Wagners Tour-Tagebuch

Kein Piccolöchen für Mr. Cool

Von Robert Wagner / Sebastian Paddags

Foto zu dem Text "Kein Piccolöchen für Mr. Cool"
Robert Wagner (LottoNL-Jumbo) | Foto: Cor Vos

07.07.2017  |  (rsn) - Was für ein geiler Tag.  217 Kilometer Rennen plus zehn Kilometer Neutralisation plus vier Kilometer bis ins Hotel. Herzlichen Glückwunsch zu einem Tag mit 231 fröhlichen Kilometern in der "Region Champagne“.

So ein Schampus ist vom Ding her eigentlich ein durchaus gern gesehenes Getränk, vor allem an so heißen Tagen wie heute - und zwar schön eisgekühlt. Leider aber war uns die knallharte Champagner-Fete heute nicht vergönnt. Ich finde allerdings, dafür, dass wir heute nahezu die volle Klassikerdistanz absolviert haben, und das bei über 35 Grad im Schatten, hätten sie uns ruhig jedem ein Piccolöchen im Ziel kaltstellen können.

Der Renntag hat also mal wieder richtig Bock gemacht und dafür, dass es wirklich schweineheiß war, hatten wir wenigstens auch den ganzen Tag so leichten Seitenwind und es war dauerhaft wellig. Folglich tat das heute mehr weh als gedacht! Und vor allem, weil es gestern eigentlich gut lief… Der große Vorteil an so Sprintetappen wie heute ist aber, dass ich als Anfahrer die Aufgabe habe, im Finale voll da zu sein und unseren Dylan (Groenewegen) zu protegieren. Mit anderen Worten: Flaschen holen dürfen die Bergfahrer. Wir wurden somit heute von Robert Gesink, George Bennet und Primož Roglič fürstlich bedient - wer kann das schon von sich behaupten?

Ebenfalls sehr cool ist, dass wir bei uns im Team neuerdings ein sogenanntes "Eis-Gel“ auf solch heißen Etappen schnabulieren dürfen. Das ist quasi wie ein Power-Gel, nur eben gefroren und am Ende zu vergleichen mit dem guten alten "Calippo-Eis“. Kennt ihr das noch? War immer geil früher, wenn das tiefgefrorene Ding nicht aus der Packung wollte und dann plötzlich explosionsartig fast weggeflogen ist, weil man so doll gedrückt hat… Euer Wagi hat sich auf jeden Fall gleich mal drei von den Granaten reingezogen und war somit Mr. Cool!

Solche Etappen wie heute sind immer speziell. Man hat im Feld richtig gemerkt, dass die meisten Fahrer die vielen Kilometer wirklich nur "absitzen“ wollten und sich die Begeisterung durchaus in Grenzen hielt. Da bin ich wirklich ganz happy, dass sich das morgen ändern wird. Denn da haben wir endlich mal Glück und es sind mit 213 Kilometern ganze vier Kilometer weniger. Juhuu!

Mir taten heute echt den ganzen Tag die Hufe weh und ich habe ernsthaft begonnen, mir Sorgen zu machen - aber zum Schluss war es zum Glück wie immer und je näher wir dem Ziel kamen, desto fokussierter, konzentrierter und motivierter wird man. Mit dem steigenden Adrenalin verzieht sich dann der Beinschmerz zum Glück auch und wenn man sich überlegt, dass es zum Finale hin ja eigentlich sogar tendenziell eher noch schneller wird, ist das eigentlich nicht logisch.

Wir waren bis fünf Kilometer als Team sehr gut zusammen unterwegs und wollten heute unbedingt einen starken Leadout zeigen. Leider haben wir dann irgendwie die falsche Seite erwischt und uns komplett verloren. Dylan war plötzlich vor mir und alles lief drunter und drüber. Ich sah im Augenwinkel ein Schild und dachte, wir sind gleich am letzten Kilometer, so dass ich noch mal mit letzter Kraft an Dylan vorbei fuhr, um diesen noch ein paar Positionen weiter nach vorne zu bringen. Das klappte auch, aber als ich dann ausscherte, sah ich, dass es noch immer zwei Kilometer waren. Schön verkackt! Wir wollen das mit unserem Sprinterzug morgen auf jeden Fall besser machen und wir wissen auch, dass wir es von den Beinen her drauf haben!

Marcel Kittel hatte heute auf jeden Fall mega den Bums und hat einen Wahnsinns-Sprint hingelegt. Beeindruckend! Der Junge macht übrigens auch in den Bergen einen überaus starken Eindruck. Ich hoffe, er bleibt dem Gruppetto erhalten…Ihr wisst ja: Jeder Mann zählt!

Nun aber wie immer zu Titi Voeckler, der auch heute wieder seinen bemerkenswerten Auftritt in meinem Tagesablauf hatte. Irgendwann fuhren wir beide eine Weile nebeneinander und ich roch wirklich, dass er es heute wieder sehr gut mit dem Duft gemeint hatte. Ich frug ihn also auf englisch, welche Marke denn an diesem Tage seine zarte Haut benetze und war dann wirklich sehr erstaunt: Er antwortete nämlich in allerbestem Englisch, dass er heute und den Rest der Woche noch "Allure“ von Chanel drauf habe und dass es ab nächster Woche was neues gäbe. Es hinge wohl noch etwas vom Aufbrauch-Zeitpunkt der aktuellen Flasche ab.

Das Bemerkenswerte an dieser Aussage war, dass das Englisch so gut klang, wie ich es von einem Franzosen noch nie gehört hatte. Da können sie die anderen Jungs gerne mal ein Beispiel nehmen! Wenn Du die im Rennen irgendwas auf englisch fragst, kommt meistens nur ein "comment?“ (wie?) zurück! Titi hatte heute auch wieder das normale Rad ohne Chrom unterm Hintern und ich glaube, er fährt das andere Bike nur, wenn er sich was vorgenommen hat. Ihr werdet sehen: Der Junge sammelt jetzt noch schön Rückstand und wird sich dann mit einem Erfolg von der Tour verabschieden. Er fährt ja in diesem Jahr seine letzte.

Ich habe mich über seine Aussage zum Duft auf jeden Fall schön amüsiert! Auch witzig war, dass beim Entstehen der Drei-Mann Gruppe eigentlich sogar zwei Fahrer vom Team Wanty mit dabei waren. Ich glaube, man hätte die auch beide gewähren lassen, aber nach kurzer Absprache kam dann einer der beiden retour. Wahrscheinlich darf der dann morgen ran. Mein Freund Thomas De Gendt hatte heute übrigens mal "frei“ und musste nicht von vorne schrauben - ihn vertrat Lars Bak. Bei Quick-Step blieb dagegen alles beim Alten: Julien Vermote scheint nicht "totzukriegen“ und wir sehen ihn höchstwahrscheinlich auch morgen wieder, wenn es heißt: Showdown am Zielstrich!

Auf Etappe 7 wird es sicherlich wieder recht windig, aber ich will mich mit dem Thema jetzt noch gar nicht befassen. Ich freue mich viel mehr, dass ich das Glück habe und eine von fünf portablen Klimaanlagen in meinem Zimmer für angenehmen Wind sorgt. Da wir alle Einzelzimmer haben, ist das fast schon Luxus, wenn man eine abbekommt! Letzte Nacht hatte ich keine und ich hätte eigentlich auch in einer Sauna übernachten können. 40 Grad hatte mein Zimmer mindestens.

Bleibt also gespannt - am Freitag geht der Wahnsinn hier weiter. Und wenn es gut läuft, kriegen wir unseren Champagner vielleicht doch noch!

Euer Wagi feat. Paddi

PS: Wir freuen uns sehr, dass Ihr alle so viel Spaß beim lesen des Blogs habt. Wenn ihr mögt, schaut Euch doch mal Paddi's Buch über die Tour im letzten Jahr an - das wird Euch definitiv auch gefallen. Wagi kommt dabei natürlich auch nicht zu kurz. „DNF - Dienstreise Nach Frankreich“ ist pünktlich zum Tourstart 2017 erschienen und es werden 5€ je verkauftem Buch an den deutschen Radsport-Nachwuchs gespendet.

Alle Infos unter: www.dienstreise-nach-frankreich.de

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