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07.07.2011 | (Ra/ tt) - Vor hundert Jahren hat Tour-Gründer Henri Desgrange zum ersten Mal in seiner Sportzeitung „L'Auto“ den Begriff "Domestiken" für die unentbehrlichen Helferlein in den Mannschaften seiner Rad-Helden verwendet. Angeregt wurde er dazu (so hat es der Tiger in mühsamer Recherche rausgefunden - natürlich with a little help from his domestiques;-) von dem französischen Adligen Henri Pepin du Goutand, der sich 1907 entschloss, die vierte Auflage von Desgranges Tour de Force mitzufahren.
Um nicht ganz auf den gewohnten Lebensstandard verzichten zu müssen, engagierte der hohe Herr kurzerhand drei fleißige Mit-Radler, die ihm auf den Etappen Wasser, Champagner und andere Lebensnotwendigkeiten bringen sollten, ihn auch mal den Berg hochschieben sowie Pannen und andere Unannehmlichkeiten beseitigen mussten.
Immerhin fünf Tage und 1549 km hielt Pepin dank seiner Wasserträger durch, zuletzt auf der mit 398 km wahrhaft epischen Etappe von Roubaix nach Metz. Für die brauchte der Sieger Emile Georget über 11 Stunden; Pepin ließ sich mehr als 23 Stunden Zeit. Schließlich sind gute Restaurants und ein anständiges Hotel an der Strecke nicht so leicht zu finden...
Aber dann war's auch genug: Henri Pepin du Goutand bezahlte seinen Helfern jeweils die Summe aus, die sie als Tour-Sieger bekommen hätten, setzte sich in den Zug (natürlich 1. Klasse) und fuhr zurück in sein Schloss bei Bordeaux.
Das war also die Geburtsstunde der „Equipiers“, wie sie auf französisch heißen, auf deutsch "Domestiken", und auf flämisch weniger schön, aber anschaulich „Knechte“. Ihre Aufgaben blieben eigentlich jahrzehntelang die gleichen: Dem Chef und den Helden des Teams Wasser und Verpflegung bringen, Windschatten spenden, bei Pannen auch mal das Rad, das Tempo hochhalten oder auch verschleppen – eine "Sauarbeit" eben, wie es Didi Thurau mal prägnant ausgedrückt hat…
In den 80ern kamen dann die „Edel-Domestiken“: Noch nicht gut genug, um wirklich vorne mitzumischen, aber auch zu erfolgreich, um nur Helfer-Dienste zu verrichten. Acosta bei Indurain, Duclos-Lassalle bei LeMond und Hincapie bei Armstrong waren die Prototypen dieser Generation, die immer auch selbst Etappen gewinnen wollten. Und die es nicht selten auch schafften – manchmal sogar gegen den Willen ihrer Chefs.
Aber was der Chef will, zählt heute ja nur noch bei den echten Top-Teams. Meint der Tiger. Wie es in der zweiten Garde mittlerweile läuft, erfuhr Tom Boonen gestern auf leidvollen Kilometern. Nach seinem schweren Sturz musste er fast 40 Minuten allein weit hinter dem Feld strampeln, mit zerfetztem Trikot und sichtlichen Schmerzen - und unter erheblichem Druck, die Karenzzeit zu verfehlen, und damit aus der Wertung zu fallen.
Was genau im Team-Wagen passierte, konnte der Tiger leider nicht eruieren. Aber dass Patrick Lefèvere seinem Teamleader Boonen erst nach über 30 Kilometern Addy Engels (Palmares: 1998 U-23-Straßenmeister in Holland, 2006 2. einer Giro-Etappe...) zur Unterstützung schickte, zeigt doch, dass die Ära von Chef und Helfer wohl endgültig vorbei ist. Und nicht erst seit gestern. Meint der Tiger. Die Wasserträger sind inzwischen zu Werbeträgern geworden. Die sich gerne zeigen. Den Kameras, nicht dem Chef. Schließlich fährt jeder sein eigenes Rennen.
Einer der stärksten Verfechter neuer Team-Strukturen ist nicht erst seit gestern der Rennstall HTC: „Bei uns gibt es den einen Chef nicht”, sagte Sportdirektor Rolf Aldag schon vor zwei Jahren in einem Interview. „Jeder Fahrer erhält zu Saisonbeginn einen Plan mit seinen Zielen. Dann wird jeder mal vom gesamten Team unterstützt, und jeder muss mal Aufgaben für die anderen erfüllen.“
Die Vorteile dieser Methode kennt Aldag: „Jeder einzelne ist motiviert, weil er weiß, im Saisonverlauf seine Chance zu bekommen.“ Profi-Fahrer waren in ihrer Jugend schließlich alle Sieg-Fahrer, sagt der HTC-Leiter. „Wenn Radprofis nicht zu reinen Pflicht-Erfüllern degradiert werden, behalten sie den Spaß an ihrer Arbeit und können ihre Renn-Instinkte besser ausprägen“, weiß Ex-Team-Telekom-Helfer Aldag.
Die ganze Mannschaft sei zudem nicht nur vom Wohlbefinden des Chefs abhängig. „Bei anderen ist das oft so: Wenn der Kapitän keine Lust hat, nehmen alle die Beine hoch. Wenn bei uns einer keine Lust hat, dann helfen ihm die anderen.”
Ob Aldag da aus eigener Erfahrung spricht? Und die Frage ist außerdem: Hilft das den anderen auch wirklich? Oder kommen dann die bewährten Domestiken-Tricks wieder zum Zug: Tempo verschleppen, Rhythmus brechen, Lutschen… Der Tiger ist gespannt, was er da im Lauf der Tour noch zu sehen bekommt.
Das war's für heute. Vielen Dank, dass Sie bis hierher mitgeholfen haben. Und klicken Sie auch übermorgen wieder rein, wenn Teo Tiger sich so seine Gedanken macht. Dann garantiert Domestiken-frei. Versprochen.
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