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12.07.2011 | (rsn) - Nach genau 1.581 Kilometern auf dem Rennrad zwischen dem Start in der Vendée am Atlantik, nach zahlreichen Pressekonferenzen am Ruhetag gestern im herrlichen Sommer- und Wintersportparadies Le Lioran im Departement Cantal, nach Treffen mit Freunden und Verwandten und nach einer maximal zweistündigen Trainingsausfahrt durch die größte Vulkanlandschaft Europas sind die Fahrer froh, ab heute wieder den gewohnten Tagesablauf und Rhythmus auf ihren Rennmaschinen vorzufinden.
Noch 180 Rennfahrer (18 sind ausgeschieden) nehmen um 13.40 Uhr die relativ kurze 10.Etappe von Aurillac nach Carmaux über 158 Kilometer in Angriff. Die Strecke verläuft immer in südlicher Richtung von der Region Cantal durch die Cevennen ins Departement Tarn.
Nach zwei anforderungsreichen Etappen am Wochenende im Zentralmassiv, mit insgesamt elf Bergen und Anstiegen der zweiten, dritten und vierten Kategorie folgen heute und morgen zwei Tage mit welligem Streckenprofil und ohne große Schwierigkeiten.
Die Klassementfahrer haben dabei die letzte Gelegenheit sich im Feld zu verstecken, bevor sich dann ab Donnerstag am französischen Nationalfeiertag, dem 14.Juli, die Pyrenäen auftürmen und die Bergspezialisten an den Bergankünften in Luz-Ardiden und auf dem Plateau de Beille um die Vorherrschaft in der Gesamtwertung kämpfen werden.
Für viele Fahrer ist eine Etappe nach dem Ruhetag immer mit Anfangsschwierigkeiten verbunden, bis man den Rennrhythmus wieder gefunden hat. Einige wenige Profis haben es sogar dem legendären Fausto Coppi nachgemacht, der am Ruhetag nur im Bett liegen blieb und sich von den Händen seines blinden Masseurs und persönlichen Betreuers Biagio „Cieco“ Cavanna massieren und pflegen ließ.
Cavanna beruhigte Fausto Coppi immer mit den Sätzen: „Meine Hände können besser sehen als die Augen und meine Ohren hören Geräusche, die einem normalen Menschen verborgen bleiben.“
Es geht durch die Departements Cantal, Lot, Aveyron, und Tarn. Unterwegs werden vier Anstiege der 3. und 4. Kategorie ohne Schwierigkeiten und großen Kraftaufwand bewältigt.
Heute kommt es zum Duell zwischen Ausreißern und Sprintern, die von einem prestigeträchtigen Etappensieg träumen können, der mit 8.000 Euro belohnt wird.
Vielleicht erinnert sich Jens Voigt (Leopard-Trek) an seine Qualitäten. Der Berliner machte sich mit vielen Alleingängen und erfolgreichen Vorausfahrten einen Namen, obwohl er sich wie bisher auch in die Pyrenäen voll in den Dienst seiner beiden Kapitäne Andy und Frank Schleck stellen wird.
Voigt hat schon zwei Tour-Etappen gewonnen, trug das Gelbe Trikot und bestreitet diesmal seine 14.Tour de France. Damit schließt er zu Erik Zabel auf, der genauso oft die schwerste und härteste Rundfahrt der Welt bestritt. Alleiniger Rekordmann ist immer noch der Niederländer Joop Zoetemelk mit 16 Tourteilnahmen. Dabei gewann Zoetemelk die Tour 1980 und schied nie vorzeitig aus.
Los geht es in Aurillac, der größten Stadt der Region Cantal, wo die Tour schon sieben Mal Station machte. Berühmte Namen trugen sich in die Siegerliste ein. Henri Anglade, Rik van Looy, Franco Bitossi, Henk Lubberding, Eduardo Chozas und zuletzt 2008 Luis-Leon Sanchez aus Spanien, als er die Konkurrenz auf der rasenden Talfahrt distanzierte und sich seinen ersten Tour-Etappensieg holte. Vorgestern brachte Sanchez das Kunststück fertig, erneut in dieser Region als Etappensieger zu glänzen.
Aurillac ist übrigens die Partnerstadt von Bocholt, der Heimatstadt von Jutta Niehaus, die bei den Olympischen Sommerspielen 1988 in Seoul in Südkorea, im Straßenrennen hinter der Französin Jeannie Longo die Silbermedaille gewann.
Die Fahrer können sich auf schönes Wetter freuen, denn Aurillac ist mit 2000 Sonnenstunden im Jahr ganz vorne in der Rangliste französischer Städte. Die interessante und abwechslungsreiche Etappe wird heute von großer Hitze (über 30 Grad) begleitet und dadurch erschwert.
Das Ziel Carmaux liegt im Süden Frankreichs 80 Kilometer nordöstlich von Toulouse, im Departement Tarn in der Region Midi-Pyrénées. Die Kohleindustrie, die die hiesige Wirtschaft bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte, verlor nach 1960 stetig an Bedeutung. Bis dahin hatte der Kohleabbau einen an der Oberfläche 1200 Meter durchmessenden, 220 Meterr tiefen Trichter in die Erde gegraben.
Die größte Attraktion ist wohl das Cap’ Découverte südlich von Carmaux: Der ehemalige Steinkohleabbau namens La Grande Découverte (auf deutsch – die große Auf- oder Entdeckung) wurde nach seiner Schließung 1997 in einen großen Sport-, Freizeit- und Geschichtspark umgewandelt, der den Namen Cap’Découverte trägt und am 25.Juni 2003 eröffnet wurde.
Und genau da wurde drei Wochen später Tour-Geschichte geschrieben, an die sich die Radsportfans in Deutschland noch sehr gerne erinnern werden. An diesem glühend heißen 18.Juli 2003 erlebten wir einen der größten Tage in der Karriere des Jan Ullrich. Beim 47 Kilometer langen Einzelzeitfahren von Gaillac nach Cap’ Découverte besiegte der Deutsche im celestefarbenen Bianchi-Trikot seinen großen Widersacher Lance Armstrong mit einer Minute und 36 Sekunden Vorsprung und brachte dem Texaner eine der empfindlichsten Niederlagen seiner Laufbahn bei. Armstrong hatte damals zu wenig getrunken, war komplett dehydriert und stark angeschlagen.
Doch am Ende der Tour in Paris holte sich Lance Armstrong seinen fünften Tour de France-Sieg nacheinander vor Jan Ullrich und Alexander Winokurow.
Der Kasache ist inzwischen nach seinem Sturz in Paris schon operiert worden, ein komplizierter Bruch des Kopfes des rechten Hüftknochens bedeutet zunächst eine längere Rennpause. Aber Winokourov (Astana) wird im nächsten Jahr möglicherweise noch einmal zur Tour zurückkommen.
Der Niederländer Johnny Hoogerland (Vacansoleil-DCM) war froh, nach dem Sturz in einen Stacheldrahtzaun noch am Leben zu sein, und verteidigt heute sein Bergtrikot. Sein Landsmann Robert Gesink (Rabobank) ist weiterhin bester Nachwuchsfahrer im Weißen Trikot. Philippe Gilbert aus Belgien will mit einer vorderen Platzierung das Grüne Trikot behalten.
Die beiden Deutschen Tony Martin (HTC-Highroad) auf Platz sechs und Andreas Klöden (RadioShack) auf dem achten Rang werden ihre Positionen unter den besten Zehn in der Gesamtwertung behaupten können.
Obwohl französische Rennfahrer bis jetzt noch keinen Etappensieg erringen konnten, werden die Fans an der Strecke begeistert sein, denn mit dem Elsässer Thomas Voeckler (Europcar) fährt ein Landsmann im Gelben Trikot und hat sich wie schon 2004 mit seinem offensiven Fahrstil in die Herzen der Franzosen gefahren. Siege mögen in Vergessenheit geraten, das berühmte Maillot Jaune aber bleibt.
Man kann die Spurtankunft einer großen Gruppe in Carmaux erwarten, denn die Sprinterteams müssen diese seltene Gelegenheit einer Flachetappe nutzen. Nur noch in Montpellier und am Ende in Paris ergibt sich die Chance, die Sprintqualitäten unter Beweis zu stellen.
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