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10.04.2016 | (rsn) – In einem denkwürdigen Rennen voller Dramatik und Spannung hat mit Matthew Hayman (Orica-GreenEdge) ein großer Außenseiter die 114. Auflage von Paris-Roubaix für sich entschieden. Der 37 Jahre alte Australier ließ bei seiner 15. Teilnahme an der „Königin der Klassiker“ nach 257,5 Kilometern von Compiégne nach Roubaix im Sprint einer fünf Fahrer starken Ausreißergruppe Tom Boonen (Etixx-Quick-Step) und den Briten Ian Stannard (Sky) hinter sich und konnte im Ziel sein Glück kaum fassen.
“Ich kann es nicht glauben. Ich habe mir vor fünf Wochen meinen Arm gebrochen und danach alle Rennen verpasst“, sagte Hayman, der sich die Verletzung bei het Nieuwsblad zugezogen hatte und erst vergangene Woche in Spanien bei den Eintagesrennen GP Indurain und der Rioja-Rundfahrt wieder Rennkilometer sammelte. Der Sieg war umso bemerkenswerter, als Hayman in der Ausreißergruppe des Tages dabei war, die sich am fünften der 27 Kopfsteinpflaster-Passagen gebildet hatte.
“Das hier ist mein Lieblingsrennen. Ich habe immer davon geträumt, hier zu gewinnen“, so der Routinier, dessen bestes Roubaix-Ergebnis bisher ein achter Platz aus dem Jahr 2012 war. Während sich Hayman als zweiter Australier nach Stuart O’Grady über einen Triumph im Velodrome von Roubaix freuen konnte, wurde es für den 35-jährigen Boonen trotz einer herausragenden Leistung nichts mit dem fünften Sieg bei der „Königin der Klassiker“.
“Ich habe alles gegeben und kann heute stolz sein. Ich habe im Sprint keinen Fehler begangen, ich hatte nur Pech, dass Vanmarcke neben mich fuhr und ich so zunächst keinen Platz für den Sprint hatte“, bilanzierte Boonen, der noch nicht entscheiden hat, ob er seine Karriere fortsetzen wird.
“Ich bin natürlich glücklich auf dem Podium zu stehen. Aber es ist so nah und doch so weit entfernt“, sagte der 28-jährige Stannard, der ebenso wie sein Team Sky auf den ersten Sieg bei einem Radsport-Monument warten muss. „Es sind noch zwei Schritte, die ich gehen muss, vielleicht nächstes Jahr.“
Vierter wurde am Ende eine der spektakulärsten Austragungen der Niederländer Sep Vanmarcke (LottoNL-Jumbo) vor dem Norweger Edvald Boasson Hagen (Dimension Data). Von seiner besten Seite präsentierte sich auch Marcel Sieberg (Lotto Soudal), der als bester deutscher Profi hinter dem Australier Heinrich Haussler (IAM) Siebter wurde, gefolgt vom Letten Aleksejs Saramotins (IAM), dem Spanier Imanol Erviti (Movistar), der bereits Siebter der Flandern-Rundfahrt geworden war, und Adrien Petit (Direct Energie), dem besten Franzosen.
Dagegen zerplatzte Fabian Cancellaras Traum vom vierten Roubaix-Triumph rund 60 Kilometer vor dem Ziel, als der Schweizer auf einem der 27 Pavé-Sektoren stürzte und dabei auch fast Weltmeister Peter Sagan (Tinkoff) mit zu Boden riss. Cancellara konnte das Rennen zwar fortsetzen, kam aber schließlich mit großem Rückstand ins Ziel. Sagan wurde immerhin noch Elfter.
“Der Tag begann sehr gut, aber er endete nicht so, wie es hätte sein sollen“, sagte Cancellara. „Ich habe immer gesagt, dass man bei Roubaix auch Glück braucht und das hatte ich heute nicht.“ Das fehlte dem Berner selbst bei der Ehrenrunde, auf der er im Velodrome mit einer Schweizer Fahne in der Hand ein zweites Mal stürzte.
Erstmals in seiner Geschichte wurde das Rennen in voller Länge im Fernsehen live übertragen. Vielleicht auch im Wissen um die TV-Präsenz entbrannte vom Start weg unter zunächst noch bewölktem Himmel ein heftiger Kampf um die Gruppe des Tages.
