Wagners Tour-Tagebuch

Tausche Salami gegen Leberwurst!

Von Robert Wagner und Sebastian Paddags

Foto zu dem Text "Tausche Salami gegen Leberwurst!"
Robert Wagner (LottoNL-Jumbo) | Foto: Cor Vos

13.07.2017  |  (rsn) - Hallo aus Pau. Auf die Plätze, fertig…los. Bei Kilometer 0 nehmen drei Mann, darunter natürlich einer von Wanty, ihre Beine in die Hand, fahren um ihr Leben - und einer von ihnen schafft es auch wirklich bis 250 Meter vor dem Ziel, um dann nach 203 Kilometern doch noch eingeholt zu werden. Das Leben eines Radrennfahrers ist schon eher eigenartig, oder?

Als die Gruppe heute wegfuhr und sich herausstellte, dass mit Bodnar und Backaert zwei richtig starke Drücker mit dabei waren, habe ich schon fast geahnt, dass man die Jungs nicht unterschätzen darf - dass es dann aber so eng wird, ist natürlich spektakulär. Der Bodnar als "alter Zeitfahrer“ auf seinem Specialized Venge: Das ist eine ganz explosive Mischung, sag' ich Euch. Das Rad in der Straßenversion hat angeblich Aerodynamik-Werte, von denen manche Zeitfahrräder nur träumen können.

Großartige Gegenwehr vom Feld gab es zu Beginn der Etappe erst mal keine, aber trotzdem wurden die Jungs an der kurzen Leine gehalten. Da die Etappe mit 203 Kilometern doch recht lang war und da es auch wieder so einen äußerst penetranten Seitenwind gab, der zwar nicht ausreichte, um das Feld zu splitten, uns aber trotzdem permanent auf die Nerven ging, hätte wahrscheinlich keiner gedacht, dass der Maciej sich so lange wehrt. Wenn Ihr mich fragt, hätte er eigentlich den Etappensieg verdient nach einer solchen Leistung. Eigentlich - denn wie heißt es im Radsport immer so schön? "Es gibt Tage, da verliert man und es gibt Tage, da gewinnen die anderen.“

Unser Freund Julien Vermote, über den sich aktuell übrigens auch schon coole Bilder und Sprüche wie "Wenn ich mal groß bin, will ich Julien Vermote werden“  in den sozialen Netzwerken breit machen, hatte auch heute natürlich wieder die Landkarte dabei und segelte damit souverän an der Spitze des Feldes in Richtung Tagesziel. Später bekam dort er mit Philippe Gilbert auch noch sehr prominenten Support. Quick-Step hat teammäßig also echt einen Lauf.

Ich nutzte die Etappe heute endlich mal für ein Gespräch mit unserem heimlichen Star Titi Voeckler, der auf dieser Etappe schon wieder mit einem anderen Rad unterwegs war: Knallrot und vorher noch nicht gesehen. Ich fragte ihn nach dem verchromten Rad und er bestätigte mir tatsächlich, dass er das Ding nur nutzt, wenn er Ambitionen hat, etwas zu holen.

Außerdem verriet er, dass das Rad nach der Tour in seinen Besitz übergehen wird und ihn im Rad-Ruhestand begleiten soll. Wahrscheinlich will er das Chrom-Ding also etwas für die Rente schonen. Thomas berichtete, dass die Etappe in Paris definitiv sein allerletztes Rennen sein wird. Kein Abschiedsrennen, keinen Nachtour-Kriterien, keine große Show. Er verabschiedet sich also auf den Champs-Elysees vom internationalen Radsport und ich finde, das hat definitiv auch Stil. Ich bin gespannt, ob er vor dem großen Finale da vielleicht auch noch mal eine Runde vorne raus knallt und sich somit auf seine unverwechselbare Art verabschieden wird. Ich würde es ihm gönnen!

50 Kilometer vor Schluss startete heute für uns schon das Finale und wir begannen, uns akut nach vorne zu orientieren. Da es heute auf den letzten fünf Kilometern viele Kreisverkehre gab, hatten wir die Taktik dementsprechend etwas angepasst und wollten vor dem ersten Kreisel geschlossen so weit vorne wie möglich vertreten sein. Da es somit schon viele "kleinere Sprints“ vor den Kreiseln gab, hatte ich da dann schon meine Finale und zog zusammen mit Paul Martens auch richtig am Horn.

Unser Paul fährt eine sehr starke Tour bisher und auch, wenn er vielleicht nicht so auffällt, ist er ein ganz wichtiger Mann für uns, gerade in den nächsten Tagen. Ich selbst wäre wahrscheinlich noch unauffälliger…aber durch das Tagebuch hier habe ich natürlich doch wieder eine Bühne. Wusstet ihr eigentlich, dass Paul ursprünglich aus Rostock kommt, genauso wie André Greipel und auch Jan Ullrich? Der Wind an der Küste ersetzt die höchsten Berge, ich sag's Euch!

Unser Dylan Groenewegen hat es im Finale dann wirklich geschafft und hatte hinter Marcel Kittel das beste Hinterrad dieser Tage. Er hatte als Taktik, mit einem zeitigen Antritt den Herrn Kittel zu überraschen, aber als Dylan bei 350 Metern antrat, zündete Marcello ebenfalls seinen Turbo. Ein Überholen war laut Dylans Aussage auch wirklich nicht drin, aber ich denke, wenn einer hier fünf Etappen gewinnt, dann ist er wohl auch zweifelsohne der Stärkste auf dem Spielplatz, und es ist keine Schande, nicht an ihm vorbei zu kommen.

Für uns ist der zweite Etappenplatz also ein toller Erfolg und wir sind stolz, dass wir unseren Aufwärtstrend hier von Tag zu Tag bestätigen konnten. Und vielleicht bekommen wir unsere Chance ja auch noch. Immerhin ist grade mal Halbzeit hier.

Mein Masseur, der immer mal ganz coole Quiz-Fragen auf Lager hat, hat mir heute noch eine interessante Story erzählt: Wisst Ihr, wieso das erste Schild, welches die Verpflegungszone ankündigt (Ravitaillement) eine Marke von 12 Kilometern anzeigt? Also warum es 12 Kilometer vor der Verpflegungszone das erste Schild gibt und eben nich bei 10? 12 ist ja schon untypisch. Die Lösung ist interessant: Das ist noch ein Relikt aus älteren Tagen, als es noch keine Betreuer an der Seite gab, die vor dem Feld an der Verpflegung warteten. Damals überholten noch die Begleitfahrzeuge das komplette Feld und aufgrund des größeren zeitlichen Aufwandes und allem, was dazu gehört, durften die ab 12 Kilometer vorher losfahren. Insofern ist da also noch alte Tradition zu sehen. Ich wusste das selbst nicht - und auch Paddi hatte es noch nie gehört.

Wir bekommen übrigens in unseren Verpflegungsbeuteln, den sogenannten "Mousettes“, so schöne Dinge wie Pudding-Brötchen, Küchlein mit Kirschfüllung, Cola, diverse Gels und Eiweißriegel. Und nach der Zone beginnt auch oft das große Tauschen unter den Teams. Auf herzhafte Snacks steht bei uns im Team niemand, aber wenn ich mich da an Fabian Cancellara erinnere, geht das auch anders. Fabian hat immer das Rennen über versucht, herzhaft zu essen und hat dann erst im Finale auf Zucker umgesattelt. Rein vom Logischen her, macht das ja auch irgendwie Sinn, da dann der Zucker viel mehr rein knallt. Mit Fabian hätte man also Salami gegen Leberwurst tauschen können…

Ab morgen (Donnerstag) würde ich gerne meine Beine wieder tauschen - und zwar von den Sprinterbeinen zu den Bergbeinen, denn der ganze Stress mit dem Bergfahren beginnt in den Pyrenäen erneut. An dieser Stelle muss ich da definitiv unseren jungen und schnellen deutschen Rennfahrer Nikias Arndt erwähnen. Der Knabe ist einer der schnellsten Fahrer im Feld, kann unheimlich flink sprinten und sagt ja auch selbst, dass er als Anfahrer für die Sprints seine Zukunft sieht. Allerdings ist er hier bislang so stark unterwegs, dass er selbst in den Bergen ohne viel Stress klar kommt. Niki hat also anscheinend die Bergbeine dabei und ich bin schon auch neidisch! Niki - du musst mir das mal erklären in ner ruhigen Minute!

Nun ist aber erst mal wieder Durchbeißen und dranbleiben sowie rechtzeitig ankommen angesagt. Das nächste Mal sprinten werden wir wohl erst am kommenden Freitag.

Viele Grüße vom Fuße der Pyrenäen senden Wagi und Paddi.

PS: Wir freuen uns sehr, dass Ihr alle so viel Spaß beim lesen des Blogs habt. Wenn ihr mögt, schaut Euch doch mal Paddi's Buch über die Tour im letzten Jahr an - das wird Euch definitiv auch gefallen. Wagi kommt dabei natürlich auch nicht zu kurz.

"DNF - Dienstreise Nach Frankreich“ ist pünktlich zum Tourstart 2017 erschienen und es werden 5€ je verkauftem Buch an den deutschen Radsport-Nachwuchs gespendet.

Alle Infos unter: www.dienstreise-nach-frankreich.de

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