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16.07.2016 | (rsn) - Normalerweise sitze ich zum Schreiben meines täglichen Blogs immer vor dem Laptop und fange einfach so an, drauf los zu schreiben. Meistens hatte ich für den Start schon im Laufe des Tages einen kurzen Geistesblitz und so nimmt dann die Story oftmals ganz von selbst ihren eigenen Lauf. Ich frage mich am Ende zwar manchmal selbst wie das jedes Mal wieder klappt, habe aber inzwischen gelernt, es nicht zu hinterfragen.
Heute jedoch ist es anders. Drei Mal schon habe ich heute neu angefangen mit dem Schreiben und den ganzen Tag habe ich überlegt, was ich machen soll…wie ich mich heute äußere…ob ich so weitermache wie bisher…oder ob ich vielleicht die Perspektive wechseln soll. Es ist keine einfache Situation, der wir uns hier ausgesetzt sehen und ich habe daher beschlossen, meine persönlichen Gedanken nicht zu verbergen, sondern sie (heute erst recht) zu äußern. Normalerweise ist es nicht meine Art, Geschehnisse wie diese zu kommentieren, schon gar nicht, wenn ich weit weg bin und tatsächlich weder direkt noch indirekt betroffen. Nach dem heutigen Tage muss ich das jedoch einfach trotzdem loswerden.
Mit dem Aufstehen, habe ich relativ schnell von dem unglaublichen Idiotismus in Nizza erfahren und hatte umgehend einen dicken Kloß in meinem Hals. Von unserem Hotel in Arles sind es nur rund 250 Km bis an den Ort des Grauens und ich war in der Vergangenheit sehr oft auch selbst schon dort unterwegs. Ich war von einem Moment auf den anderen tief betrübt und hatte all die schönen Bilder und Erinnerungen vor Augen, die ich mit der Côte d`Azur verbinde. Gleichzeitig erschienen vor mir aber auch die vielen Menschen, die hier bei der Tour jeden Tag am Straßenrand stehen und die zum großen Finale in Paris sicherlich noch mal einen neuen und finalen Höhepunkt setzen werden, was die Begeisterung angeht. Oder werden sie das nun vielleicht doch nicht?
Fragen über Fragen erschienen in meinem Kopf und in gewisser Weise brach eine kleine Welt in mir zusammen. Es war diese Welt, von der ich euch nun schon seit mehr als 2 Wochen jeden Tag etwas erzähle und die Ihr inzwischen vielleicht genauso wie ich ins Herz geschlossen habt.
Am Start des heutigen Einzelzeitfahrens angekommen, merkte ich, dass es alles etwas anders war, konnte aber zunächst nicht genau sagen, woran das lag. Aufgrund des Zeitfahrens und des Ortes war die Szenerie natürlich eine andere als die übliche, aber dennoch war irgendetwas seltsam. Nach einer knappen halben Stunde fiel es mir dann auf: heute war es verhältnismäßig still und es wurde keine Musik oder sonstiger Lärm abgespielt. Aus Respekt vor den Ereignissen hatten die Veranstalter dies für heute aus dem Programm nehmen lassen und selbst die Werbekarawane zog stumm ihre Runde über den Kurs. Im Startbereich sah ich heute sehr viel mehr Polizisten als sonst und alle trugen sie schusssichere Westen unter ihren Shirts. Zusätzlich zeigten heute auch alle Offiziellen und Ordner eine schwarze Armbinde als Zeichen der Trauer.
Um es kurz zusammenzufassen: die Stimmung war spürbar gedämpft und ich erkannte die Tour tatsächlich nicht wieder. Im Laufe des Vormittages erfuhr ich auch, dass die ASO (der Veranstalter) aktuell in Gesprächen sei, die sich mit der Fortführung der diesjährigen Tour befassen. Nicht auszudenken… Absage… Ende… das wäre der Worst Case. Inzwischen hat sich dies wohl aber wieder erledigt.
Auf der anderen Seite muss man sich aber wohl auch einmal in die Situation der Veranstalter hineinversetzen. Speziell nächsten Sonntag in Paris werden wieder tausende von Menschen erwartet und es möchte sich wohl niemand vorstellen, was dort passieren könnte. Wo beginnt Verantwortung auf diesem Level und wo hört Verstand auf? Wo sind Grenzen und kann man das alles überhaupt rational betrachten? Soll man einfach so weiter machen und zur Tagesordnung übergehen? Soll man diese Arschlöcher ignorieren oder soll man Ihnen Aufmerksamkeit schenken? Kann man überhaupt irgendetwas tun? Ich weiß es tatsächlich nicht - und das bereitet mir schlechte Laune!
Ich weiß nur, dass grade die Tour de France doch eigentlich das Paradebeispiel dafür ist, dass all diese schrecklichen Dinge niemandem etwas nützen. Bei der Tour de France zelebrieren Menschen aus allen Ecken der Welt ihre gemeinsame Leidenschaft und es geht hier um etwas, das man mit Worten eigentlich nie wiedergeben kann. Es geht um Feeling. „Wenn du am Abend in den Alpen, bevor die Tour vorbeikommt in der Dämmerung die Strecke, den Berg hochfährst und es in allen Ecken knistert…Gleichgesinnte egal welcher Nation sitzen zusammen, alle haben sie ein Ziel: Die Tour. Spaß, Toleranz, Einigkeit… Wer es einmal erlebt hat, wird es nie vergessen“ (Jens W.)
Ich würde mir wünschen, dass ich den heutigen Tag so nicht hätte erleben müssen und hoffe, dass meine kommenden Tagesberichte sich wieder mit dem Wesentlichen befassen können. Zum heutigen Zeitfahren kann ich nur so viel sagen: Der Wind war wirklich unfassbar krass und Wagi (Robert Wagner) brachte es wohl auf den Punkt: „Das hatte heute schon fast mit Radrennen nichts mehr zu tun!“
Euer Paddi-avec-i
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