RSNplusRSN-Frauenrangliste 2023, Platz 9

Niedermaier: Achterbahnfahrt zu Giro-Etappensieg und WM-Titel

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Niedermaier: Achterbahnfahrt zu Giro-Etappensieg und WM-Titel"
Antonia Niedermaier mit ihrer Gold-Medaille bei den Deutschen Meisterschaften im Zeitfahren der U23 2023 in Bad Dürrheim. | Foto: Cor Vos

30.12.2023  |  (rsn) – Auf einer Berghütte in den Alpen wird Antonia Niedermaier am Wochenende ins neue Jahr starten – die perfekte Umgebung für die 20-Jährige, die den Spagat zwischen Skibergsteigen und Radsport vollzieht und in beiden Disziplinen innerhalb der nächsten 27 Monate zu Olympia will. Im "alten Jahr" empfahl sie sich vor allem auf zwei Rädern für ein Ticket zu den Spielen im kommenden August in Paris – mit so großen Erfolgen, wie sie nicht viele erwartet haben dürften.

Niedermaier gewann eine schwere Bergetappe beim Giro d'Italia, wurde U23-Weltmeisterin im Zeitfahren und trug bei der erstmals ausgetragenen Tour de l'Avenir bis zum Schlusstag das Gelbe Trikot (die U23-Rundfahrt zählt nicht für die RSN-Jahresrangliste, Anm. d. Red.). Trotzdem war 2023 für sie nicht nur ein Jahr des Jubelns.

"Mein Jahr kann man als Achterbahnfahrt eigentlich ganz gut zusammenfassen. Es waren viele Höhen und Tiefen", sagte Niedermaier radsport-news.com. Vor allem zu Jahresbeginn traf es sie hart: Im Februar musste sich die Bayerin am Knie operieren lassen, im März verstarb ihre Großmutter. "Im Skibergsteigen war meine Saison für die Katz'", so Niedermaier, die schon fünf Jahre zuvor eine OP am linken Knie hinter sich hatte und nun am rechten nachziehen musste. "Meine Kniescheibe ist immer wieder rausgesprungen. Das wurde stabilisiert", erklärte sie. ___STEADY_PAYWALL___

Aufgrund der Operation verschob sich auch Niedermaiers Einstieg in die Saison deutlich. Anstatt im Februar schon ein erstes Rennen zu bestreiten, dauerte es bis zur Lotto Thüringen Ladies Tour Ende Mai, die sie dann aber wegen eines Sturzes auf der 3. Etappe bereits verlassen musste. Wie stark sie trotzdem in Form war, bewies sie im Juni dennoch.

Die Schnellste bei der Zeitfahr-DM

Hinter Marta Cavalli und Ashleigh Moolman-Pasio, aber vor Fahrerinnen wie Cecilie Uttrup Ludwig oder Grace Brown wurde sie Dritte der um einen Tag verkürzten Pyenäen-Rundfahrt, um dann zwei Wochen später Deutsche U23-Meisterin im Einzelzeitfahren zu werden. Mit ihrer Zeit hätte Niedermaier auch den Elite-Titel deutlich vor Mieke Kröger gewonnen, wenn sie dort genannt hätte.

Strahlend in Bad Dürrheim: Antonia Niedermaier (links, hier neben Teamkollegin Justyna Czapla) wurde Deutsche Meisterin der U23 im Zeitfahren und war dabei auch schneller als Elite-Meisterin Mieke Kröger (nicht im Bild). | Foto: Cor Vos

Es folgte der Giro d'Italia und damit das erste WorldTour-Rennen. Niedermaier startete gut in die Rundfahrt, bei der sie in erster Linie lernen wollte und ritt dann auf der 5. Etappe eine mutige Attacke rund 25 Kilometer vor Schluss. Niemand geringeres als Annemiek van Vleuten (Movistar) jagte im Finale hinter ihr her, doch Niedermaier hielt dagegen und gewann mit neun Sekunden Vorsprung – eine Sensation!

"Ich habe erstmal überhaupt nicht fassen können, dass mir niemand folgt. Aber ich dachte mir: 'Okay, jetzt muss ich fahren!' Wenn man angreift, muss man auch durchziehen. Also habe ich mich auf ein langes Zeitfahren eingestellt und ich wusste auch, dass ich gut abfahren kann. Das haben die Anderen, glaube ich, ein bisschen unterschätzt. Durchs Skifahren bin ich etwas furchtloser", erinnerte sie sich im Rückblick mit radsport-news.com an ihr Solo.

Erst Etappensieg, dann schwerer Sturz beim Giro

"Ich wusste, dass Annemiek alles geben wird, um wieder hinzukommen – und ich wusste auch, wie gering der Abstand am Ende war. Aber Ronny (Canyon-SRAM-Teamchef Lauke, Anm. d. Red.) hat mal zu mir gesagt, dass man nie zurückschauen soll, wenn man vorne fährt, egal, wie klein die Lücke ist. Das habe ich umgesetzt. Ich glaube, am Schluss habe ich gar nicht gewonnen, weil ich körperlich stärker war, sondern weil ich mental nicht aufgegeben habe", so Niedermaier, die damit auch auf Gesamtrang zwei vorrückte.

Vollgas um jede Sekunde bis zum Zielstrich: Niedermaier im Ziel der 5. Giro-Etappe, die sie 9 Sekunden vor van Vleuten gewann. | Foto: Cor Vos

Tagsdrauf aber wich das Hochgefühl abrupt großen Schmerzen: Die Slowenin Urska Zigart (Jayco – AlUla) verlor am Ende des dezimierten Feldes knapp 33 Kilometer vor Schluss der 6. Etappe die Kontrolle über ihr Rad, stürzte nach rechts und riss Niedermaier mit zu Boden. Die Deutsche hatte Glück im Unglück: Sie verlor zwar einen Zahn und brach sich auch das Kahnbein im Handgelenk an, wie später herauskam, doch es hätte auch viel schlimmer ausgehen können. "Ich kann mich an den Sturz noch genau erinnern und war nur froh, dass ich nicht auf den Randstein gefallen bin. Es war wirklich knapp: Ich bin zehn Zentimeter neben dem Bordstein aufgeknallt", erinnerte sie sich.

Rund zwei Wochen pausierte Niedermaier anschließend und auch danach konnte sie wegen des Handgelenks erstmal nur auf dem Zeitfahrrad trainieren. Doch die Achterbahnfahrt ging weiter, denn schon im ersten Renneinsatz nach der Pause stand sie wieder ganz oben auf einem Podium – und diesmal sogar im Regenbogentrikot. Niedermaier wurde Weltmeisterin der U23 im Einzelzeitfahren, das nächste große Highlight neben dem Giro-Etappensieg.

Regenbogentrikot in Glasgow, Gelb in Frankreich

"Der Giro-Etappensieg war schon ein Megagefühl. Es war mein erstes richtig großes World-Tour-Rennen. Da Annemiek van Vleuten stehen zu lassen, war schon mega. Aber auch das ganze Drumherum beim WM-Titel war sehr schön zu erleben, gerade mit der ganzen Stimmung dort. Da jetzt eins von beidem hervorzuheben, ist schwer", stufte sie beide Erfolge ungefähr gleich ein.

Weltmeisterin der U23: Dieses Regenbogentrikot errang Antonia Niedermaier in Glasgow. | Foto: Cor Vos

Und beinahe wäre wiederum nur wenige Wochen später gleich der nächste große Triumph hinzugekommen: Niedermaier gewann das Auftakt-Zeitfahren der erstmals ausgetragenen U23-Rundfahrt Tour de l'Avenir und trug anschließend auf allen Etappen das Gelbe Trikot. Am Schlusstag aber wurde sie auf einer brutal schweren Alpenetappe von Saint-Gervais Mont Blanc nach Sainte-Foy Tarentaise über mehr als 3.000 Höhenmeter auf nur 98 Kilometern Strecke doch noch vom Podium gestoßen – Gesamtrang vier.

"Ich habe mich dort schon ziemlich leer gefühlt. Der Giro-Sturz hat schon an mir genagt und ich war zwar nicht krank, aber richtig kaputt und leer, als es dort losging. Deshalb bin ich mit wenigen Erwartungen reingegangen", erklärte Niedermaier im Rückblick aber, dass das Resultat für sie schon in Ordnung gewesen sei.

Bei der EM im Sturm ohne Chance

"Wir sind als Team gut zusammen gefahren, die Mädels haben mir sehr geholfen und es war eine tolle Rundfahrt – auch von der Organisation her. Es war ein schönes Erlebnis und ich durfte jeden Tag in Gelb fahren, auch wenn ich das Trikot am letzten Tag noch verloren habe. Man ist als Sportler immer enttäuscht, man will ja immer gewinnen. Aber die anderen Mädels waren superstark und haben das Podium verdient. Es hat schon gepasst."

Im EM-Zeitfahren der U23 unterlag Niedermaier (links) der größeren und schwereren Zoe Backstedt (Mitte) deutlich. | Foto: Cor Vos

Und auch dass sie als U23-Weltmeisterin im Zeitfahren bei den Europameisterschaften im September gegen ihre Canyon-SRAM-Teamkollegin Zoe Backstedt unterlag, war alles andere als eine Enttäuschung für Niedermaier. "Es war flach und windig – absolut nicht mein Ding. Ich dachte mir schon, dass ich gegen Zoe da keine große Chance habe", erzählte sie.

Nachdem Niedermaier das erste Teamcamp von Canyon – SRAM für 2024 im Herbst wegen einer Corona-Infektion verpasst hatte, bereitet sie sich nun auf ihren ersten echten Doppelbelastungs-Winter vor – beziehungsweise steckt bereits drin. Denn nachdem im vergangenen Jahr die Skibergsteig-Saison der Knie-OP quasi komplett zum Opfer gefallen ist, wird Niedermaier diesmal beides kombinieren.

Erster Winter mit beiden Sportarten und Olympia fest im Blick

"Es ist das erste Jahr, in dem ich jetzt beides richtig kombiniere. Deshalb bin ich gespannt, wie es funktioniert. Aber ich bin optimistisch und habe mit Dan (Lorang) auch einen super Trainer dafür, der mich da gut durchleitet und schaut, dass es mir an nichts fehlt", meinte Niedermaier, die am 10. Januar für ein Trainingslager mit dem Rad-Team nach Spanien fliegt, danach dann Weltcups im Skibergsteigen vor sich hat und Ende Februar auch ihre Radrenn-Saison 2024 bereits beginnen will.

Ihre Ziele für 2024 sind nämlich große: "Ich freue mich natürlich, wenn ich die Grand Tours fahren darf. Das ist mein Terrain, das mag ich gern und wäre total glücklich, wenn ich den Giro nochmal fahren und mein Versäumnis vom letzten Jahr nachholen darf", erklärte sie. "Und Olympia ist auch ein Thema. Es ist nicht ganz unrealistisch, dort dabei sein zu dürfen – und es ist natürlich der Traum von jedem Sportler, zu Olympia zu dürfen. Ich würde es gerne jetzt im Sommer mit dem Rad und dann 2026 nochmal im Winter mit den Ski erleben – das wäre mega!"

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