Mein Radsport-Ereignis 2015

"Simonis" großer Auftritt in Pra-Loup

Von Lorenz Rombach

Foto zu dem Text "
Simon Geschke (Giant-Alpecin) feierte auf der 17. Etappe der Tour de France seinen bisher größten Triumph als Profi. | Foto: Cor Vos

03.12.2015  |  (rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Für Lorenz Rombach steht ohne Zweifel fest: Simon Geschkes couragierter Soloritt zum Sieg auf der 17. Tour-Etappe war der größte Moment seines Radsportjahres 2015. 

Wie immer während der Tour de France 2015 schaltete ich am frühen Nachmittag des 22. Juli den Fernseher ein, um mir einen Überblick über die aktuelle Rennsituation zu verschaffen. Wie erwartet hatte sich auf dieser 17. Etappe eine größere Gruppe vom Feld gelöst und bereits 80 Kilometer vor dem Ziel war klar, dass sie den Sieg unter sich ausmachen würde. Unter den Ausreißern befanden sich einige große Namen: starke Kletterer wie Thibaut Pinot, Andrew Talansky oder Matthias Frank; mit John Degenkolb und Peter Sagan zwei der stärksten Sprinter – und auch Simon Geschke.

Entgegen der alltäglichen Routine schaltete ich den Fernseher nicht aus, was sich als richtig erwies, denn es sollte ein denkwürdiger Radsport-Tag werden. Ich ließ also die Kiste laufen, erst nebenher, doch als Simon Geschke knapp 50 Kilometer vor dem Ziel attackierte, war keine Zeit mehr für Nebentätigkeiten, meine volle Konzentration galt nun der ersten großen Alpenetappe der Tour 2015. Ich fragte mich lange, ob die Attacke nicht zu früh erfolgt war, wann die starken Kletterer kontern würden, zitterte mit, als Geschke die gefährliche Abfahrt in Angriff nahm, und beäugte ständig seinen Vorsprung.

Als Thibaut Pinot im Aufstieg zum Col d’Allos attackierte und schnell näher kam, war ich der Verzweiflung nahe, doch Geschke fuhr gleichmäßig, kraftvoll und kontrolliert. Und während Pinot auf der Abfahrt stürzte, baute der Deutsche seinen Vorsprung aus. Auch am Schlussanstieg hinauf nach Pra-Loup hielt Geschke sich alle Verfolger vom Leib und gewann mit rund 32 Sekunden Vorsprung auf den Amerikaner Andrew Talansky – der größte Sieg seiner Karriere.

Für die Öffentlichkeit kam dieser Coup überraschend. Viel eher hatte man Etappenerfolge von Geschkes Teamkollegen John Degenkolb erwartet, nachdem Marcel Kittel nicht nominiert worden war. In den Interviews zeigte sich aber vor allem einer überrascht: Simon Geschke selbst. Sowohl im Siegerinterview mit der internationalen Presse als auch im Gespräch mit ARD-Moderator Michael Antwerpes war der gebürtige Berliner sichtlich gerührt.

"Auf einmal war niemand vor mir auf dem Zielstrich" sagte Geschke mit feuchten Augen und hatte seine Emotionen immer noch nicht so ganz im Griff, nachdem er bereits im offiziellen Interview von seinen Gefühlen übermannt worden war: "It was not the plan to cry live on TV but I can't help it", sagte der 29-Jährige und brach in Tränen aus. Später gab Geschke zu Protokoll, dass er seit 15 Jahren auf diesen einen Moment gewartet und noch nicht viel gewonnen habe in seiner Karriere - verständlich, dass in einer solchen Situation die oder andere Träne fließt. Doch kam sein Sieg wirklich so überraschend?

Es ist richtig, dass Geschke vor dieser Tour nur zweimal ganz oben auf dem Treppchen stand: nach der 2. Etappe des Critérium International 2011 und dem GP Kanton Aargau 2014. Doch man wird dem Allrounder nicht gerecht, wenn man nur diese beiden Siege als Maßstab nimmt für seine Fähigkeiten. 2013 etwa war Geschke auf Rang 14 der beste Deutsche im WM-Straßenrennen von Florenz - mit nur 34 Sekunden Rückstand kam er in einer Gruppe an, die auf einer der schwersten WM-Strecken der vergangenen Jahre um Platz sechs sprintete.

Im vergangenen Jahr wurde er Sechster beim Amstel Gold Race und Etappenzweiter beim Giro d’Italia. Bei der diesjährigen Italien-Rundfahrt belegte der in Freiburg lebende Geschke auf einer schweren Bergetappe Rang drei und trug danach für einen Tag das Bergtrikot. Auch bei der Tour 2015 hatte er sich bereits vor seinem Triumph in einigen Fluchtgruppen sehr aktiv gezeigt, was unter anderem zu einem vierten Platz auf der 16. Etappe führte. Der große Sieg auf der tags darauf folgenden Etappe hatte sich also durchaus angedeutet.

So war es die Kombination aus souveräner Leistung, Courage und dem authentischen und sympathischen Eindruck, den Geschke nach der Etappe hinterließ, der diesen Moment zum wichtigsten meines Radsport-Jahres machte. Hoffentlich wird man „Simoni“ nächstes Jahr bei einem ähnlichen Interview sehen, vielleicht sogar in Ans oder in Valkenburg.

