Niederländer belebte Sprintetappe und wurde Zweiter

“Kleinem Arschloch“ Eenkhoorn war Philipsens Schikane egal

Von Kevin Kempf

Foto zu dem Text "“Kleinem Arschloch“ Eenkhoorn war Philipsens Schikane egal"
Pascal Eenkhoorn (Lotto - Dstny) auf der 18. Etappe der Tour de France | Foto: Cor Vos

20.07.2023  |  (rsn) – Auf dem Papier war die 18. Etappe der 110. Tour de France ein Teilstück für die Sprinter. Die Konstellation im Rennen schien diese Annahme früh zu bestätigen, denn die drei Ausreißer wurden vom Feld auf ungefähr einer Minute gehalten. So hätte das Schicksal wohl seinen Lauf genommen, wenn nicht ein Mann 80 Kilometer vor dem Ziel das Geschehen auf den Kopf gestellt und für ein Finale gesorgt hätte, an das man sich noch lange erinnern wird: Pascal Eenkhoorn.

An der Côte de Boissieu (4.Kat.) wollten einige Fahrer aus dem Feld den Rückstand zur Spitzengruppe überbrücken. Einer von ihnen war Eenkhoorn. Der Lotto-Dstny-Fahrer schob sich an der Straßenblockade von Alpecin – Deceuninck vorbei und griff an. Sehr zum Missfallen des Mannes in Grün. Jasper Philipsen (Alpecin - Deceuninck) löste sich aus der der blauen Phalanx seiner Mannschaft, sprang zu Eenkhoorn und drängte ihn an den linken Straßenrand. Der wechselte hinter Philipsen an die rechte Seite dessen Rades und wollte ihn dort überholen, doch der viermalige Etappengewinner zwang ihn jetzt zur gegenüberliegenden Fahrbahnbegrenzung und tauschte einige Wörter mit ihm aus.

Die Szene sorgte für einen Sturm der Kritik. Nach dem Rennen wurde der Alpecin-Profi von mehreren belgischen und niederländischen Journalisten dazu befragt – und er zeigte sich sehr uneinsichtig. “Ich habe keinen Ellenbogen oder so benutzt. Ich bin einfach angetreten und kurz vor ihm gefahren. Ich denke nicht, dass ich irgendwas falsch gemacht habe. Ich habe ihm einfach deutlich gemacht, dass wir gern sprinten wollen und dass wir die drei Jungs vorn prima fanden“, lautete Philipsens Interpretation der Szene.

Taktische Fehler sorgten für Unruhe

Dieses “deutlich machen“ der Intentionen wurde ansonsten ausnahmslos als sehr unsportlich bewertet. Beim niederländischen Fernsehsender NOS kritisierte Tom Dumoulin die Taktik der Sprintermannschaften, die die Angriffe an der Boissieu überhaupt erst ermöglicht habee. “Sie haben den Rückstand selbst auf einer Minute gehalten. Dann kann man hinspringen“, analysierte der Ex-Profi, der auch wenig Verständnis für den Führenden in der Punktewertung hatte. “Philipsen hat das alles nur Energie gekostet, die er im Finale brauchte. Eenkhoorn ist ein kleines Arschloch“, meinte er scherzend. “Dem ist das komplett egal. Der greift einfach nochmal an. Und dann nochmal. Und zurecht! Wenn sie das nicht wollen, hätten die Mannschaften der Sprinter den Ausreißern einfach zwei Minuten geben sollen“, fügte Dumoulin an.

Damit sollte der Tourzweite von 2018 Recht behalten. Eenkhoorn trat kurz nach dem Vorfall mit Philipsen nochmal an und wurde dieses Mal nicht behindert. “Bei meinem ersten Angriff hat Philipsen mich noch ein bisschen schikaniert. Aber wenn wir Rennen fahren wollen, dürfen wir Rennen fahren. Dann werde ich der 'freche Niederländer'. Ich kenne Jasper gut, ich habe ihn mir danach zur Brust genommen und gesagt: ‘Das war total bescheuert. Das machst du nicht noch mal‘“, erklärte der 26-Jährige im Ziel-Interview mit NOS.

Mit Campenaerts Hilfe zur Spitze

Sein zunächst erfolgreicher Angriff drohte aber im Keim zu ersticken, denn die 40 Sekunden nach vorn zu seinem Teamkollegen Victor Campenaerts und dessen zwei Begleitern Jonas Abrahamsen (Uno-X) und dem späteren Tagessieger Kasper Asgreen (Soudal – Quick-Step) bekam er nicht allein zu. “Ich kam nicht ganz hin, dann hat Victor auf mich gewartet. Die anderen Beiden sind voll durchgefahren, da hätten sie lieber warten wollen. Danach war die Zusammenarbeit aber super“, blickte er zurück. Zu viert machten sie danach den Verfolgern das Leben schwer.

