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18.10.2020 | (rsn) – Verkehrte Welt beim Giro. Während das zumeist auf Etappensiege ausgerichtete Team Sunweb das komplette Feld bei der Bergankunft vor dem zweiten Ruhetag auseinander fuhr und für Kapitän Wilco Kelderman die Weichen auf Gesamtsieg stellte, sicherte sich die über Jahre hinweg als stärkste Rundfahrermannschaft geltende Equipe Ineos Grenadiers ihren bereits fünften Etappensieg.
Am Ende der 15. Etappe von der Luftwaffenbasis in Rivolto hinauf nach Piancavallo (185,0 km) zeigte Ineos-Profi Tao Geoghegan Hart nach seinem ersten Saisonsieg triumphierend mit einem Finger in den Himmel. Der Brite hatte sich rund zweihundert Meter vor dem Ziel von seinen beiden Sunweb-Begleitern Kelderman und Jay Hindley gelöst, die zuvor in beeindruckender Manier die Konkurrenz abgeschüttelt hatten und abgekämpft hinter ihm die Plätze zwei und drei belegten.
"Gestern hat mir Filippo Ganna im Scherz gesagt: Tao, du bist jetzt dran mit dem Etappensieg. Natürlich freue ich mich darüber. Wir müssen den Giro seit dem Sturz von Geraint (Thomas, der in der 4. Etappe aussteigen musste, d. Red.) anders fahren als gewohnt. Aber wir kämpfen jeden Tag, und ich denke, die Ergebnisse können sich sehen lassen. Wir sind einfach eine gute Truppe", sagte Geoghegan Hart strahlend nach seinem bisher größten Sieg.
Geoghegan Hart wartete auf seine Chance
"Heute hat mir Tossato mit seiner Erfahrung aus dem Begleitwagen ungeheuer geholfen. Er hat mir gesagt, dass ich ruhig bleiben und auf meine Chance warten soll. Sunweb hat am Berg ein hohes Tempo vorgelegt, Chapeau dafür. Sie mussten ja auch etwas tun, um Rosa zu kriegen. Ich habe die Abstände zwar gekannt, aber sie waren für mich nicht so wichtig. Ich habe mich voll auf den Etappensieg konzentriert", erklärte Geoghegan Hart in der Siegerpressekonferenz.
Während sich der Brite durch seinen Etappensieg vom 11. auf den 4. Rang ((+2:57) der Gesamtwertung verbesserte, rückte Kelderman nach der überragenden Leistung seines Teams als Gesamtzweiter bis auf 15 Sekunden an Spitzenreiter Joao Almeida (Deceuninck - Quick-Step) heran, der mit 37 Sekunden Rückstand tagesvierter wurde. Auf den Plätzen fünf und sechs folgten in Piancavallo die Bora-hansgrohe-Profis Rafal Majka (+1:22) und Patrick Konrad (+1:29).
Die Entscheidung führte Sunweb, das den Großteil der Etappedas Hauptfeld angeführt hatte, im 14 Kilometer langen und im Schnitt acht Prozent steilen Schlussanstieg herbei. Dem Tempodiktat fielen zunächst nacheinander die restlichen Mitglieder einer einstmals zwölfköpfigen Spitzengruppe zum Opfer. Als Letzter wurde der zweimalige Zeitfahrweltmeister Rohan Dennis (Ineos) 9,5 Kilometer vor Schluss gestellt.
Almeida leidet, verteidigt aber das Rosa Trikot
Sieben Kilometer vor dem Ziel konnte auch der Mann in Rosa nicht mehr dem von Hindley angeführten Trio mit Geoghegan Hart und Kelderman folgen. "Ich bin glücklich, dass ich das Trikot verteidigen konnte, insofern war es ein guter Tag", sagte der Portugiese, der zugab: "Ja, ich habe gelitten. Das hat man mir im Gesicht angesehen. Das stört mich nicht, es macht mich eher stolz, denn ich habe alles gegeben."