 
Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

24.12.2015Der Schock von Aldeburgh und das Happy End in Richmond

(rsn) - John Degenkolbs Sanremo-Roubaix-Double, Tony Martins lange ersehntes Gelbes Trikot, Emanuel Buchmanns überraschender DM-Sieg, Simon Geschkes Triumph in Pra Loup, André Greipels vier Etappens

23.12.2015Münsterland Giro - mein erstes deutsches Rennen

(rsn) - Es mag komisch klingen, ist aber tatsächlich wahr: Der deutsche Radsport war einst der Auslöser meines Interesses an Deutschland. Während der Tour de France 2001 hatte ich in meiner Heimats

22.12.2015John Degenkolb holt Paris-Roubaix - und das Team aufs Podium

(rsn) - Endlich. Seit der Premiere 1896 gewann kein Deutscher mehr Paris-Roubaix: Bis zum 12. April 2015. Doch was mich an diesem Tag am meisten begeisterte, war nicht die eindrucksvolle Fahrt von Joh

21.12.2015Bayern Rundfahrt: Familienbetrieb mit Herz und Verstand

(rsn) – Die Bayern-Rundfahrt 2015 war die beste aller bisherigen 36 Austragungen, wie Ewald Strohmeier nicht ohne Grund sagte. Wer den Chef des einzigen deutschen Mehretappenrennens kennt, der weiß

20.12.2015"Big mistake" im Interview mit Boonen

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Christoph Adamietz hatte in diesem Jahr bei "Rund um Köln" einen Eins

10.12.2015Ein Schutzengel namens Rudi

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Wolfgang Brylla hat ganz besonders Katusha-Sprinter Rüdiger Selig imp

06.12.2015Monumentaler Lombardei-Triumph wie aus dem Bilderbuch

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Für Guido Scholl war es der Triumph von Vincenzo Nibali (Astana) bei

05.12.2015"Spartakus" zeigte Größe durch Menschlichkeit

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Thomas Goldmann erklärt in seinem Beitrag, weshalb für ihn Fabian Ca

02.12.2015Hart wie Hansen

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Daniel Brickwedde bewundert einen Marathon-Man von Down Under, dessen

01.12.2015Der "Gorilla" spielte endlich die erste Geige

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Den Anfang macht Sebastian Lindner, den die Auftritte von André Greip

Weitere Radsportnachrichten

25.12.2024Kräftezehrendes Jahr mit zwei Grand Tours

(rsn) – Die Ambitionen von Felix Gall (Decathlon – AG2R La Mondiale) waren vor dem Jahr 2024 berechtigter Weise groß. Denn der Österreicher konnte auf eine erfolgreichste Saison zurückblicken,

25.12.2024Alles offen nach einer erfolgreichen Saison

(rsn) - Das Resümee ihrer ersten vollständigen Profi-Saison dürfte durchweg positiv für die Schweizerin Elena Hartmann vom Team Roland ausgefallen sein. Erst vor zwei Jahren gelang der inzwischen

25.12.2024Traum erfüllt und doch unzufrieden

(rsn) – Es gibt durchaus einfachere Aufgaben als die Saison 2024 von Pascal Ackermann zu bewerten. Auch er selbst ist da ein wenig zwiegespalten. Schließlich hat er es mit dreißigeinhalb Jahren en

25.12.2024Meistertitel das Highlight im insgesamt bislang besten Jahr

(rsn) - Die abgelaufene Saison wird Franziska Koch vom Team dsm-firmenich - PostNL wohl noch länger in Erinnerung bleiben - war es doch mit Abstand ihre erfolgreichste, seit sie im Jahr 2019 beim Tea

25.12.2024Auch Colombo und vier Kollegen verlassen Q36.5

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

25.12.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport

25.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste der Frauen 2024

(rsn) - Wie bei den Männern so blicken wir traditionell am Jahresende auch auf die Saison der Frauen zurück und stellen die besten 15 Fahrerinnen unserer Jahresrangliste vor. Wir haben alle UCI-Ren

25.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste der Männer 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

24.12.2024Der größte Sieg war jener über Long-Covid

(rsn) – Es war eine Saison voller Höhen und Tiefen für Marlen Reusser (SD Worx – Protime), wobei vor allem in der zweiten Saisonhälfte die Tiefe übernahm – und zwar komplett. Denn die Schwe

24.12.2024Top-Sprinter mit starkem Sinn für Realismus

(rsn) - Mit zwei Siegen und insgesamt 21 Top-Ten-Resultaten bei UCI-Rennen zeigte Phil Bauhaus (Bahrain Victorious) auch 2024, dass er zu den schnellsten Männern im Feld zählt. Mit seiner Saison w

24.12.2024Mit 36 Jahren noch immer einer der Besten

(rsn) – Seit vielen Jahren gehört Riccardo Zoidl (Felt – Felbermayr) zu den absolut besten Fahrern Österreichs. 2013 erlebte er seinen absoluten Durchbruch, wo er sich mit zahlreichen Rundfahrts

24.12.2024Hamilton bricht sich das Schlüsselbein bei Trainings-Crash

(rsn) – Chris Hamilton, Tim Naberman und Oscar Onley sind am letzten Tag des Dezember-Trainingslagers des Teams dsm-firmenich – PostNL, das ab Januar Picnic – PostNL heißen wird, gestürzt. Wä

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine