle Fahrerinnen müssen zusätzlich zum Sport Geld verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Mit ihrer 30-Stunden-Woche b

27.12.2014Zeitfahr-Ass schafft den internationalen Durchbruch

(rsn) – Damit hätte sie in ihren kühnsten Träumen nicht gerechnet: Als Mieke Kröger am Stadtrand von Ponferrada über den Zielstrich fuhr und anhand der Länge der Speichelfäden, die aus ihrem

26.12.2014Für das Arbeitstier geht auch ein persönlicher Traum in Erfüllung

(rsn) - Keinen Namen hörte man über die Lautsprecher im Zielbereich bei den Deutschen Meisterschaften in Baunatal häufiger als den von Romy Kasper. Auch wenn die 26-Jährige am Ende mit leeren Hän

25.12.2014Mit klaren Zielen zum Brunnenbad in Schmölln

(rsn) – Es war brütend heiß an diesem 19. Juli in Schmölln, und da kam der Brunnen nahe der Ziellinie gerade recht: Beate Zanner sprang bei 35 Grad in voller Montur ins kalte Nass, um sich nach e

24.12.2014Krankheitspech und ein unglücklicher Rennkalender

(rsn) – Eigentlich hätte der Wechsel zum Team Bigla der Karriere von Elke Gebhardt noch einmal einen richtigen Schub verleihen sollen. Bei der Schweizer Mannschaft durfte sich die Freiburgerin zu S

23.12.2014Der letzte Sprint führt in Richtung Referendariat

(rsn) – Als sie auf der Pressekonferenz nach den Deutschen Meisterschaften in Baunatal neben Lisa Brennauer und Trixi Worrack Platz nahm, strahlte Martina Zwick. „Mega zufrieden“, sei sie mit de

22.12.2014Nach Neustart im Meistertrikot auf die Champs-Élysées

(rsn) – Am 28. Juni durfte Jacqueline Hahn in Grafenbach jubeln: Die damals noch 22-jährige Innsbruckerin wurde im Sprint einer achtköpfigen Gruppe Österreichische Meisterin. „Das bedeutet mir

Weitere Radsportnachrichten

04.11.2024Krankheiten und Reisestress raubten die Freude am Radsport

(rsn) – Erst zur Saison 2023 wechselte Mountainbiker Pirmin Eisenbarth auf die Straße und sorgte in Diensten des deutschen Kontinental-Teams Bike Aid mit zahlreichen Spitzenplatzierungen für Furor

04.11.2024dsm-Profi Bevin stellt sein Rad in die Ecke

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

04.11.2024Van Anrooij an verengter Beckenarterie operiert

(rsn) - Shirin van Anrooij wird auf Einsätze in dieser Cross-Saison verzichten müssen. Wie die 22-jährige Niederländerin auf Instagram mitteilte, sei sie an einer verengten Beckenarterie ihres lin

04.11.2024Gemischte Gefühle nach größtem Karriereerfolg

(rsn ) – Nach zwei Jahren bei Lotto – Kern Haus wechselte Ole Theiler im vergangenen Winter zu Storck – Metropol, um sich in seinem letzten U23-Jahr als Kapitän für ein Profiteam zu empfehlen.

04.11.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

04.11.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Transfers offiziell bekanntgeben. Radsport-news.c

03.11.2024Ein Lernjahr mit einem großen Rückschlag

(rsn) – 2024 war ein Jahr mit Licht und Schatten für Fabian Steininger (Maloja Pushbikers). Der 24-jährige Österreicher ging in seine zweite Saison beim deutschen Kontinental-Team und fühlte si

03.11.2024Nys fliegt in Pontevedra zu seinem ersten großen Titel

(rsn) – Nach seinem schwarzen Tag in Pontchateau im letzten Jahr hat der Belgier Thibau Nys im spanischen Pontevedra zum Abschluss der Cross-Europameisterschaften seinen ersten großen Titel in der

03.11.2024Van Empel zum dritten Mal in Folge Europameisterin vor Alvarado

(rsn) – Fem van Empel heißt die alte und neue Cross-Europameisterin. Im spanischen Pontevedra schlug die Niederländerin bei sommerlichen Temperaturen im Sprintduell ihre Landsfrau Ceylin del Carme

03.11.2024Nach Haverdings Pech macht Michels die Titelverteidigung klar

(rsn) – Jente Michels ist bei der Cross-EM im spanischen Ponteverda die Titelverteidigung im U23-Rennen der Männer gelungen. Der 21-jährige Belgier setzte sich auf dem technisch anspruchsvollen un

03.11.2024Gery sprintet aus Schreibers Windschatten zur Goldmedaille

(rsn) – Mit einem cleveren Auftritt hat sich Célia Gery bei der Cross-EM im spanischen Ponteverda den Titel im Rennen der U23 Frauen gesichert. Die 18-jährige Französin verwies im Sprintduell die

03.11.2024Cross-EM: Agostinacchio bejubelt zweites Gold, Hofer Zweiter

(rsn) – Mit einem souveränen Auftritt hat sich der Italiener Mattia Agostinacchio bei der Cross-EM im spanischen Ponteverda den Titel im Rennen der Junioren gesichert. Der 17-Jährige, der bereits

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine