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26.04.2006 | Sie sind jung, talentiert und ehrgeizig: deutsche Neo-Profis. Immer mehr von ihnen machen sich bei den Profi-Teams einen Namen. Der Radsportboom, ausgelöst durch Jan Ullrichs Tour-Erfolge, schlägt sich auch in der großen Zahl deutscher Talente nieder. In einer Serie von Radsport aktiv berichten die Nachwuchsfahrer von ihren Erfahrungen in ihren neuen Teams, ersten Erfolgen und Niederlagen. Ullrichs Erben:
Tim Klinger ist Sprockhövels große Radsporthoffnung. Als der talentierte 21jährige Schlacks aus der 26.000 Einwohner zählenden Kleinstadt in der Nähe von Wuppertal mit seinem neuen Team Wiesenhof-Akud bei der Katar–Rundfahrt seinen ersten Einsatz als Profi absolvierte, war das der Westdeutschen Zeitung einen ausführlichen Artikel wert: Ein heimischer Nachwuchsfahrer tritt gegen die Top-Stars Tom Boonen, Erik Zabel oder Stuart O`Grady an. Eine kleine Sensation.„Katar war eine wichtige Erfahrung“, berichtet Klinger heute, gut drei Monate nach seinem Wüstenritt. „Die Temperaturen waren mit 20-25 Grad zwar ganz angenehm, aber die Windverhältnisse waren extrem. Wir hatten ständig Windkante. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Dazu ging es quer durch die Wüste, 40 Kilometer stur in eine Richtung und alle 10 Kilometer ein Strauch als Abwechslung.“
Erste Erfahrungen hat er mittlerweile auch mit seinem neuen Team Wiesenhof-Akud gesammelt. Und die seien ausnahmslos positiv. Klinger: „Die Atmosphäre ist richtig familiär, freundschaftlich und locker. Obwohl unser Sportdirektor Jens Heppner auch nicht alles durchgehen lässt. Er fordert natürlich Erfolge und kann auch mal ein Machtwort sprechen. Aber unter Druck werden wir jungen Fahrer nicht gesetzt.“
Auch nicht von Jochen Hahn, der für die Garde der jungen Wiesenhof-Fahrer verantwortlich zeichnet. Hahn kümmere sich praktisch Tag und Nacht um die jungen Profis, sagt Klinger. „Trotzdem wird darauf geachtet, dass wir auch eigenständig handeln. Auf Mallorca beispielsweise durften wir in Kleingruppen von zwei oder drei Fahrern trainieren.“ Überhaupt zeigt sich der Neuling angetan von der Professionalität des einzigen deutschen Zweitdivisionsteams: „Die Teamleitung hat beispielsweise einen Trainingswissenschaftler verpflichtet, der uns auf Mallorca zur Seite stand.“
Klinger, der im vergangenen Jahr noch für Team Sparkasse fuhr, gilt als großes Rundfahrt-Talent mit Kletterqualitäten. Im bisherigen Saisonverlauf hat er die noch nicht unter Beweis stellen können. „Meine wichtigen Rennen kommen erst noch“, liefert er die Begründung dafür. „Ich bin ja nicht unbedingt der geborene Klassikerjäger. Dafür ist die Frühjahrssaison dann doch ganz gut gelaufen.“ Klingers bisherige Bilanz: Beim Pfeil von Brabant ist er in der ersten Verfolgergruppe um Erik Zabel im Ziel angekommen. Eine Woche zuvor bei der Istrian Spring Trophy in Kroatien holte er sich das Bergtrikot und wurde Gesamtdritter. Ein erster kleiner Schritt auf dem Weg zu einem guten Klassementfahrer, zu dem sich der junge Westfale entwickeln möchte. Auch Sportdirektor Jens Heppner weiß um die Qualitäten seines Fahrers. „Er ist zweifellos ein Riesentalent mit großen Qualitäten in den Bergen und beim Zeitfahren“, lobt er seinen Neuzugang. „Seine Testergebnisse sind hervorragend, aber die Realität sind die Rennen, und da wird er sich beweisen müssen.“
Die Realität hat zwar schon begonnen, aber „richtig los“ geht es für Klinger heute mit der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt. Danach kommt die Friedensfahrt im Mai und die Österreich-Rundfahrt im Juli. „Mein großes Ziel ist die Deutschland Tour“, freut sich Klinger schon auf das wichtigste deutsche Rennen. „Es wäre das erste ProTour-Rennen meines Lebens.“ Team Wiesenhof wird dabei sein, auch Tim Klinger? Das Aufgebot steht natürlich noch nicht fest, aber Klinger ist guter Dinge, zu den Auserwählten zu gehören: „Ich bin auf einem guten Weg, die Teamleitung hat mich auch schon gelobt. Ich denke schon, dass ich dabei sein werde“, gibt er sich selbstbewusst. In einigen Jahren will Klinger auch in einem ProTour-Team fahren – der Wunsch eines jeden Profis. Auch das Wiesenhof-Führungsgespann JensHeppner/Rafael Schweda hat das Ziel Eliteklasse. Aber bis das Team in die geschlossene Gesellschaft ProTour vorstößt, kann noch einige Zeit ins Land gehen. Mit 21 Jahren hat man die zwar noch, aber allzu viel lange möchte Klinger nicht warten. In spätestens zwei Jahren soll der Sprung in die Eliteklasse geschafft sein, so sieht es der persönliche Karriere-Fahrplan vor. Den hat er zusammen mit den Eltern erstellt.
Mit Vater Mario und Mutter Sigrid wird alles besprochen, auch und vor allem das Berufliche. Was passiert, wenn der Fahrplan durcheinander gerät, wenn es zu Verzögerungen etwa durch Verletzungen kommt? „Entweder packe ich es innerhalb dieser Zeit oder ich muss mir Gedanken machen, ob ich nicht doch was anderes mache“, sagt Tim Klinger. „Alternativ könnte ich immer noch studieren.“ Das klingt rigoros, ist aber wohl nur ein Indiz für eine ausgeprägte Zielstrebigkeit, die bei vielen der jungen deutschen Radprofis festzustellen ist.
Wie eng Hoffnung und Frust beieinander liegen, hat Klinger vor zwei Jahren feststellen müssen. Eine hartnäckige Sehnenentzündung zwang den damals 19 jährigen Abiturienten zu einer Zwangspause. Acht quälende Monate lang konnte er nicht richtig trainieren. Die Ärzte konfrontierten ihn schon mit dem Ende seiner Radsportkarriere, noch bevor sie richtig begonnen hatte. “Damals habe ich gemerkt, wie sehr ich das Radfahren vermissen würde.“ Zum Glück verschwanden nach dem Abitur die gesundheitlichen Probleme ebenso plötzlich, wie sie aufgetreten waren. Jetzt, zwei Jahre später, macht Klinger einen ausgeglichenen und selbstbewussten Eindruck. Der Grund ist einfach: „Ich habe mein Hobby zu meinem Beruf machen können.“
Ein Beruf, der auch harte Entbehrungen mit sich bringt. Nicht umsonst wird das berühmteste Radrennen der Welt auch die „Tour der Leiden“ genannt. Die Tour de France ist trotzdem oder gerade deswegen ein Traum für jeden Profi. Tim Klinger ist da keine Ausnahme. „Ich will unbedingt die Tour fahren“, sagt er. „Aber wenn man schon bei kleineren Rundfahrten bis ans Limit geht, macht man sich schon seine Gedanken, was einen bei der Tour wohl erwarten würde. Aber ich bin ehrgeizig und habe diesen Lebenstraum. Um die Tour de France zu fahren, würde ich alle Schmerzen in Kauf nehmen. Aber man weiß ja nicht wirklich, was einen da erwartet – das ist vielleicht auch besser so.“ Wenn alles wie geplant läuft, wird Tim Klinger es irgendwann wissen. Und Sprockhövel hätte dann nicht nur eine Radsporthoffnung, sondern ein echtes Radsportidol.
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