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12.12.2022 | (rsn) – Es war eine der beeindruckendsten Triumphfahrten der gesamten Saison 2022: Als Bob Jungels (AG2R Citroën) am 10. Juli durch die Schweiz rauschte und in Chatel am Rande des Skigebiets Les Portes du Soleil die 9. Etappe der Tour de France gewann, kehrte eines der größten Talente des Radsports nach drei schweren Jahren endlich wieder ins Rampenlicht zurück. Den Fans wurde an jenem Tag klar, was Jungels schon einige Wochen länger bewusst war: Er hatte die Probleme, die ihn seit 2019 regelrecht lahmgelegt hatten, endgültig überwunden.
___STEADY_PAYWALL___"Auf dem Papier ist Lüttich (sein Sieg bei Lüttich-Bastogne-Lüttich 2018, d. Red.) immer noch der größte Erfolg. Aber vom persönlichen Stellenwert her, war dieser Tour-Etappensieg das Größte in meiner Karriere", betonte Jungels im Gespräch mit radsport-news.com rückblickend.
"Wenn ich jetzt zurückdenke wird klar, wie überwältigend das Ganze war und wie wenig ich in dem Moment realisiert habe. Mit ein bisschen Abstand jetzt merkt man aber, was man geleistet hat. Das ist schon mit sehr vielen Emotionen verbunden. Die Zeit davor war so schwer, dass ich selbst eigentlich nicht mehr daran geglaubt habe. Aber ich habe eine zweite Chance bekommen und das war das erste Mal, dass ich wieder in Erscheinung treten konnte", fügte der 30-Jährige an.
Bei den Frühjahrsklassikern – so wie hier beim Flèche Wallonne – lief es für Bob Jungels (AG2R Citroën) noch nicht so ganz so rund wie erhofft. | Foto: Cor Vos
"Dazu kommt: Eine Tour-Etappe zu gewinnen, auf die Art und Weise, wie es da passiert ist, das kann nicht jeder und das passiert nicht jedem. Deshalb hat das schon einen ganz besonderen Stellenwert."
Zu Beginn seiner WorldTour-Karriere galt Jungels als großes Talent. 2016 und 2017 gewann er jeweils die Nachwuchswertung beim Giro d'Italia und wurde Sechster beziehungsweise Achter in der Gesamtwertung. 2018 dann folgte der Triumph bei Lüttich-Bastogne-Lüttich, danach wurde er Elfter der Tour.
Drei Jahre Leiden aufgrund einer Endofibrose
Doch dann geriet Jungels ab Ende des Jahres ins Straucheln. Er konnte nicht mehr die gewohnte Power aufbringen und erholte sich schlechter. Ein langer Leidensweg begann, bis man im Jahr 2021 – nach seinem Wechsel von Quick-Step zu AG2R Citroën – den Grund fand: Eine Endofibrose – Verengung einer Arterie im Becken – verschlechterte die Blutzirkulation in Jungels Bein. Im Juni 2021 wurde er operiert – und endlich von seinem Problem befreit.
"Darum bin ich 2022 mit viel Motivation und Optimismus angegangen. Bei den Klassikern lief es leider nicht immer ganz so, wie gewünscht. Es hat noch etwas Power gefehlt und so weiter. Zur Tour de Suisse und Tour de France kam das aber rechtzeitig zurück und ich habe mein Niveau wiedergefunden", so Jungels im Rückblick erleichtert.
Im Frühsommer zeigte die Formkurve aber schon deutlich nach oben. Die Tour de Suisse beendete Jungels – hier im abschließenden Zeitfahren – auf dem sechsten Gesamtrang. | Foto: Cor Vos
Rund ein Jahr dauerte es also nach der Operation noch, bis er sich wieder voll hergestellt sah. "Die Endofibrose war mehrere Jahre da und der Körper hat sich auch daran gewöhnt, nicht mehr in die ganz hohen Leistungsbereiche zu gehen. Das habe ich in den ersten Monaten 2022 auch noch gespürt. Die Regeneration war da nicht mehr so wie 2017 oder 2018, wo das noch eine Stärke von mir war. Die Power kam dann schon, aber über die Renndistanz habe ich es nicht geschafft, dann zum Schluss nochmal mit reinzuhalten", erklärte er die ordentlichen, aber längst nicht idealen ersten Monate 2022.
Start in 2022 zunächst noch ernüchternd
Jungels wurde da 31. der UAE Tour und 23. bei Tirreno Adriatico, konnte bei den Klassikern wie Mailand-Sanremo, Flandern-Rundfahrt, Fleche Wallonne oder Lüttich-Bastogne-Lüttich am Ende aber nicht mehr eingreifen. Die Tour de Romandie beschloss er auf Rang 61 und ging in eine kurze Saisonpause.
"Ich war da sehr müde und habe eine Woche pausiert. Aber als ich danach wieder aufs Rad gestiegen bin, habe ich gemerkt, dass es klick gemacht hat. Da wurden dann auch die Wattwerte wieder so gut wie früher. Ich bin ins Höhentrainingslager gegangen und hatte keine Probleme mehr, am Berg mit Ben O'Connor mitzufahren", erinnerte sich Jungels an den Mai, der zur Trendwende für ihn wurde. Was folgte war eine starke Tour de Suisse und schließlich nach dem Gewinn des Titels als Luxemburgischer Straßenmeister eben die Tour de France.
"Die Tour de Suisse war mein erstes echtes Highlight wieder. Fünfter im Zeitfahren und Sechster Gesamt, das passiert auch nicht alle Tage", so Jungels stolz über seine Rückkehr in die Spitzenränge der WorldTour-Ergebnislisten. Wer dort in der Schweiz genau hingesehen hatte, der durfte von seinem Auftritt bei der Frankreich-Rundfahrt nicht überrascht sein. Doch angesichts der vergangenen drei Jahre rechneten wohl die Wenigsten mit dem Coup, der Jungels dann am 10. Juli gelang.
Auf der 9. Etappe der Tour de France schlug die große Stunde des Luxemburgers: Jungels auf dem Weg zum Sieg in Châtel les portes du Soleil. | Foto: Cor Vos
Am Col de la Croix attackierte der Luxemburger aus der Spitzengruppe heraus und nur Simon Geschke (Cofidis) war über den Gipfel hinweg noch an seiner Seite. Hoffnungsvoll sah das Unternehmen der Beiden nicht unbedingt aus. Doch während der Deutsche den Vorstoß aufgab und sich in die Gruppe zurückfallen ließ, um auf dem 15 Kilometer langen Flachstück nach der Abfahrt hin zur Schlusssteigung Kraft zu sparen, zog Jungels durch und baute seinen Vorsprung auf die Verfolgergruppe in beeindruckender Manier weiter aus.
"Ich kann nicht behaupten, dass der Solo-Ritt so geplant war. Das war eher, um die Gruppe zu verkleinern. Als ich dann ganz alleine vorne raus war und auch Simon in der Abfahrt losgelassen hat, musste ich unten aber eine Entscheidung treffen: Entweder Vollgas oder ich warte auf die Anderen. Ich wusste, dass viele gute Bergfahrer in der Gruppe waren und ich am letzten Berg wahrscheinlich nicht der Stärkste bin. Also habe ich die Sache in beide Hände genommen und es probiert – und am Ende ging es haarscharf auf", schilderte er sein Solo zum Tour-Etappensieg.
Wechsel zu Bora – hansgrohe
Der Glaube an die Fähigkeiten des Bob Jungels ist seit diesem Tag an der schweizerisch-französischen Grenze auch in der restlichen Radsport-Welt wieder voll da und so bekam er nach der Tour auch ein Angebot von Bora – hansgrohe, das der Luxemburger annahm. Er unterschrieb für 2023 und 2024 beim deutschen WorldTeam, nachdem ihn Rolf Aldag von den Plänen und Strukturen in der Mannschaft überzeugt hatte.
"Ich schätze ihn schon lange sehr und er hat mir die Vision und die Aufstellung des Teams erklärt – und das stimmt mit meiner Vorstellung von meiner Zukunft überein", so Jungels über das Gespräch mit dem Sportdirektor von Bora - hansgrohe.
Diese Vorstellung beinhaltet, vor allem bei einwöchigen Rundfahrten wie Paris-Nizza und bei den großen Klassikern – inklusive der Flandern-Rundfahrt – auf Ergebnis zu fahren, wie Jungels radsport-news.com erklärte. Grand-Tour-Gesamtwertungen seien für ihn aber eher kein Thema mehr.
Im Ziel kannte der Jubel bei Jungels und seinen Teamkollegen keine Grenzen. Mit seinem ersten Tour-Etappensieg beendete er endgültig eine jahrelange Leidenszeit. | Foto: Cor Vos
"Ich weiß, dass ich das kann und mich auch gut erhole. Ich war ja auch dieses Jahr Elfter bei der Tour. Das ist schon in Ordnung. Ob es aber für die Top 5 reicht, wenn ich vollen Fokus drauf lege, wage ich zu bezweifeln", so Jungels realistisch.
Für alles andere aber sei er hochmotiviert und voller Vorfreude auf die kommenden Jahre. Mit dem Blick voraus hat Jungels auch die Saison 2022 bereits beendet. Nach der Tour nämlich bat er sein Team, ihn auch noch für die Vuelta a Espana aufzustellen. "Ich war kaputt nach der Tour und deshalb bei der Vuelta sicher nicht mehr in Form. Aber ich habe mir den Start dort gewünscht, um mit Blick auf 2023 zwei Grand Tours in den Beinen zu haben. Ich denke, das war sehr wichtig", erklärte er, dass die Ergebnisse in Spanien eher zweitrangig gewesen seien.
Entscheidend war dagegen, zu alter Stärke zurückgefunden und auch den Glauben an sich selbst wiedergewonnen zu haben – und das ist im Juni und Juli eindrucksvoll gelungen. "Es ist jetzt komplett ausgestanden", so Jungels über das alte Leiden mit der Endofibrose: "Ich spüre keine Nachwehen mehr."
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