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16.10.2016 | (rsn) – Bereits nach gut 80 Kilometern war in Katar der Traum der deutschen Profis vom ersten WM-Gold seit 50 Jahren jäh beendet. Bei einer von den Belgiern in der Wüste initiierten Windkantenattacke am nördlichen Wendepunkt des 257,3 Kilometer langen WM-Straßenrennens von Doha verloren bis auf John Degenkolb alle deutschen Starter den Anschluss an die vorentscheidende, knapp 30 Mann starke Gruppe, die schließlich den Sieg unter sich ausmachte. Der Oberurseler war der große Pechvogel des Tages, als er kurz darauf mit einem Hinterraddefekt zurückfiel und in der Folge gemeinsam mit André Greipel und Marcel Kittel stundenlang vergeblich versuchte, wieder den Anschluss zu schaffen.
Stattdessen kam die Ausreißergruppe mit den meisten Favoriten durch und in einer knappen Entscheidung holte sich Titelverteidiger Peter Sagan sein zweites Regenbogentrikot in Folge. "Ich bin immer noch geschockt, denn ich kann es noch gar nicht glauben. Ich bin sehr glücklich denn es gab Seitenwind und da war ich einer der letzten, die es noch in die erste Gruppe schafften“, freute sich Sagan, der als erster Fahrer seit Paolo Bettini 2006/07 zweimal in Folge Gold in einem WM-Straßenrennen gewinnen konnte.
Der 26-jährige Slowake gab im Sprint von letztlich nur noch rund einem Dutzend Fahrern zwei anderen ehemaligen Weltmeister das Nachsehen: Mark Cavendish verpasste dabei knapp seinen zweiten WM-Triumph nach Kopenhagen 2011 und nahm später sichtlich geknickt die Silbermedaille in Empfang. "Ich bin einfach nur enttäuscht. Ich habe es taktisch vermasselt. Ich wollte an Sagans Rad, weil ich wusste, dass er sich an die Norweger hängen würde. Gerade als mein Anfahrer Adam Blythe an meiner Seite war, riss es die Gruppe förmlich auseinander und ich hatte keinen Platz mehr“, sagte der Silbermedaillengewinner von Doha, der sich offenbar als erster Verlierer empfand.
Dagegen schien sich Tom Boonen, Weltmeister von 20115, einen Tag nach seinem 36. Geburtstag beim letzten WM-Rennen seiner Karriere über Bronze freuen zu können. Doch der Eindruck täuschte. "Die Bronzemedaille zählt nicht. Ich bin zwar froh, dass ich Dritter geworden bin und auf das Podium darf, aber normalerweise gewinne ich so einen Sprint“, haderte der Altmeister mit dem Ausgang des Rennens.
Verdient war das Edelmetall allemal, denn das belgische Team hatte nicht nur für die entscheidende Teilung des Feldes gesorgt, sondern auf den danach folgenden fast 180 Kilometern bei erneut großer Hitze mit nicht weniger als sechs Fahrern den Löwenanteil der Führungsarbeit übernommen, nur phasenweise von der vierköpfigen italienischen Fraktion abgelöst.
Die Squadra Azzura ging am Ende trotz einer taktisch cleveren Leistung aber leer aus. Giacomo Nizzolo war als Fünfter bester Fahrer seines Teams. Rang vier belegte der Australier Michael Matthews, der im vergangenen Jahr in Richmond noch WM-Zweiter geworden war.
Als einziger der sechs deutschen Starter kam der 34-jährige Greipel ins Ziel, und zwar auf Position 42, fast fünfeinhalb Minuten nach dem alten und neuen Weltmeister. Marcel Kittel und Degenkolb brachen dagegen drei Runden vor Schluss die aussichtslose Verfolgungsjagd auf und stiegen völlig ausgepowert von ihren Rädern.
"Viel bleibt von dieser WM nicht hängen. Man kann vieles besser machen. Wir haben heute aber Charakter und Mannschaftsgeist gezeigt. Mit John und Marcel hatte ich zwei Fahrer an meiner Seite, die versucht haben, das Loch zu schließen. Sie haben es bis auf anderthalb Minuten geschafft, aber leider hat uns keine andere Nation geholfen“, kommentierte Greipel in einem ersten Kommentar das für die Deutschen desaströs verlaufene Rennen.
