--> -->
17.10.2016 | (rsn) – John Degenkolb ist bereits im Besitz von zwei WM-Medaillen. In seinem ersten U23-Jahr gewann der Oberurseler 2008 in Florenz die Bronzemedaille, zwei Jahre später musste er sich im australischen Geelong in seinem letzten U23-Einsatz im WM-Straßenrennen nur Michael Matthews geschlagen geben und kehrte mit Silber im Gepäck nach Hause.
Bei den danach folgenden fünf Teilnahmen an WM-Straßenrennen der Profis ging Degenkolb allerdings leer aus. In Valkenburg 2012 (4.) fehlte nicht viel zur Bronzemedaille, und auch in Ponferrada 2014 gelang ihm mit Rang neun ein Spitzenergebnis. In keinem seiner bisherigen WM-Einsätze hatte der mittlerweile 27-Jährige allerdings so viel Pech wie im gestrigen Straßenrennen in Doha.
Als nach 80 Kilometern am Wendepunkt des Rennens in der Wüste die Post abging, war Degenkolb als einziger der sechs deutschen Starter in der Gruppe um den späteren Weltmeister Peter Sagan dabei. Doch lange konnte er sich darüber nicht freuen, denn aufgrund eines Defekts am Hinterrad fiel der deutsche Co-Kapitän wieder zurück. Große Sorgen machte sich Degenkolb zu diesem frühen Zeitpunkt des Rennens aber noch nicht.
"Ich war dann glücklich, noch in der zweiten Gruppe gelandet zu sein. Auf der Kante landet man dann schnell zwei, drei Gruppen weiter hinten. Ich war daher noch guter Dinge und habe gehofft, dass wir noch nach vorne kommen und ins Renngeschehen eingreifen können“, begründete er im Interview seinen Optimismus, der in den folgenden Stunden dann allerdings zunehmend dem Frust wich.
Denn in der Verfolgergruppe gab es außer den Deutschen – Degenkolb, André Greipel und Marcel Kittel – kein anderes Team, das unbedingt wieder den Zusammenschluss herbeiführen wollte. Dazu kamen die beiden Belgier Jens Debusschere und Iljo Keisse, die auf alle Tempoverschärfungen von Kittel und Degenkolb reagierten und auch den Rhythmus der Gruppe immer wieder störten, wodurch sich der sichtlich verärgerte Degenkolb zu einer Unsportlichkeit hinreißen ließ und Debusschere aus seiner Trinkflasche einen Strahl Wasser ins Gesicht spritzte.
"Die Jungs haben versucht uns zu stören und im Weg rumzufahren. Ich bin der Meinung, man sollte sich gegenseitig Respekt zeigen. Wenn wir dann fahren, muss es einfach nicht sein, dass die Jungs uns im Weg rumstehen. Das würden wir auch nicht machen und deshalb fand ich das etwas respektlos“ erklärte Degenkolb einem belgischen Reporter und fügte sarkastisch an: „Aber was kann ich machen? Wenn ich ihn vom Rad schlage, kriege ich eine Strafe."
Am Sonntag zeigte sich allerdings auch, dass Degenkolb, Greipel und Kittel mit der Entscheidung, gleich drei potenziellen Medaillenkandidaten ins Rennen zu schicken, professionell umzugehen wussten. Auf dem Rundkurs von "The Pearl“ rieben sich die Thüringer Degenkolb und Kittel regelrecht für den nominellen Kapitän Greipel auf, ehe beide drei Runden vor Schluss entkräftet vom Rad stiegen. „Wir haben alles versucht - mehr konnten wir nicht machen“, befand Degenkolb und bezog das auch auf sich selbst: "Ich bin ausgestiegen, aber habe bis dahin alles in die Waagschale geworfen und meine Aufgabe erfüllt."
Der zwischenzeitliche Ärger war wohl auch deshalb so groß, weil Degenkolb sich am letzten Tag der WM gut gefühlt und den "richtigen Instinkt“ hatte. "Ich war mit dabei, aber ein Defekt entscheidet dann darüber, ob man die Chance hat oder nicht. Ich weiß natürlich nicht, wie es ausgegangen wäre, wenn ich weiter dabei gewesen wäre“, sagte er und stellte lapidar fest: "Vielleicht ist es einfach eine Scheiß-Saison dieses Jahr, mit viel Pech. Aber ich bin noch am Leben und das ist das Wichtigste."
Damit spielte er auf den schlimmen Unfall vom Januar an, als eine Britin mit ihrem Auto in Degenkolbs Trainingsgruppe hineingefahren war. Nach mehreren Operationen und einer monatelangen Verletzungspause hatte er sich wieder ins Peloton zurückgekämpft und im Herbst seine Top-Form wiedergefunden.
Ehe am Saisonende noch Platten und Schrauben aus seinem verletzten Finger entfernt werden, muss Degenkolb allerdings noch einen Einsatz absolvieren: Ab Donnerstag startet er mit seinem Giant-Alpecin-Team bei der viertägigen Abu Dhabi-Tour. Dort hat er noch die Möglichkeit, sich mit einem Sieg in die Winterpause zu verabschieden.
John Degenkolb im Video-Interview: