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22.07.2017 | (rsn) - Du weißt, dass Du es nun beinahe geschafft hast, wenn "der Dicke“ Dich am Telefon mit den Worten "Gratu! Wenn Du Dich jetzt nicht noch völlig behindert anstellst, dann sollte ja Paris für Dich tatsächlich realisierbar sein“ begrüßt. Und damit bringt er das Thema des heutigen Tages in der Tat auf den Punkt, denn ich habe es wirklich geschafft und bin nach der letzten bergigen Etappe ohne größere Probleme ins Ziel gekommen. Und das einmal mehr sogar pünktlich!
Allerdings mussten dazu heute erst einmal 220 Kilometer Etappe plus neun Kilometer Neutralisation bewältigt werden - und weil das insgesamt noch nicht genug war, saß ich vor dem Start auch noch meine obligatorischen 15 Minuten auf die Rolle. Mein inzwischen nahezu tägliches Ritual wollte ich am letzten fordernden Tag nun nicht noch umwerfen und das mit dem Anschwitzen hat bislang ja auch ganz gut funktioniert.
Dass die Chancen auf einen Sprint heute ungefähr 50/50 standen, wussten wir. Aber da wir auch wussten, dass hier noch etliche Teams ohne wirklichen Erfolg unterwegs sind, war auch zu erwarten, dass an diesem "letzten Tag mit Chancen“ für alle noch mal ordentlich Alarm sein würde. Dementsprechend hieß es wieder: "Auf die Plätze…fertig…Anschlag“ und der erste Berg mit 4,5 Kilometern war in diesem Zusammenhang auch wirklich wieder absolut deplatziert auf der Landkarte. Die ersten Fahrer sprangen wie wildgeworden weg und ich hatte kurz mal Hoffnung, dass wir vielleicht sogar am Berg etwas piano machen könnten, da Sky wieder schön einen auf "Jonny Kontrolletti" machte. Das klappte aber zu meinem Ärger nicht und daher war Initiative gefragt.
Ich versuchte heute mal gemeinsam mit einigen anderen Jungs durch aggressives Fahren in der ersten Reihe des Feldes die Straße zu blockieren. Leider wollte das aber nicht zu 100 Prozent gelingen und das Gespringe setzte sich fort. Mit Imanol Erviti von Movistar geriet ich bei dieser Aktion fast etwas arg aneinander, so dass der Junge wirklich alle Register zog und auf der Grasnabe an uns vorbei hoppelte. Selbst Edvald Boasson Hagen versuchte noch, ihn aufzuhalten, aber es war zwecklos. Wobei es natürlich ganz zwecklos auch nicht war, da der "Eddy“ das Thema später ja dann noch auf seine eigene Art zu lösen wusste.
Das Tempo war also wirklich unfassbar hoch und ich war irgendwann dann echt auch einer der letzten in der Gruppe, die noch den Namen "Feld“ verdient hatte. Beim nächsten Schild mit der Aufschrift „Sommet á 4,9 Km“ musste ich von hinten sogar mit ansehen, wie Nairo Quintana persönlich attackierte und ich war schon wieder kurz davor auszurasten. Es folgte dann eine kurze Abfahrt inklusive Gegenwelle, ehe sich endlich die Gruppe des Tages formiert hatte. Ich habe es ja von hinten nur erahnen beziehungsweise fühlen können, aber die Jungs vorne müssen sich in der Phase, als die Gruppe ging, ja wirklich richtig gegenseitig verkloppt haben. Daher kann ich auch nur einmal mehr meinen Hut ziehen vor Nikias Arndt, der es in dieser Schlacht nach vorne schaffte. Zu meiner persönlichen Freude sammelte sich dann Sky vorne und das ganze Unterfangen entwickelte sich endlich wieder zu einer arbeitnehmerfreundlichen Sportaktivität.
Nach und nach realisierten auch alle, dass dank der sehr stark besetzten Gruppe heute die Chance auf einen Sprint eigentlich nicht mehr existierte und so hatten viele sicherlich den Tag schon etwas abgehakt. Allerdings stellte dieser uns fortlaufend dank viel Wind von vorne und von der Seite sowie einem ständigen Auf und Ab doch noch ein paar Hürden in den Weg.
Christian Knees, der heute wohl auch seinen letzten Tag an der gewohnten Pole-Position im Feld verbringen konnte, schien aus meiner Sicht zwar irgendwie keinen Gegenwind abbekommen zu haben, aber dafür durfte er sich am Berg heute auch mal mit seinen Teamkollegen abwechseln. Da heute für alle ein besonderer Tag war, durfte quasi jeder noch mal ran da vorne und es wurde nicht zu eintönig.
Während der allerletzten Bergwertung kam es im Zuge dieses fröhlichen Gewechsels da vorne dann auch noch zu einer schönen Situation: Dege (John Degenkolb) rief uns zu: "Jungs, genießt jetzt noch mal die letzte Bergwertung!“ und Simoni (Simon Geschke) entgegnete: „ ach…eigentlich ja schade, dass wir hier jetzt nicht noch mal schön am Anschlag hoch ballern.“ Dies hatte er natürlich völlig ironisch gemeint, aber Mikel Nieve von Sky (Sternzeichen: Bergfahrer) muss das wohl gehört haben und gab zur Sicherheit noch mal richtig Gas an der Spitze, so dass mir in dem Moment das Lachen völlig verging. Es war also nichts mit Genießen!