Tatsächlich schien rund 75 Kilometer vor dem Ziel noch einmal Spannung aufzukommen, als die Verfolgergruppe den Rückstand auf deutlich unter zwei Minuten reduzieren konnte. Aber dann zogen die Belgier an der Spitze wieder das Tempo an und da die drei Deutschen praktisch auf sich allein gestellt waren, betrug der Abstand schnell wieder deutlich mehr als zwei Minuten. Danach resignierten die Verfolger.
Entscheidend war aber die Attacke der Belgier am Wendepunkt des Rennens nördlich von Doha. Beim Richtungswechsel wurde aus dem Gegen- plötzlich Seitenwind und dann Rücken-Seitenwind. Unterstützt von Briten, Italienern und Norwegern forcierten Boonens Helfer das Tempo und sorgten für die Spaltung des Feldes in mehrere Teile. Zunächst bewegte sich der Abstand zwischen den ersten beiden Feldern längere Zeit um die Minutengrenze, wobei aber schnell deutlich wurde, dass die Gruppe um Sagan, Cavendish und Boonen weitaus besser harmonierte.
Schnell wurden die sieben Ausreißer Brayan Steven Ramirez (Kolumbien), Nick Dougall (Südafrika), Natnael Berhane (Eritrea), Ryan Roth (Kanada), Anass Ait el Abdia (Marokko), Sergeiy Lagkuti (Ukraine) und Rene Corella (Mexiko) gestellt, die schon wenige Kilometer nach dem Start davongezogen waren und sich auf der insgesamt 130 Kilometer langen Schleife durch die Wüste einen Vorsprung von bis zu 11:30 Minuten herausgefahren hatten.
Als die neue Spitzengruppe nach Doha hineinkam, wo auf der künstlichen Insel „The Pearl“ noch sieben Runden à 15,2 Kilometer zu bewältigen waren, schien für die Deutschen angesichts eines Rückstands von unverändert rund einer Minute noch nichts verloren. Doch da in der Verfolgergruppe weiterhin keine Einigkeit herrschte und mit Jens Debusschere und Iljo Keisse zudem zwei Belgier immer wieder den Rhythmus störten – was der sichtlich verärgerte Degenkolb damit quittierte, indem er Debusschere aus seiner Trinkflasche bespritzte -, wuchs der Rückstand auf den folgenden Runden sogar noch an.
Eingangs der letzten beiden Runden betrug er dank der unermüdlichen Tempoarbeit der Belgier bereits 3:30 Minuten. Zu diesem Zeitpunkt war aus deutscher Sicht nur noch Greipel im Rennen, wogegen die ursprünglich als Helfer vorgesehenen Tony Martin, Nils Politt und Jasha Sütterlin ihren Aufgaben überhaupt nicht nachkommen konnten und allesamt schon früher ausgestiegen waren.
In der Spitzengruppe kam es erst auf den letzten Kilometern zu einigen Attacken: Zunächst griffen fünf Kilometer vor dem Ziel der Niederländer Niki Terpstra und Olympiasieger Greg Van Avermaet an, doch vereitelten die Norweger diesen Versuch. Dann trat Terpstras Landsmann Tom Leezer auf den letzten gut zwei Kilometern an und brachte schnell einen deutlich Abstand zwischen sich und die Verfolger, die ihn aber auf der Zielgeraden noch stellten.
Im alles entscheidenden Sprint dieser WM wählte Sagan den Weg ganz rechts nah an der Streckenbegrenzung, wogegen Cavendish an der äußeren linken Seite antrat, dabei aber wohl einen Tritt auslassen musste, weil ihm Matthews in die Quere kam. Der Titelverteidiger dagegen hatte freie Bahn und krönte souverän die bisher erfolgreichste Saison seiner Karriere, in der bereits er unter anderem Gewinner der Flandern-Rundfahrt, viermaliger Tour-Etappensieger und Europameister geworden war.
"Es gab Gegenwind, deshalb war mir klar, dass ich von weiter hinten würde kommen müssen. Ich hatte dabei Glück, weil Nizzolo mir nicht die Tür zugemacht hat, denn dann wären wir sicherlich gestürzt, weil ich nicht gebremst hätte. Ich bin total glücklich, das ist unbeschreiblich“, strahlte Sagan am Ende eines fabelhaften Radsportjahrs.
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