Rund 25 Kilometer vor dem Ziel bog die Gruppe mit 40 Sekunden Vorsprung auf eine lange Rückenwindpassage ein. Die Helfer von Alpecin - Deceuninck, DSM - firmenich, Jayco – AlUla, Bora – hansgrohe und Lidl – Trek im Hauptfeld fielen nun schneller weg als die Sekunden des Vorsprungs. “Das war eigentlich unmöglich, sie müssen wirklich enorm stark gewesen sein, denn wir haben mit sehr vielen Mannschaften gut zusammengearbeitet. Wir haben nicht gezweifelt. Das war wirklich überraschend“, erkannte Philipsen an. Zu diesem Zeitpunkt lag die Sensation bereits in der Luft.

Alles ist vergessen, weil jeder "im Arsch" war

In der "Avondetappe", der Tour-de-France-Talkshow der NOS, wurde Eenkhoorn zum Finale befragt. “Zehn Kilometer vor dem Ziel dachte ich, dass wir es schaffen“, erinnerte sich der ehemalige Crosser an einen Moment, in dem das Quartett 23 Sekunden vorn lag, dem Peloton gleichzeitig aber die Helfer ausgingen. Aus immer neuen Löchern krochen allerdings immer wieder andere Fahrer hervor, die für die Verfolgung sorgten . “Vier Kilometer vor dem Ziel wurde es doch knapp. Aber Victor hat sich aufgeopfert“, so Eenkhoorn. Zu diesem Zeitpunkt war das Feld mit elf Sekunden Rückstand auf Tuchfühlung.

Doch durch Campenaerts Einsatz und das Fehlen einer geregelten Vorbereitung bei den Sprintern retteten sich die Ausreißer ins Ziel – und eben vor allem deshalb, weil Eenkhoorns später Sprung vom Feld in die Spitzengruppe genau jene frischen Beine nach vorne brachte, die die Ausreißer brauchten, um am Ende zu bestehen.

Im Sprint war Asgreen der Beste. “Er hat den perfekten Moment erwischt, ich war perfekt am Hinterrad, aber ich kam nicht vorbei. Wir sind zwölf Sekunden mit 60 km/h gefahren, das ist schon ziemlich schnell“, sagte der Tageszweite in der "Avondetappe". Philipsen nahm er zu später Stunde nichts mehr übel. “Ich habe schon eine Nachricht von ihm bekommen, dass es nicht so gemeint war. Er war im Arsch, jeder war im Arsch. Für mich ist das vergessen.“

Mehr Informationen zu diesem Thema

25.06.2024Tour de France im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(rsn) - Die Tour de France ist die wichtigste Rundfahrt im internationalen Radsportkalender. Vor der am 29. Juni im italienischen Florenz beginnenden 111. Ausgabe liefern wir einen Überblick über d

11.06.2024Cofidis setzt auf erfahrenes Tour-Team inklusive Geschke

(rsn) – Die französische WorldTour-Mannschaft Cofidis präsentierte am Dienstag die ersten sechs Fahrer ihres Tour-de-France-Kaders in einer Presseaussendung und verkündete dabei auch, dass Simon

10.01.2024“Wir brauchen keine vier Soßen“: Wie Roglic Bora besser macht

(rsn) – Primoz Roglic macht Bora – hansgrohe besser. Das lässt sich schon sagen, bevor der Slowene überhaupt ein einziges Rennen gefahren ist. Während sich das erst Anfang März ändern und Rog

07.10.2023Thomas: “Ineos Grenadiers ist ein Team im Wandel“

(rsn) – Der letzte Tour-de-France-Sieg liegt schon vier Jahre zurück und vor allem daran lässt sich ablesen, dass Ineos Grenadiers längst nicht mehr das beste Grand-Tour-Team der Welt ist. Dennoc

30.07.2023Niewiadoma machte ihre Hausübungen für die Pyrenäen

(rsn) – Als am Col d‘Aspin auf der 7. Etappe der Tour de France Femmes die beiden Favoritinnen Demi Vollering (SD Worx) und Annemiek Van Vleuten (Movistar) erstmals in die Offensive gingen, konnte

27.07.202320 Sekunden Zeitstrafe: Vollering und SD Worx entsetzt

(rsn) – Der Kampf um den Gesamtsieg bei der Tour de France Femmes, er war bislang einer um Sekunden. Lediglich deren acht hatte Demi Vollering (SD Worx) an den ersten vier Tagen mit großem Aufwand

27.07.2023Cofidis erfolgreich, aber Geschke “nicht so gut drauf“

(rsn) – Am Sonntag erwartete Simon Geschke (Cofidis) seine Teamkollegen in Paris zum großen Finale der 110. Tour de France, die er auf der 18. Etappe aufgrund heftiger Magenprobleme verlassen musst