Auch wenn sein Vorsprung zusammengeschnurrt ist, will Almeida den Kampf um Rosa nicht aufgeben. "Wie gut ich in Mailand ankommen kann, weiß ich noch immer nicht. So ein dreiwöchiges Rennen ist ja für mich auch etwas Neues. Ich nehme es Tag für Tag. Auf jeden Fall bin ich sehr glücklich. Ich muss dem Team für die ganze Arbeit sehr dankbar sein. Ich habe mich heute gut gefühlt, aber es gab stärkere Fahrer da draußen. Herzlichen Glückwunsch an sie", meinte er sportlich. Die ersten zwei Kilometer, nachdem er abgehängt worden war, hatte Almeida noch die Hoffnung, wieder aufschließen zu können. Danach gab er zu: "Dann hatte ich meine Grenzen überschritten und es war ein Leidensfest bis zum Ziel.“
Obwohl Sunweb durch Kelderman und Hindley mit zwei Fahrern in der Spitzengruppe fuhr, war der Etappensieg nicht das Ziel der niederländischen Equipe. "Unser Plan ging sogar besser auf als erwartet. Der Etappensieg war nicht eingeplant. Wir wollte Wilco im Klassement näher an Almeida ran bringen und das ist uns gelungen. Zudem hat er auf alle anderen Fahrer Zeit gut gemacht. Nun zahlt sich aus, dass wir in der ersten Woche konservativer gefahren sind. In der dritten Woche werden wir auf Sieg fahren, auch wenn Almeida eine harte Nuss ist. Aber unser Ziel lautet jetzt Giro-Sieg."
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So lief das Rennen:
Für den Start auf der Luftwaffenbasis in Rivolto hatten sich die Organisatoren ein patriotisches Begleitprogramm mit viel Pomp ausgedacht. Die italienische Nationalhymne erklang und kurz bevor die noch 141 Giro-Teilnehmer ins Rennen geschickt wurden, jagten die berühmten Frecce Tricoliri, die Show-Flugstaffel der italienischen Luftwaffe, donnernd über das Feld hinweg, die italienischen Nationalfarben in den strahlend blauen Himmel ziehend.
Bei besten äußeren Bedingungen bildete sich schnell die zunächst zwölf Fahrer umfassende Gruppe des Tages, die sich nach kurzem, aber heftigem Kampf absetzen konnte. Mit dabei waren zunächst Andrea Vendrame (AG2R La Mondiale), Luca Chirico (Androni Giocattoli), Manuele Boaro (Astana), Mark Padun (Bahrain - McLaren), Nathan Haas (Cofidis), Daniel Navarro (Israel Start-Up Nation), Giovanni Carboni (Bardiani-CSF), Thomas De Gendt und Matthew Holmes (beide Lotto Soudal), Sergio Samitier und Davide Villella (beide Movistar) sowie Rohan Dennis (Ineos Grenadiers), Giovanni Visconti und dessen Teamkollege Edoardo Zardini (Vini Zabu - KTM). Im Gegensatz zu Visconti, dem Zweiten der Bergwertung, hatte Ruben Guerreiro (EF), Träger des Blauen Trikots, den Sprung zu den Ausreißern verpasst.
Schon bevor es in den ersten der vier kategorisierten Berge des Tages hinein ging, mussten die Fahrer rund 50 ansteigende Kilometer bewältigen, auf denen vor allem De Gendt für Tempo in der Spitzengruppe sorgte, die so auf elf Profis schrumpfte und sich am Sella-Chianzutan-Anstieg einen Vorsprung von rund sieben Minuten erarbeitet hatte. Den Bergpreis der 2. Kategorie sicherte sich Visconti, der dank der dafür erhaltenen 18 Punkte Guerreiro von der Spitze der Bergwertung verdrängte.
Denz imponiert als Sunweb-Lokomotive
Almeidas Teamkollegen kontrollierten das Tempo im Feld, das den Rückstand in der Abfahrt um fast zwei Minuten reduzierte. Im darauf folgenden Anstieg Forcella di Monte Rest (2. Kat.) entlastete zunächst NTT und dann Sunweb in Gestalt des starken Nico Denz das Team des Gesamtführenden in der Verfolgungsarbeit, während das Feld unter dem Tempodiktat zerbröckelte.
Am zweiten Bergpreis 80 Kilometer vor dem Ziel holte sich Visconti diesmal kampflos die Maximalpunktzahl und baute damit seine Führung gegenüber dem im Feld fahrenden Guerreiro aus. Knapp fünf Minuten später führte Denz die Verfolger über den Gipfel in die rund 25 Kilometer lange Abfahrt und sorgte mit seiner Tempoarbeit dafür, dass der Abstand bis zum Beginn des vorletzten Berges auf rund drei Minuten zurückging. Zu diesem Zeitpunkt hatte der durch einen Defekt zurückgeworfene Villella nach kilometerlanger Verfolgungsjagd den Anschluss wiederherstellen können.
Dagegen war nach Stürzen in der Abfahrt der Giro für Nicolas Edet (Cofidis) und Etappensieger Jhonatan Narvaez (Ineos Grenadiers) beendet. Der in derselben Kurve ebenfalls zu Boden gegangene Jefferson Cepeda (Androni Giocattoli) konnte wieder aufs Rad steigen.
Im 13,3 Kilometer langen Anstieg nach Forcella di Pala Barzana fiel die Spitzengruppe auseinander, nachdem Dennis gut 45 Kilometer vor dem Ziel eine Attacke von De Gendt konterte und sich die dritte Bergwertung des Tages holte, gefolgt von De Gendt, der am Gipfel 35 Sekunden Rückstand aufwies, und einer Gruppe um Visconti, der sich als Dritter noch acht Zähler sicherte.
Sunweb zerlegt das Feld
Im Feld sorgte weiterhin Sunweb für Tempo, wobei nunmehr Chad Haga seinen Teamkollegen Denz als Spitzenmann abgelöst hatte. In der letzten, 27 Kilometer langen Abfahrt des Tages konnte Dennis, seinen Vorsprung auf die aus De Gendt, Samitier, Visconti, Villella und Vendrame bestehende Verfolgergruppe auf rund eine Minute ausbauen. Er büßte gegenüber dem weiter von Sunweb angeführten Feld bis zum letzten Berg zudem nur wenige Sekunden ein.
Im 14,4 Kilometer langen Anstieg der 1. Kategorie sammelte das Feld die letzten Fahrer der Spitzengruppe nach und nach ein. Dennis hielt dem Druck von Sunweb bis knapp zehn Kilometer vor dem Ziel stand. Dann verschwand er aber noch vor der mit 14 Prozent steilsten Stelle des Schlussanstiegs in der Verfolgergruppe, die nur noch aus rund zehn Fahrern bestand.
Kelderman hatte noch seine beiden Helfer Hindley und Sam Oomen vor sich, die mit beständig hohem Tempo bis auf Almeida, Majka, Masnada und Tao Geoghegan Hart alle Konkurrenten abschüttelten. Nach einer weiteren Beschleunigung durch Hindley blieben nur noch der Australier, Kelderman und Geoghegan Hart übrig, wogegen Almeida sieben Kilometer vor dem Ziel den Anschluss und seinen Helfer Masnada verlor. Gleiches galt für Majka, der aber ebenso wie der Träger des Rosa Trikots weiter kämpfte. Dennoch wuchs der Rückstand der Verfolger immer weiter an, da Hindley an der Spitze nicht nachließ und seinen Kapitän Kelderman bis zum Bergaufsprint aus dem Wind nahm.
Geoghegan Hart ließ sich davon aber nicht beeindrucken und schüttelte das Sunweb-Duo auf den letzten Metern mit einem starken Antritt mühelos ab, um seinen bisher dritten Sieg als Profi und den ersten in einem WorldTour-Rennen einzufahren. Hinter dem Spitzentrio verausgabte sich Almeida im Kampf um das Rosa Trikot restlos und konnte seine Gesamtführung als Vierter tatsächlich um 15 Sekunden behaupten.
Mit 1:22 Minuten Rückstand kam Majka, der zuvor Masnada abgeschüttelt hatte, wenige Sekunden vor seinem Teamkollegen Konrad als Fünfter ins Ziel. Der Niederösterreicher hatte sich auf den letzten Metern noch aus der Gruppe um Nibali und Bilbao lösen können, die 1:36 Sekunden hinter dem Etappensieger ankam.
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