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06.01.2024 | (rsn) – Auf dem dritten Platz der Weltrangliste und als Vierte des WorldTour-Rankings hat Marlen Reusser die Saison 2023 abgeschlossen. Einzig ihre SD-Worx-Teamkolleginnen Demi Vollering und Lotte Kopecky haben in den vergangenen zwölf Monaten mehr Punkte gesammelt als die Schweizerin. Natürlich ist sie damit in der Jahresrangliste der deutschsprachigen Straßenfahrerinnen von radsport-news.com die klare Nummer 1 und auch darüber konnte sich die 32-Jährige zum Jahreswechsel freuen: "Ich bin sehr, sehr happy mit dem Jahr", sagte sie.
Nachdem die Saison 2022 von wiederkehrenden gesundheitlichen Problemen geprägt war, lief es für Reusser allein schon auf dieser Ebene in den vergangenen zwölf Monaten deutlich besser – und das Ergebnis waren über das ganze Jahr hinweg herausragende Resultate.
"Ich war nur ins Frühjahr hinein noch mal etwas krank, aber dann gar nicht mehr über die Saison. Das gab mir die Möglichkeit, mal so richtig aufzubauen und mich zu entfalten, was ich extrem genossen habe. Gerade nach 2022 habe ich jetzt gespürt, was das ausmacht", erklärte Reusser. "Ich habe supergute Resultate und darf extrem zufrieden sein – und bin das auch! Ich freue mich auf die Zukunft!" ___STEADY_PAYWALL___
Die Schweizerin startete mit dem Omloop Het Nieuwsblad Ende Februar in die Saison, fuhr dort beim Doppelsieg ihrer Teamkolleginnen Kopecky und Lorena Wiebes jubelnd als 14. über den Zielstrich und ließ einen Monat später bei Gent-Wevelgem ihren eigenen ersten Klassiker-Triumph folgen – nach einem langen Solo über rund 40 Kilometer mit beachtlichen 2:42 Minuten Vorsprung auf das sprintende Hauptfeld. Reusser war an der vorletzten Passage des Kemmelberg der gesamten Konkurrenz davongestiefelt.
40 Kilometer im Solo zum Sieg in Wevelgem: Der erste große Klassiker-Triumph von Marlen Reusser (SD Worx). | Foto: Cor Vos
"Das war überhaupt nicht erwartet. In den anderen Jahren war es schon das Ziel, dort im Solo zu gewinnen, aber es gab immer einen Sprint – obwohl wir mit SD Worx alles versucht haben. Diesmal sind wir dann reingegangen und haben gesagt: Es wird wieder ein Sprint werden. Dass es ausgerechnet dann mit einem Solo für mich gelingt, das war eine riesige Freude", so Reusser rückblickend.
Was folgte war eine beeindruckende Dominanz ihres Teams während der gesamten Klassiker-Kampagne. Reusser wurde jeweils Siebte bei Dwars door Vlaanderen und der Flandern-Rundfahrt, Sechste beim Pfeil von Brabant und Dritte bei Lüttich-Bastogne-Lüttich – zwei dieser Rennen gewann Vollering, eines Kopecky. Einzig in Brabant holte mit Silvia Persico keine SD-Worx-Fahrerin den Sieg. Dort wurde Vollering Zweite.
Doch anstatt anschließend eine Pause einzuläuten, ging es für Reusser direkt in den nächsten großen Rennblock nach Spanien, wo sie mit der Vuelta, der Itzulia Women und der Burgos-Rundfahrt 14 WorldTour-Renntage innerhalb von drei Wochen sammelte und dabei im Baskenland Zweite, Dritte und Erste der drei Etappen wurde, um sich am Ende in San Sebastian auch als Gesamtsiegerin zu krönen – Reussers erster Rundfahrtsieg überhaupt.
Der erste Rundfahrtsieg der Karriere – und das an den steilen Rampen im Baskenland: Marlen Reusser mit Demi Vollering (links) und Kasia Niewiadoma (rechts) auf dem Podium in San Sebastian. | Foto: Cor Vos
"Ich wurde in Spanien von Rennen zu Rennen immer besser. Wir kennen das von mir, dass es mir nutzt, wenn ich harte Rennen hintereinanderfahre", so die Schweizerin. "Dass ich dann Itzulia gegen die besten Klettererinnen gewinnen konnte, das hat mir extrem Freude bereitet." Mitte Juni ging es zur Tour de Suisse und Reusser übernahm im Zeitfahren von Abtwil am zweiten Tag auch dort das Gelbe Trikot. Auf der Schlussetappe geriet das durch einen frühen Angriff von Kasia Niewiadoma (Canyon – SRAM) zwar arg in Gefahr, doch die Schweizerin verteidigte sich im Finale mit einem beherzten Solo und gewann prompt ihre zweite Rundfahrt.
"Ein wirklich krasses Highlight, weil das auch wirklich mein großes Ziel war. Dort wollte ich unbedingt gewinnen. Gerade die letzte Etappe, auf der es für eine Weile gar nicht so gut aussah – dass ich es da geschafft habe, cool zu bleiben und das rumzureißen, das war toll. Und dann kam später im Jahr noch der Hattrick als Europameisterin im Zeitfahren – ja, das Jahr war wirklich gespickt mit Highlights."
Und dabei übersprang Reusser in ihrer Aufzählung sogar noch ihren Sieg bei den Schweizer Meisterschaften sowie den im Abschluss-Zeitfahren der Tour de France Femmes, den zweiten Weltmeistertitel in der Mixed-Staffel in Glasgow, Platz vier im WM-Straßenrennen und Gesamtrang drei bei der Tour de Romandie im September. Ein einziges persönliches Highlight, das über allem anderen steht, war für sie angesichts all dieser Erfolge schwer hervorzuheben. "Das ist megaschwierig und auch nicht gerecht", so Reusser.
Ein ganz wichtiger Sieg für Reusser persönlich: Als Tagesdritte der Schlussetappe gewinnt sie ihre Heimat-Rundfahrt Tour de Suisse. | Foto: Cor Vos
Sehr interessant wurde es, im Jahr der Erfolge über Misserfolge oder Enttäuschungen zu sprechen. Denn auch wenn vielen Außenstehenden dabei wohl in erster Linie Reussers Aufgabe im WM-Einzelzeitfahren einfallen dürfte, als die da noch 31-jährige Schweizerin nach rund 16 Kilometern plötzlich am Straßenrand stoppte und vom Rad stieg, so nannte Reusser selbst einen ganz anderen Moment:
"Meine größte Enttäuschung war eigentlich die letzte Etappe der Tour de Romandie, wo ich von Fem van Empel (Jumbo – Visma, Anm. d. Red.) eigentlich das perfekte Leadout für den Etappensieg gekriegt hatte. Ich war bei ihr am Hinterrad und sie fuhr schon bei 300 Metern los", erinnerte sich die Schweizer Meisterin an ihren vierten Platz in Nyon beim Sieg von Liane Lippert (Movistar). "Ich wurde so nervös, dass ich dann ein bisschen zu spät los bin. Ich glaube, es hätte wirklich reichen können, aber ich habe es einfach komplett vergeigt", so Reusser.
Die Aufgabe bei der WM ist für die 32-Jährige auch rückblickend nämlich keine echte Enttäuschung – im Gegenteil: Reusser geht damit sehr positiv um. "Es war keine Entscheidung, weil es kein Abwägen war, sondern eine Impuls-Handlung. Ich habe das gemacht und musste danach dann damit dealen, also damit umgehen, dass mir das passiert ist. Aber ich hatte damit von Anfang an keine Probleme und auch jetzt im Rückblick nicht. Ich bin völlig okay und im Reinen mit mir, dass das geschehen ist", erklärte sie nun.
Im Gras am Straßenrand: Marlen Reusser kurz nachdem sie ihr WM-Zeitfahren in Glasgow beendete. | Foto: Cor Vos
Damals im August hatte sie davon gesprochen, nach dem Gesamtsieg bei der Tour de Suisse "in ein Loch gefallen" zu sein. "Es war mein größter Erfolg, aber ich hatte seitdem auch kaum Zeit zum Verschnaufen. Es ging sofort weiter und meine Gedanken waren bei der Tour de France Femmes und den Weltmeisterschaften. Mir fehlte die Zeit, um den Erfolg auch zu genießen und mich auf die neuen Ziele zu fokussieren", sagte sie da.
Rückblickend fällt auf: Dieses Loch ist zeitlich ziemlich deckungsgleich mit den in ihrer Aufzählung der Erfolge oben übersprungenen Ergebnissen und Reusser sprach auch jetzt noch einmal von einer "Periode davor (vor der WM, Anm. d. Red.), die sehr schwierig war". Reusser hat ihre Impuls-Handlung offensichtlich für sich analysiert und nicht nur akzeptiert, sondern richtiggehend angenommen.
"Dieser Ausstieg ist etwas, was in meinem Leben geschehen ist und das man als Fehler bezeichnen könnte, was ich aber nicht tun würde. Ich würde sagen, das gehört zu den Aufs und Abs im Leben", erklärte sie. "Ich verstehe es selbst und auf eine gewisse Art will ich diesen Moment auch nicht missen. Denn es waren viele Erfahrungen darin, viel Lernen."
Wohin führt der Weg? 2023 hat gezeigt, dass Reusser auch in Rundfahrten eine gute Rolle spielen kann. | Foto: Cor Vos
Gelernt hat Reusser in den vergangenen Monaten anderes über sich – zum Beispiel, dass sie auch am Berg stark sein kann und die Gesamtwertungen bei Rundfahrten längerfristig zu Zielen werden könnten. "Meine Qualität ist, wenn es 'ums Dieseln' geht", erklärte sie, dass vor allem gleichmäßige, lange Anstiege ihr liegen. "Daran möchten wir in Zukunft sicher auch noch mehr arbeiten, denn es hängt auch mit der W/kg-Leistung zusammen. Für 2024 sind aber die Einzelzeitfahren das große Ziel und dann denken wir ab 2025 sicher auch ans Klassementfahren."
Im neuen Jahr geht es für Reusser zunächst wieder zu den Klassikern, bei denen sie ihr Potential ohnehin bereits unter Beweis gestellt hat. Im Training arbeite sie unter anderem daran, nach einem harten Rennen nochmal einen draufsetzen und ein spätes Solo starten zu können. Denn auch wenn Reusser bei den großen Klassikern am Ende immer noch ganz vorne dabei ist, in den Sprints kleiner Gruppen hat sie selten Chancen.
Auf dem Zeitfahrrad verfolgt Marlen Reusser – hier bei der EM in Drenthe – 2024 zwei große Ziele: Olympia und die Weltmeisterschaften. | Foto: Cor Vos
"Man kriegt mich zwar nicht abgehängt, aber es muss mir selbst igendwie gelingen, den Unterschied zu machen und eine Lücke zu reißen. Im Sprint werde ich wahrscheinlich gegen die Sprinterinnen nie gewinnen und wenn ich in einer Gruppe ankome, dann wird bei SD Worx nicht für mich gesprintet – was mir auch einleuchtet", erklärte sie mit einem Blick auf ihre sprintstarken Teamkolleginnen Kopecky und Wiebes oder auch Vollering.
Doch der wahre Fokus liegt für Reusser 2024 eben ganz woanders. Denn der Sommer hält zwei Groß-Events bereit, bei denen sie topfit sein will – vor allem auf dem Zeitfahrrad: "Die Hauptziele sind wirklich die Einzelzeitfahren bei Olympia und WM. Darauf ist auch das Training ausgelegt", so Reusser angesichts der Olympischen Spiele in Paris im August und der Heim-Weltmeisterschaften Ende September in Zürich. Vorher will sie auch bei der Tour de Suisse wieder eine Rolle spielen und möglicherweise den Giro d'Italia bestreiten.
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