Teo Tigers Tour-Tagebuch - 15. Juli - 14. Etappe: Limoux - Foix

Nägel? Sonst nix?

Von Teo Tiger

Foto zu dem Text "Nägel? Sonst nix?"
Der kleine Tiger auf dem Weg nach - ja wohin denn nun? | Illustration: Janosch film & medien AG

17.07.2012  |  (rsn/tt) – Fast wie in alten Zeiten, ging es dem Tiger am Sonntag durch den Kopf, als auf der Abfahrt von der „Mur de Péguère“ Teppichnägel und Reißzwecken auf die Straße lagen, und über 30 Fahrer Platten erlitten – Cadel Evans allein dreimal. Allerorten war danach zu lesen, ähnliches sei bereits im Jahr 1904 passiert. Und insofern gewissermaßen Tradition, schlußfolgerte der Tiger. Oder Folklore. Oder was auch immer…

Der Tiger weiß aus seinem umfangreichen Tour-Archiv: Mit Nägeln wurden die Straßen der Tour de France nicht nur 1904 verziert. Das war lange Zeit Usus, um das Klassement einfach und wirkungsvoll zu korrigieren. Denn bis Ende der 40er Jahre durften die Fahrer auf den Etappen Pannen nur eigenhändig beheben, ohne fremde Hilfe. Einfach das (Lauf-) Rad zu wechseln, wie heute üblich, wurde von gnadenlosen Renn-Kommissären mit vielen Strafminuten geahndet. Auch wenn die Panne auf Sabotage zurückzuführen war.

Zudem war es sogar zu den sogenannten Goldenen Zeiten der Tour eher unüblich, so fair wie Bradley Wiggins auf Pannen-Fahrer zu warten. Höchstens wenn eigene Ambitionen nicht betroffen waren, und man so das Ansehen im Peloton und bei den Zuschauern billig heben konnte. Aber auch heute ist das ja nicht immer anders. Findet der Tiger.

Wann gab's also noch Nägel auf der Tour? Eine große Recherche für den kleinen Tiger. Oder umgekehrt? Wie auch immer. Einen besonders krassen Fall fand der Rad-Reporter mit dem gestreiften Trikot schon 1905, gleich im Jahr nach der ersten Nagel-Attacke. Die hatte sich als einfach und effektiv gezeigt, und fand schnell Nachahmer.

Meaux, 1905: 270 Kilo Schusternägel - und fast das Ende der Tour
Bereits auf der ersten Etappe nach Nancy hatten unbekannte Schurken im Pariser Vorort Meaux kurz hinter dem Führenden J-B Dortignacq nicht weniger als 120 Kilo Schusternägel auf die Straße gekippt. 120 Kilo! Woher die Burschen damals wohl das Geld dafür hatten, fragt sich da der Tiger.

Die akustischen Folgen der Streuung, als das Peloton ankam, haben Journalisten vor Ort mit einem Feuerwerk verglichen – das für die Fahrer allerdings wenig erfreulich war, und zeitraubende Schlauch- und Reifenwechsel nach sich zog. Wobei damals nicht selten mit den Zähnen nachgeholfen wurde, wenn der Mantel nicht von der Felge wollte. So hätte es der Tiger auch gemacht. Ob das die Reifen allerdings überlebt hätten, bei seinen Fangzähnen?

Zurück nach Meaux: Kaum hatte sich gut 20 km nach den Reparaturen wieder eine Ausreißer-Gruppe gebildet, flogen den sieben tapferen Pedaleuren diesmal gut 150 Kilo Nägel vor die Räder. Tour-Gründer Henri Desgrange war außer sich, und wollte gleich das ganze Rennen abbrechen: Er vermutete andere Fahrer als Anstifter der Attacken. Erst als die drei Führenden praktisch auf Knien vor ihm rutschten, erklärte sich Desgrange schließlich bereit, die zweite Etappe zu starten.

Der erste Streik der Tour-Geschichte
Die Retour-Kutsche der Fahrer ließ nicht lange auf sich warten: Nach dem Ruhetag hatten etliche Pedaleure keine Lust mehr auf weitere Nagel-Attacken, und organisierten den ersten Streik in der Tour-Geschichte. Nun musste Desgrange die Fahrer beknien…

Aber nicht nur Nägel wurden auf der Tour gestreut. Manche Konkurrenten hatten echt teuflische Ideen, wie der Tiger herausgefunden hat. So kam sogar Juckpulver in den Trikots der Helden der Landstraße zur Verwendung. Damit wurde etwa der beliebte Fahrer Dortignacq 1904 auf mehreren Etappen fast in den Wahnsinn getrieben: In den Anfangsjahren durfte noch nicht mal das Trikot gewechselt werden – und die Etappen waren bis zu 450 Kilometer lang, die Athleten bis zu 19 Stunden unterwegs. Mit Juckpulver im Woll-Trikot – unvorstellbar, findet der Tiger. Der sich ja noch recht gut mit der Hinterpfote am Rücken kratzen kann. Aber auf dem Rad?

Sägen, ritzen, zerschlagen: Sabotage auf der Tour
Weitere Beispiele für Sabotage während der Tour gefällig? Da sind dem Tiger fast die Streifen abgefallen, was bis in die 40er Jahre alles immer wieder vorkam: Da wurden Gabel und Rahmen angesägt, Bremsseile geritzt, Lampen zerstört (die meisten Etappen starteten bis in die 30er um drei oder vier Uhr nachts), Abführmittel in die Verpflegung und den Bidon gemischt.

Oder man stiftete im Klassement weit zurückliegende Fahrer mit ein wenig Handgeld an, die Spitze des Feldes an einer Abzweigung doch mal ein paar Kilometer in die Irre zu führen. Wer sich für solche Späßchen aus den frühen Jahren der Tour erwärmen kann, dem sei der großartige Roman "Giganten der Landstraße" von André Reuze ans Herz gelegt - leider/ unverständlicherweise nur noch antiquarisch erhältlich (soweit der Tiger weiß). 

Auch beliebt bei der "Tour-isten" der frühen Jahre: Die Etappen einfach abkürzen, mit Hilfe einer guten Karte. Oder mit Hilfe der Bahn. So geschehen bei der „Skandal-Tour“ 1904, als die ersten Vier nachträglich disqualifiziert wurden, weil sie mehrmals Zug gefahren waren. Ein radsportbegeisterter Schaffner hat sie damals enttarnt; allerdings dauerte es vier Monate, bis sie dann auch formell verurteilt waren. Viel schneller als UCI und CAS heute waren die Verantwortlichen damals also auch nicht, dachte sich der Tiger.

Das war's für heute. Vielen Dank, dass Sie bis hierher mitgeschummelt haben. Und klicken Sie auch übermorgen wieder rein, wenn Teo Tiger sich so seine Gedanken macht. Dann garantiert Skandal-frei. Versprochen.

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