Oben angekommen, machten wir dann wirklich alle drei Kreuze und dieses Gefühl, zu wissen, dass es das jetzt wirklich war mit der Schinderei, tat richtig gut.
Auf den letzten 20 Kilometern fuhr ich dann zufällig noch mal neben unserem Helden Titi Voeckler, und abgesehen von seinem Chromflitzer fiel mir direkt auf, dass er heute anders duftete. "Du riechst doch heute anders, was ist da los?“ fragte ich ihn. Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: "Ja, neuer Duft! Acqua di Gi .“ Ich staunte nicht schlecht und sagte ihm noch, er solle es genießen heute. Er war in dem Moment noch super gechillt und sagte: "Jo, läuft - wir haben ja drei Mann vorne!“. Da ahnte er natürlich noch nicht, dass auch drei Mann nichts gegen "den Eddy“ ausrichten konnten.
Mit Edvald Boasson Hagen hat es heute aber definitiv auch nicht den falschen Fahrer erwischt.
Und wenn man sich mal überlegt, wie oft er in den letzten knapp drei Wochen ganz nah am
Tagessieg dran war, dann ist das also absolut verdient. Erinnert Euch mal an die Aktion mit den 6 Millimetern… Darauf hatte er heute auf jeden Fall keine Böcke und hat sich wohl gedacht "Da komme ich lieber solo an - ist eh geiler!“.
Schade natürlich für Niki (Nikias Arndt), der nach über 220 Kilometern ganz starker Zweiter wird. Ich würde sagen, wenn man sieht, wie er da von Eddys Hinterrad weg platzt, dann zeigt das doch, wie fertig man nach drei Wochen Strapazen einfach ist und dass der Körper eben auch seine Grenzen hat - grade, wenn man auch noch so jung ist.
Mein Job heute war es vor allem noch mal, unseren Primož Roglič aus dem Wind zu nehmen und ihm so für morgen beste Bedingungen zu verschaffen. Sky hat wie gesagt vorne kontrolliert, aber der Wind war trotzdem ekelhaft und kam teilweise von allen Seiten gleichzeitig. Primož ist definitiv super fit und ich traue ihm für das morgige Zeitfahren 'nen richtig starken Auftritt zu. Sicherlich ist die Konkurrenz groß und auch ein Tony oder ein Küng wollen morgen gewinnen, aber ich habe irgendwie "vom Feeling her ein gutes Gefühl".
Unseren beiden deutschen Rasern Nils Politt und Jasha Sütterlin traue ich morgen übrigens auch noch mal einen Husarenritt zu und auch wenn sie sich heute noch etwas defensiv gaben, so können wir da morgen durchaus gespannt sein.
Unser zweiter Thomas (De Gendt) war heute übrigens auch wieder vorne - wo auch sonst? Ich habe heute im Internet eine eigens von ihm geführte Statistik gefunden, auf der er seine persönlichen Fluchtkilometer protokolliert. Dieses Jahr waren es schon 2210 davon, und er war während dieser Tour auf 11 von 19 Etappen auf der Flucht. Unten seht Ihr das Ganze auch als Bild. Vor der Tour hat Thomas auch mal getwittert, dass er voll auf M&Ms steht und quasi immer 'nen extra Koffer nur von dem Zeug dabei hat. Wahrscheinlich heißen die Teile bei ihm aber nicht M&Ms, sondern Km&Kms…. Kilometer für Kilometer nimmt der die Etappen volley.
Morgen geht es für mich um 13:53 Uhr auf die Strecke. Da ich aktuell Viertletzter im Gesamtklassement bin, bin ich also zeitig dran, habe aber dafür auch umso zeitiger Feierabend. Großartig rasen will ich eigentlich nicht. Aber wenn es glücklich läuft, habe ich im Ziel vielleicht die Bestzeit und muss dann zum "Hot Seat“. Auch wenn das, wenn dann, nur ein ganz kurzes Vergnügen wird, könnt man da ja vielleicht mal die "Wagnerrechte“ ausprobieren, oder?
Solltet Ihr die #Wagnerrechte noch nicht kennen, dann schaut mal bei unserem Gewinnspiel rein und macht einfach mit. Ein Foto in der beliebtesten Lage der Tour posten, Rückstand tippen und mit etwas Glück ein Trikot von mir abstauben oder ein Exemplar des coolsten Tour-Buches der Saison von Paddi: "DNF-Dienstreise nach Frankreich“. Teilnahmeschluss ist Sonntag um 15 Uhr. Mittlerweile haben wir schon echt super viele coole Bilder und Kommentare bekommen - das macht Spaß mit Euch, vielen Dank!
Morgen also noch mal eine knappe habe Stunde knüppeln und dann schon mal das Sprinterbein für Sonntag anspitzen. Drückt unserem Primož die Daumen und habt ein schönes Weekend!
Euer Wagi featuring Paddi
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