Müllers Uruguay-Tagebuch

Ohne Profil und Streckenkarte wurde es eine Fahrt ins Blaue

Von Robert Müller

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Das gekennzeichnete Ersatz-Laufrad von Robert Müller | Foto: Robert Müller

02.04.2023  |  (rsn) - Hola de Durazno, Uruguay. Heute früh (Freitag, d. Red.) herrschte etwas Aufregung, weil alle unsere Ersatzlaufräder verschwunden waren. Sie sind deutlich beschriftet, also glaubten wir nicht, dass sie ein anderes Team versehentlich mitgenommen hatte und gingen davon aus, dass sie gestohlen worden waren.

Die Etappe sollte über 185 Kilometer führen und das war auch alles, was ich darüber wusste. Die Zwischensprints und Hügelwertungen (Berge gibt es ja nicht) interessieren mich nicht und die Rennbibel kann ich nicht lesen, da sie nur auf Spanisch ist. Höhenprofile wären sowieso überflüssig und Streckenkarten gibt es auch nicht. Es wurde also eine Fahrt ins Blaue.

Nach der Neutralisation wird immer nochmal angehalten, damit jeder pinkeln gehen kann und dann geht das Rennen los. Wie gestern setzte sich schnell eine Gruppe ab, da wird hier nicht lange gefackelt. Es waren etwa. 20 Fahrer und von uns war Reinier Honig mit dabei, wahrscheinlich der Fahrer mit dem besten Palmares im Feld. Er ist sieben Jahre in Pro-Continental-Teams gefahren und hatte Teamkollegen wie Stefano Garzelli, Luca Paolini oder Niki Terpstra. Außerdem war er noch acht Jahre bei Kontinental-Teams, darunter letzte Saison für das Team China Glory. Er war also der richtige Mann in der Gruppe.

Schnell merkte ich, dass es sich heute im Gegensatz zu gestern entspannt im Feld mitrollen ließ, denn wir hatten Rückenwind. Zwar war der Wind nicht so stark wie gestern, aber wir waren trotzdem schnell unterwegs. Nachdem ich einen einheimischen Fahrer gefunden hatte, der Englisch sprach, erkundigte ich mich, ob wir den Kurs nach Norden halten würden und er bestätigte es. Mir stand also ein relativ gemütlicher Tag im Feld bevor und nur kurzzeitig gab es mal etwas Schiebekante, als der Wind schräg von rechts hinten blies. Die Gruppe wurde bis auf dreieinhalb Minuten weggelassen und dort gehalten.

Den einzigen Stressmoment erlebte ich nach 125 Kilometern, als ich in einer Abfahrt irgendwas mit dem Vorderrad traf und mir einem Platten fuhr. Ich konnte es aussteuern und fuhr auf dem Platten weiter, bis ich an Position 19 der Kolonne angekommen war, wo unser Teamauto fuhr. Zum Glück waren unsere Ersatzlaufräder kurz vor dem Start doch wieder aufgetaucht, ein anderes Team hatte sie tatsächlich versehentlich eingepackt. So konnte ich also das Laufrad wechseln, was schnell genug ging, um nicht aus der Kolonne zu fallen. Nun trat ich meine Aufholjagd an und hangelte mich von Auto zu Auto.

Eigentlich von Auto zu Kleinbus zu Pik-Up Truck zu Kleinlaster, denn in der Kolonne waren alle möglichen Fahrzeuge vertreten. Ich wurde von Kommissären auf einem Motorrad überwacht, konnte also nicht zu lange im Windschatten der Fahrzeuge fahren und musste Lücken in der Kolonne aus eigener Kraft überbrücken. Trotzdem blieb ich ruhig und fuhr nicht zu hart, denn es ist besser, sich beim Zurückkommen mehr Zeit zu lassen, als es mit einem Kraftakt zu versuchen. Nach 15 Kilometern Verfolgung war ich wieder im Feld, gerade noch rechtzeitig, bevor wir ins schnelle Finale gingen.

Etwa 20 Kilometer vor dem Ziel betrug der Vorsprung der Gruppe noch über zwei Minuten und ich hoffte, dass sie es schaffen würden und Reinier die Etappe gewinnen würde. Doch leider wurde das Loch professionell zugefahren und nur einen Kilometer vor dem Ziel wurden sie gestellt. Im Massensprint verbesserte sich unser chilenischer Sprinter Nicolas vom achten Rang gestern auf den guten sechsten Platz heute. Ich rollte mitten im Feld ins Ziel und stellte fest, dass wir die 185  Kilometer in unter vier Stunden mit einem 48er-Streifen gefahren waren, das macht man auch nicht alle Tage.

Das Hotel war nur ein Katzensprung vom Ziel entfernt, jedoch mussten wir zum Mittagessen woanders hinfahren, aber es hat sich gelohnt. Gelohnt hat sich auch die Reise hierher jetzt schon, denn ich merke, dass ich wieder reinkomme und es mir Spaß macht. Dazu trägt auch das perfekte Rennwetter bei, denn es ist mit sonnigen 20-25 Grad sehr angenehm und man muss sich keine Gedanken über die richtige Kleidung machen, Trikot und Hose reichen. Morgen geht es nur über 144 Kilometer und falls wir wieder Rückenwind haben, könnte das in drei Stunden erledigt sein.

Morgen gleiche Stelle gleiche Welle.
Gez. Sportfreund Radbert

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