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15.03.2021 | (rsn) - Bis rund 25 Kilometer vor dem Ziel der Schlussetappe von Paris-Nizza verlief der Saisoneinstieg für Primoz Roglic (Jumbo – Visma) perfekt: Der Slowene stand nach drei Etappensiegen und überragenden Vorstellungen, bei denen er die Konkurrenz nach Belieben düpierte, vor einem weiteren Triumph bei einem Etappenrennen.
Dann aber zerstörte sein zweiter Sturz an diesem Tag alle Träume. Statt das Gelbe Trikot mit nach Hause zu nehmen, muss der zweimalige Vuelta-Sieger nun erstmal seine Wunden lecken. Roglic zog sich nicht nur massive Schürfwunden zu, sondern kugelte sich auch die Schulter aus und erlebte eine ähnliche Enttäuschung wie bei der letztjährigen Tour de France, als ihm sein Landsmann Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) noch das sicher geglaubte Gelbe Trikot abnahm.
“Das war ein schlechter Tag für uns“, sagte Jumbo-Visma-Sportdirektor Grischa Niermann nach der Etappe, betonte aber auch positive Aspekte. “Natürlich ist das sehr schade, aber wir haben auch drei Etappen und das Grüne Trikot gewonnen. Primoz ist mental sehr stark und wird aus dieser Situation noch stärker herauskommen. Das hat er in der Vergangenheit schon bewiesen“, spielte Niermann auf den vergangenen Herbst an, als sein Kapitän nach der Tour-Pleite Lüttich-Bastogne-Lüttich gewann und schließlich bei der Vuelta seinen Titel verteidigte.
Auch Roglic selber blickte nach dem schwarzen Tag schon wieder voraus. “Ich nehme auch positive Dinge von meinem Saisonstart mit. Wir werden uns sicher an diese Momente erinnern. Wir müssen aus diesem Paris-Nizza lernen und Pläne für die nächsten Ziele machen“, sagte der 31-Jährige, der bis zu seinen beiden Stürzen der Konkurrenz haushoch überlegen war und teilweise mit seinen Gegnern zu spielen schien.
Schachmann nutzt mit individueller Klasse die sich ihm bietende Chance
So empfand es vielleicht auch Maximilian Schachmann (Bora - hansgrohe), dem erst Roglic‘ Sturz zur Titelverteidigung verhalf. Allerdings wäre der Berliner, der in Frankreich ebenfalls sein Saisondebüt gab, auch mit dem zweiten Gesamtrang zufrieden gewesen, zumal ihm diesmal im Gegensatz zum Vorjahr der Österreicher Felix Großschartner in den Bergen nicht wie gewünscht Unterstützung geben konnte.
So blieb Schachmann in den entscheidenden Phasen meist auf sich allein gestellt und bewies dabei aber seine individuelle Klasse. Im Finale der Königsetappe forderte er Roglic sogar heraus und konnte dann als einziger den Konter mitgehen - um 300 Meter vor dem Ziel dann doch passen zu müssen. Dafür zeigte sich der 27-Jährige auf der Schlussetappe hellwach und wusste - diesmal mit Hilfe seiner Mannschaft - die für ihn günstige Situation zu nutzen und auch alle Angriffe des Astana-Duos Aleksandr Vlasov und Ion Izagirre abzuwehren.
Mit der Titelverteidigung hatte Schachmann allerdings nicht mehr gerechnet, wie er nach der Etappe zugab. “Natürlich war es dieses Jahr unser Ziel, den Vorjahressieg zu wiederholen, und jetzt stehe ich hier am letzten Tag im Gelben Trikot. Das war doch etwas unerwartet und ich bin etwas sprachlos“, sagte der überraschte Gewinner des 79. Paris-Nizza.
“Unsere Strategie war heute, vorne zu fahren, um den zweiten Platz in der Gesamtwertung zu sichern, und das hat auch gut funktioniert“, ergänzte Sportdirektor Jens Zemke und bestätigte indirekt damit Schachmanns Worte. “Es ist nicht schön, eine Rundfahrt auf diese Weise zu gewinnen, aber an unserer Strategie hatte sich (durch Roglic‘ Sturz) nichts geändert. Wir wollten am letzten Anstieg heute nochmal auf (Etappen)-Sieg fahren und unsere Jungs haben das auch gut umgesetzt, so wie wir das vorher besprochen hatten.“
Astana biss sich an Schachmann die Zähne aus
Am letztlich souveränen Schachmann biss sich Astana - Premier Tech die Zähne aus. “Wir haben versucht, zu attackieren, ich denke, ich allein habe dreimal angegriffen, und auch Ion versuchte es mehrmals. Aber der letzte Anstieg war nicht steil genug“, sagte Vlasov, der seinen Rückstand von 19 Sekunden auf Schachmann nicht mehr verringern konnte, aber im Schlussklassement, in dem Roglic auf den 15. Platz zurückfiel, noch auf Rang zwei vorrückte und zudem die Nachwuchswertung für sich entschied.
“Ich bin über meinen zweiten Platz und das Weiße Trikot wirklich glücklich“, zog der Russe ein positives Fazit. Allerdings wartet sein Team nach wie vor auf den ersten Saisonsieg und bestätigte damit die Eindrücke aus den ersten Wochen: Auch Astana - Premier Tech hat noch keine Antwort auf die Überflieger von Deceuninck - Quick-Step und Jumbo - Visma gefunden.
Dagegen konnte sich DSM, das zweite deutsche World-Team, über den ersten Sieg im Jahr 2021 freuen. Den fuhr Sprinter Cees Bol auf der 2. Etappe ein. Dazu wusste der Gesamtzweite Tiesj Benoot zu gefallen. Angesichts der im Vergleich zum Vorjahr stärkeren Konkurrenz ist der fünfte Gesamtrang, nur eine Sekunden hinter dem starken Lucas Hamilton (BikeExchange), aller Ehren wert. Sein Plan, noch am Australier vorbeizuziehen, ließ sich aber nicht in die Tat umsetzen. “Ich war beim ersten Zwischensprint eingebaut und ich hatte heute auch Probleme mit den Atemwegen“, sagte der Belgier und fügte auf der DSM-Homepage an: “Rang fünf war das bestmögliche Ergebnis.“
Die Franzosen müssen weiter auf einen Gesamtsieg warten
Dagegen lief bei den Gastgebern in Sachen Gesamtwertung nur wenig zusammen. Dabei standen mit David Gaudu (Groupama – FDJ), Guillaume Martin (Cofidis) und Pierre Latour (Total Direct Energie) gleich drei Hoffnungsträger am Start, doch im Kampf um das Podium waren sie chancenlos. Gaudu musste nach einem Sturz das Rennen noch am letzten Tag aufgeben. Latour setzte als Dritter der Schlussetappe zumindest ein kleines Ausrufezeichen. Zumindest solide war Martins Vorstellung, der, auch dank der Unterstützung eines starken Simon Geschke, die Fernfahrt auf Rang sechs beendete und damit wie schon bei der Tour 2020 bester Franzose war.
Auch in den Sprints gingen die heimischen Profis leer aus, wobei besonders Arnaud Demare (Groupama - FDJ) enttäuschte, auch wenn ein zweiter Platz zum Auftakt noch hoffen ließ. Dagegen bestätigte Sam Bennett (Deceuninck – Quick-Step) seinen Status als aktuell schnellster Mann im Peloton. Bei zwei Massensprints war der Ire nicht zu schlagen und verbesserte seine Saisonbilanz damit bereits auf vier Siege.
Davon kann Pascal Ackermann (Bora – hansgrohe), der weiterhin ohne seine bewährten Anfahrer Andreas Schillinger und Rüdiger Selig auskommen muss, derzeit nur träumen. Immerhin: Mit einem dritten Rang auf der 5. Etappe deutete der Pfälzer an, dass demnächst wieder mit ihm zu rechnen sein wird. “Meine Form ist gut und wir können bei den nächsten Rennen darauf aufbauen“, meinte Ackermann nach seinem bisher besten Saisonergebnis optimistisch.
Bennett auch bei Paris-Nizza der beste Sprinter, Ackermann verbessert
Bei Paris-Nizza bewegten sich hinter Bennett gleich mehrere Sprinter auf Augenhöhe. Bol gewann eine Etappe, Mads Pedersen (Trek – Segafredo) fuhr einmal auf Rang zwei und einmal auf Platz drei, Demare (Groupama – FDJ) und seine Landsleute Nacer Bouhanni (Arkéa Samsic) und Christophe Laporte (Cofidis) wurden je einmal Zweiter. Michael Matthews (BikeExchange), der ein Tag das Gelbe Trikot trug, fuhr zwei Mal auf Platz drei, genauso wie eben auch Ackermann.
Mit großer Freude werden die Schweizer die Fernfahrt verfolgt haben. Stefan Bissegger (EF Education – Nippo) entschied das Einzelzeitfahren für sich und war danach einen Tag im Gelben Trikot unterwegs. Gino Mäder (Bahrain Victorious) fehlten auf der Königsetappe gegenüber Roglic nur wenige Meter zum ersten Profisieg.
Und auch am Sonntag ging der 24-jährige Kletterspezialist in die Offensive und verbesserte sich im Gesamtklassement noch auf den zehnten Platz. Ziemlich sicher dürfte sein, dass Mäder und der zwei Jahre jüngere Bissegger den Schweizern in den nächsten Jahren noch das eine oder andere Erfolgserlebnis bescheren werden.
Auch beim “Rennen zur Sonne“ imponieren die Jungen
An den acht Renntagen machten aber noch weitere junge Fahrer von sich reden. Bis zu seinem sturzbedingten Ausscheiden lag der 22-jährige US-Amerikaner Brandon McNulty (UAE Team Emirates) in der Gesamtwertung auf Podiumskurs. Sein noch um ein Jahr jüngerer Landsmann Matteo Jorgensen (Movistar) war bis zur 7. Etappe Gesamtfünfter, um auf der Königsetappe einige Plätze einzubüßen. Dennoch reichte es zum achten Platz, sein bisher bestes Ergebnis bei einem Mehretappenrennen.
Deutlich schlechter lief es dagegen bei seinem Teamkollegen Gregor Mühlberger (Movistar), der nicht in Erscheinung treten konnte und mit mehr als einer halben Stunde Rückstand in der Gesamtwertung abgeschlagen Rang 63 belegte. Der Österreicher scheint in seiner neuen Mannschaft noch nicht angekommen zu sein.
Aus deutscher Sicht hervorzuheben ist auch die Leistung von Jonas Rutsch. Der junge Hesse zeigte sich auf der 6. Etappe und auch am Schlusstag in der Offensive und erinnert mit seiner Fahrweise immer mehr an den Ausreißerkönig Jens Voigt. “Irgendwann wird es klappen“, zeigte sich Rutsch gegenüber radsport-news.com optimistisch, dass der erste Profisieg nur eine Frage der Zeit ist.
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