Der Deutsche U23-Meister Nils Politt (Katusha) mischte in einer ersten, sechsköpfigen Ausreißer-Formation mit, die bei hohem Tempo von 50 Kilometern in der ersten Rennstunde allerdings ebenso wieder gestellt wurde wie eine spätere, in der gleich 24 Fahrer dabei waren, darunter auch Rick Zabel (BMC) und Christian Knees (Sky).
Auch ein mit Fahren der drei großen Teams Trek-Segafredo (Danny van Poppel), Katusha (Alexander Porsev) und Sky (Elia Viviani) besetztes Trio wurde nach einem aussichtsreich erscheinenden Versuch gut 30 Kilometer vor dem ersten der 27 Pavé-Sektoren wieder eingefangen. Bei Seitenwind wurde das Feld bei den diversen Verfolgungsjagden selbst in mehrere Gruppen zerteilt, die aber schnell wieder zueinander fanden.
Eine weitere, 16-köpfige Spitzengruppe wurde dann vor allem von Bora-Argon 18 und Etixx-Quick-Step gejagt, wo bei den Belgiern Roubaix-Debütant Tony Martin schon früh im Wind arbeiten musste. Obwohl sich der dreimalige Zeitfahrweltmeister mächtig ins Zeug legte, erreichten die Ausreißer knapp eine Minute vor dem Feld die erste Kopfsteinpflasterpassage in Troisville, deren Befahrung unter der Woche wegen Verschmutzung noch gefährdet schien.
Aus den 16 Ausreißern wurde nach einem Defekt bei Michael Morkov (Katusha) noch 15, während im Feld Team Sky in Person von zunächst Christian Knees die Verfolgung aufgenommen hatte.
Der Rheinbacher hatte seinen großen „Motor“ angeworfen, um die große Gruppe wieder zurückzuholen, in der unter anderem der Franzose Sylvain Chavanel (Direct Energie), Hayman und Erviti – zuletzt Siebter der Flandern-Rundfahrt – dabei waren. Tatsächlich blieb das Feld bei nach wie vor extrem hohem Tempo – 45,8 Kilometer in den ersten beiden Stunden – in Schlagdistanz zu den Ausreißern, auch wenn in der Folge dennoch ihren Vorsprung auf über drei Minuten ausbauen konnten. Nach einem Sturz im Sektor 21 teilte sich das Feld, wobei sich Sagan und Cancellara im hinteren Teil wiederfanden, wogegen Boonen und Vanmarcke mit jeweils mehreren Helfern in der vorderen Gruppe dabei waren.
Gut 100 Kilometer vor dem Ziel fuhr Martin mit Boonen im Schlepptau im Sektor von Haveluy auch die Verfolgergruppe auseinander. Luke Durbridge (Orica-GreenEdge), Ian Stannard (Sky), Edvald Boasson Hagen (Dimension Data) und Vanmarckes Helfer Robert Wagner, die sich nicht hatten abschütteln lassen, leisteten keine Führungsarbeit.
Den Wald von Arenberg erreichte die noch 13 Fahrer umfassende Spitzengruppe 1:30 Minuten vor der Martin/Boonen-Gruppe, eine weitere Minute dahinter folgten Cancellara und Sagan mit dem wieder größer werdenden Feld. Da beide als Folge des Sturzes zunächst keine Helfer mehr an ihrer Seite hatten, mussten die Kapitäne bereits 90 Kilometer vor dem Ziel in den Wind.
Dagegen füllte sich die erste Verfolgergruppe wieder um die von Martin zuvor abgehängten Fahrer auf, wodurch der dreimalige Zeitfahrweltmeister Unterstützung durch Vanmarckes Team erhielt, das mit gleich vier Mann in der Gruppe vertreten war – mit Martin, Wagner, Marcus Burghardt (BMC) und Marcel Sieberg (Lotto Soudal) waren ebenso viele deutsche Profis dabei.
Jasper Stuyven, Gewinner von Kuurne-Brüssel-Kuurne, sorgte im Feld für Tempo. Kurz darauf ließ sich auch Yaroslaw Popovych als weiterer Helfer aus der Spitzengruppe zurückfallen, um den Kapitän wieder an Boonen und Vanmarcke heranzuführen
Kurz nach dem Sektor 13 - Beuvry-la-Forêt - Orchies - schlossen die Verfolger gut 60 Kilometer vor dem Ziel zur Spitze auf, die somit rund 30 Fahrer stark war – allerdings ohne Tony Martin, der zurückgefallen war. 60 Kilometer vor dem Ziel im Sektor von Orchis traten Cancellara und Sagan in Aktion. Vorne spannte sich zeitweise Boonen an die Spitze der kleiner werdenden Spitzengruppe, ehe gleich vier Sky-Fahrer den von Cancellara und Sagan hingeworfenen Fehdehandschuh aufnahmen. Gianni Moscon, Salvator Pucchi, Rowe und Stannard formierten sich zu einer kleinen Zug und forcierten das Tempo.
Doch gerade, als es rund lief für Sky und der Vorsprung bei mittlerweile strahlendem Sonnenschein auf 40 Sekunden anwuchs, rutschte Moscon in einer Linkskurve auf einer schlammigen Stelle weg und riss Rowe mit sich. Und kurz darauf ging auch noch Pucchio zu Boden. Vom Chaos an der Spitze konnten die Verfolger allerdings kaum profitieren. Über viele Kilometer hin blieb der Abstand konstant über 30 Sekunden, um dann sprunghaft auf über eine Minute anzuwachsen.
Im Sektor 10, Mons-en-Pévèle (5 Sterne), überstürzten sich die Ereignisse: Vanmarcke attackierte von der Spitze weg, kurz darauf zerplatzten Cancellaras Träume von einem vierten Roubaix-Sieg auf dem Kopfsteinpflaster, als dem Berner das Vorderrad wegrutschte und er noch andere Fahrer, darunter auch Terpstra, den Sieger von 2014, auch zu Boden ging. Sagan konnte artistisch einen Sturz gerade so verhindern.
Cancellara fuhr zwar weiter, kam jedoch abgeschlagen mehr als sieben Minuten hinter Hayman ins Ziel. Sagan bemühte sich in der Folge zwar redlich, die Lücke wieder zu schließen, doch der Slowake erhielt dabei nur wenig Unterstützung und wurde schließlich mit 2:20 Minuten Rückstand Elfter.
Vanmarckes Attacke wurde aber neutralisiert, 35 Kilometer vor dem Ziel war die Spitzengruppe wieder auf zehn Fahrer angewachsen und umfasste neben dem Lotto-Kapitän noch Boonen, Rowe, Haussler, Sieberg, Saramotins, Hayman, Stannard, Boasson Hagen und Erviti. Die Ausreißer hielten zunächst einen Vorsprung von rund einer Minute, ehe der gestürzte Rowe sich für Stannard aufopferte und unmittelbar vor dem Sektor 5 die Gruppe sprengte: Haussler, Saramotins, Erviti, Sieberg und der Vorjahresachte fielen zurück, wogegen Vanmarcke, Boonen, Stannard, Hayman, Boasson Hagen auf den Sektor 4 zu jagten, wo Vanmarcke 17 Kilometer vor dem Ziel alles auf eine Karte setzte.
Im Le Carrefour de l’Arbre (2100 Meter lang und der letzte von drei Sektoren des höchsten Schwierigkeitsgrades) zog der Belgier erneut davon, riss eine Lücke von rund zehn Sekunden, die dann aber Boasson Hagen mit Boonen am Hinterrad zufuhr. Stannard musste kämpfen, fuhr aber zwölf Kilometer vor dem Ziel wieder heran, und auch Haymann, der zwischenzeitlich den Anschluss verloren hatte, kam wieder ran.
Und auch Vanmarckes dritter Antritt im vorletzten Sektor sieben Kilometer blieb vergeblich, ebenso wie Stannards Angriff kurz darauf, dem Attacken von Boasson, Hayman Vanmarcke, Boonen und erneut Stannard 3,5 Kilometer vor dem Ziel folgten. Ein letztes Mal versuchte es Boonen kurz darauf vergeblich, denn zunächst Hayman, dann Vanmarcke und - im Stadion von Roubaix -, auch noch Boasson Hagen und Stannard kamen wieder heran, so dass auf der altehrwürdigen Betonpiste der Sprint über den Sieg entscheiden musste.
Den eröffnete Stannard auf der Außenbahn, Boonen war dagegen auf der Innenbahn kurzzeitig eingeschlossen und kam schließlich nicht mehr an Hayman vorbei, der sich im gesetzten Radsportalter den größten Erfolg seiner Karriere einfuhr und im Ziel zunächst gar nicht glauben konnte, was ihm da gerade gelungen war.
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