26.07.2023Vingegaard euphorisch in Kopenhagen empfangen

(rsn) – Der Sieger der Tour de France, der Däne Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma), wurde am Mittwochnachmittag in Kopenhagen von mehreren 10000 Menschen empfangen. Eine große Menge versammelte si

25.07.2023Buchmann zweifelt an seinem Comeback als GC-Fahrer

(rsn) - Für einen Moment war die Hoffnung wieder da. Die Hoffnung darauf, einen Emanuel Buchmann zu sehen, wie er sich im Juli 2019 bei der Tour de France präsentiert und dabei einen sensationellen

24.07.2023Tour-Achter Gall derzeit kein Thema für Bora - hansgrohe

(rsn) – Auch wenn ab August wieder Wechsel verkündet werden dürfen: Bora – hansgrohe und Felix Gall (AG2R - Citroën) werden nicht in einem Satz auftauchen. Nach der starken Vorstellung des Öst

24.07.2023Auch ohne Etappensiege imponieren Bauhaus und Zimmermann

(rsn) – Wie im Vorjahr kein Etappensieg und kein Fahrer in den vordersten Regionen des Klassements: Die Bilanz der nur sieben deutschen Starter bei der 110. Tour de France liest sich auf den ersten

24.07.2023Rückblick: Die 110. Tour de France in Zahlen

(rsn) – Drei hart umkämpfte Wochen, 21 Etappen und insgesamt 3405 Kilometer liegen hinter den Teilnehmern der diesjährigen Tour de France. Radsport-news.com blickt auf die 110. Frankreich-Rundfah

Weitere Radsportnachrichten

22.12.2024“Bis zur Corona-Infektion lief es richtig gut“

(rsn) - Erst zwölf Tage des neuen Jahres waren vergangen, da standen für Linda Riedmann vom Team Visma - Lease a Bike schon die ersten Rennen an. In Australien bei der Santos Tour Down Under begann

21.12.2024Schöne Highlights und ein sehr starker August

(rsn) – 22 Jahre ist Fabio Christen (Q36.5 Pro Cycling) alt, und der Schweizer kommt aus einer wahren Radsportfamilie. Schon sein Großvater gehörte zu den besten Straßensportlern und auch sein Va

21.12.2024Red-Bull-Sportchef Aldag über die Transfers von Lazkano und Co.

(rsn) – Es war abzusehen, dass Red Bull – Bora – hansgrohe auch in diesem Winter wieder allerhand Veränderungen am Kader für die neue Saison vornehmen würde. Neun Profis stoßen 2025 zum Team

21.12.2024Vandeputte mit Start-Ziel-Sieg zum ersten Weltcuperfolg

(rsn) – Dank einer technischen Glanzleistung hat Niels Vandeputte (Alpecin – Deceuninck) in Hulst nicht nur einen Start-Ziel-Sieg, sondern auch seinen ersten Weltcup-Erfolg gefeiert. Der Belgier w

21.12.2024Schreiber startet am schnellsten und bleibt bis zum Schluss vorn

(rsn) – Schnellstarterin Marie Schreiber (SD Worx – Protime) hat den Cross-Weltcup in Hulst mit einem Start-Ziel-Sieg für sich entschieden. Lucinda Brand (Baloise – Trek Lions) baute als Zweite

21.12.2024Knolle, Groß, John und Zemke zu rad-net - Rembe - Sauerland

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

21.12.2024Vom Niemandsland nach Alpe d’Huez in wenigen Monaten

(rsn) – Als Ruderin stand Valentina Cavallar schon bei den Olympischen Spielen am Start und ihr Einstieg in den Radsport kam dann doch sehr überraschend. Erst im April fand sie einen Platz bei der

21.12.2024“Riesige Erleichterung“: Auf dem Weg zurück zu alter Stärke

(rsn) – Er war noch nicht ganz wieder der Alte, doch nach zwei krankheitsbedingt schwarzen Saisons hat Maximilian Schachmann 2024 endlich erneut aufblitzen lassen können, wozu er fähig ist. Das ge

21.12.2024Van Empel muss Cross-Wochenende auslassen

(rsn) - Wegen eines Trainingssturzes muss Weltmeisterin Fem van Empel (Visma – Lease a Bike) die beiden Cross-Weltcups in Hulst und Zonhoven an diesem Wochenende auslassen. Wie die Niederländerin a

21.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

20.12.2024Meisterschaftsdoppel versöhnte nach Olympia-Enttäuschung

(rsn) – Die Olympischen Spiele in Paris hatten die Österreicherin Anna Kiesenhofer (Roland) wieder in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit zurückgeholt. Immer wieder wurde ihre Sensationsfahrt v

20.12.2024Van Aert kehrt in Mol zu seiner ersten Liebe zurück

(rsn) - Viel Zeit zur Vorbereitung konnte sich Wout van Aert (30) nicht gönnen. Nach nur drei Tagen im Cross-Training will der Belgier am Montag beim Superprestige in Mol starten. Der Cross-Vizeweltm

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine