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30.03.2006 | Sie sind jung, talentiert und ehrgeizig: deutsche Neo-Profis. Immer mehr von ihnen machen sich bei den Profi-Teams einen Namen. Der Radsportboom, ausgelöst durch Jan Ullrichs Tour-Erfolge, schlägt sich auch in der großen Zahl deutscher Talente nieder. In einer Serie von Radsport aktiv berichten die Nachwuchsfahrer von ihren Erfahrungen in ihren neuen Teams, ersten Erfolgen und Niederlagen. Ullrichs Erben:
An Paul Martens Radsporthimmel zeigte sich im Sommer 2005 keine einzige Wolke. Der 22jährige Rostocker, der in Freiburg lebt und trainiert, durfte als sogenannter Stagiaire beim großen T-Mobile-Team sein Radsport-Praktikum absolvieren und zählte bei den U23 Weltmeisterschaften zu den großen deutschen Hoffnungen.
In der spätsommerlichen Hitze von Madrid zerschmolzen dann aber Martens Träume von ProTour-Rennen im Magenta-Trikot. Ein schlechtes Zeitfahren reichte, um T-Mobile von einer Verpflichtung für die neue Saison Abstand nehmen zu lassen.
„Das war schon eine arge Enttäuschung“, sagt Martens heute. „Als Stagiaire bei einem Team wie T-Mobile fahren zu dürfen, ist ja schon ein vielversprechendes Zeichen.“ Nach der Pleite von Madrid schien zunächst nicht viel auf eine Profikarriere hinzudeuten. Aber dann kam über Martens Sportlichen Berater der Kontakt zum holländischen Zweitdivisionsteam Skil Shimano zustande. Der junge Deutsche unterschrieb schließlich für zwei Jahre bei dem Team, das auch für Stefan Schumacher als Sprungbrett für den Wechsel zu Team Gerolsteiner diente.
Nach drei Monaten als Neoprofi haben sich über Martens beruflichem Horizont die Wolken wieder verzogen. „In sportlicher und in menschlicher Hinsicht hat sich der Wechsel zu Skil Shimano gelohnt“, bilanziert Martens zufrieden. Bisher fuhr er einige der belgischen Frühjahrsrennen und konnte sich mit seinen Leistungen auch schon ein gewisses „Standing“ im Team erarbeiten.
Martens wird nach eigenen Worten von der Teamleitung behutsam aufgebaut. Eine Vorgehensweise, von der andere Jungprofis nur träumen können. „Das ist hier kein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis, es läuft alles sehr freundschaftlich ab. Eine Atmosphäre fast wie bei einem Amateurteam“, schwärmt der Jungprofi, dem die Stimmung im Team zu bekommen scheint.
„Beim „Pfeil von Brabant“ bin ich in einer Gruppe mit Zabel angekommen“, berichtet er, der sonst eher nüchtern und kontrolliert wirkt, mit erkennbarem Stolz in der Stimme. „Im Finale reichte es dann doch nicht für einen Platz ganz vorne – vielleicht fehlte mir einfach ein bisschen das Selbstvertrauen.“ Dafür bekam er unerwartete Hilfe von einem erfahrenen Mannschaftskollegen, dem 35jährigen Aart Vierhouten. „Im Finale kam Aaart an meine Seite und sagte: ‚Komm, ich fahre für Dich.’ So etwas zeigt mir, dass die Mannschaft schon auf mich baut. Welcher Neoprofi kann von sich schon sagen, dass für ihn gefahren wird?“
Martens sieht sich selbst eher als Allrounder – „nirgendwo Spitze, aber überall gut“ – ist aber noch „am Ausloten, welcher Fahrertyp ich denn nun eigentlich bin. Aber ich habe schon festgestellt, dass mir die Frühjahrsrennen liegen.“
Besonders an der rauen Atmosphäre, die auf den belgischen Rennstrecken herrscht, scheint er regelrecht Gefallen gefunden zu haben. „Radsport in Belgien ist vergleichbar mit Fußball in Deutschland“, schildert er. „Die belgischen Rennen sind viel härter gewesen als alles, was ich bisher aus der U23-Rad-Bundesliga gekannt habe. Vor allem die belgischen Fahrer riskieren für uns unverständlich viel und nehmen dabei auch ganz bewusst Stürze in Kauf.“
Martens freut sich schon auf die nächsten Rennen, für ihn absolute Saisonhöhepunkte: die Flandern-Rundfahrt und Amstel Gold Race. Sein Ehrgeiz gilt vor allem dem holländischen Klassiker: „Da habe ich mir schon einiges vorgenommen.“
Schwere Rückschläge hat der Neoprofi bisher noch nicht wegstecken müssen. „Ich hatte bisher Glück: keine schweren Stürze, keine schlimmen Verletzungen.“ Ein Schock war allerdings der plötzliche Tod seines Teamkollegen Arno Wallaard, der vor einigen Wochen nach dem Training zusammenbrach. Die Todesursache des Holländers ist noch immer ungeklärt.
„Der Tod von Arno war für das Team und für mich persönlich ein ganz schwerer Schlag“, so Martens. „Er war ein lebensfroher Mensch und ich habe mich gut mit ihm verstanden. Wir haben viel miteinander telefoniert und uns auch oft gesehen. Wenn das Team sich trifft, merkt man jedes Mal, das einer fehlt, der eigentlich dabei sein sollte.“
Zum harten, entbehrungsreichen Profigeschäft gehören auch solche schlimmen Erfahrungen. Das große Ziel des Nachwuchstalents bleibt davon aber unberührt: ein Vertrag bei einem ProTour-Team, Darauf steuert er konsequent und geradlinig zu. Der Rostocker kann dabei gleich auf mehrere Vorbilder blicken: Die T-Mobile-Profis André Greipel, André Korff und Eric Baumann stammen allesamt aus der Hansestadt. Außerdem noch ein gewisser Jan Ullrich - „der ideale Rennfahrer“, wie Mertens anfügt. Trotzdem ist sein großes Vorbild ausgerechnet Ullrichs Tour-Konkurrent Ivan Basso. Martens bewundert an dem Italiener dessen Zielstrebigkeit und Professionalität. „Basso war bei den Profis in den ersten Jahren auch kein Siegfahrer. Erst durch hartes, konsequentes Training ist er zu dem geworden, was er heute ist.“
Was will Paul Martens werden? Natürlich ein erfolgreicher Radprofi, aber er hat auch schon die Zeit nach einer möglichen Karriere im Auge. Dafür studiert er seit vier Monaten „Sportmanagement“ - ein Fernstudiengang speziell für Sportler, der auf 18 Monate ausgelegt ist. „Das Diplom in der Tasche soll mir für die Zeit nach meiner Karriere als Radprofi helfen.“ Ungewöhnliche Einsichten für einen gerade mal 22jährigen Sportler. Aber passend zu einem wie Paul Martens, der ungern etwas dem Zufall zu überlassen scheint.
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